Freitag, 16. Juli 2010

Ins All entweichender Verstand

Ok, ich kann's nicht lassen. Wahrscheinlich habe ich als Kind doch zu viele Was-ist-Was-Bücher zum Thema Astronomie gelesen. Aber heute ist wieder so ein herrlich dilettantischer Artikel zur Astronomie auf Spiegel online, frei von jedem Verständnis durch den Autor selber, daß ich einfach darüber schreiben muß.
Da wurde also ein extrasolarer Planet mit dem romantischen Namen HD 209458b beobachtet und Anzeichen dafür gefunden, daß "C II" und "Si III" vom Planeten in den Weltraum entweichen. Und das soll passieren, weil der Planet sehr nah an seinem Heimatstern und dadurch sehr stark aufgeheizt ist. Spiegel macht daraus die knackige Schlagzeile "Stern grillt seinen umkreisenden Planeten". Im weiteren will er will sich dann nicht zwischen "grillen" und "toasten" festlegen lassen. Aber Entscheidungsfreude war beim Spiegel in letzter Zeit ja sowieso knapp. Und dann geht es schon los:
"Bereits im Jahr 2003 hatten die Astronomen einen steten Masseverlust des heißen Himmelskörpers bemerkt. Doch wohin verschwindet die Masse? Seither hegten die Forscher die Vermutung, dass die Atmosphäre des Planeten ins All "flüchtet" - und dabei zu einem kometenartigen Schweif wird."

Tja, wie haben sie denn diesen mysteriösen Masseverlust bemerkt? Netterweise verlinkt der Artikel gleich die Originalquelle im Astrophysical Journal, und da findet man dann:
"Using the G140M grating of the Space Telescope Imaging Spectrograph (STIS) on the Hubble Space Telescope (HST) with its resolution of ∼30 km s−1, Vidal-Madjar et al. (2003) found that the Lyman-α line flux was reduced by 15% ± 4% during transit at velocities between −130 and +100 km s−1. Based on this first detection of H I absorption at or above the planet’s Roche lobe, they concluded that hydrogen is escaping from the planet."

Ja, das ist ja auch ganz schön kompliziert, der arme Spiegel-Schreiberling! Also, um es kurz zu machen, dasselbe wie sie jetzt mit "C II" und "Si III" gemacht haben, haben sie im Prinzip schon 2003 für Wasserstoff gemacht. Und sie haben gesehen, daß offenbar Wasserstoff vom Planeten in den Weltraum abfließt. Das ist schon alles, kein mysteriöses Masseverschwinden. Und eine andere Art, einen Masseverlust eines Planeten zu "bemerken", als die Beobachtungen, über die hier die ganze Zeit schon gesprochen wird, gibt es in diesem Fall wohl sowieso nicht. Also mal weiter.
"Bei ihren Untersuchungen stellten die Wissenschaftler fest, dass in der Atmosphäre von HD 209458b die schweren Elemente Karbon und Silizium vorkommen."

Au ja, sowas mag ich immer wieder besonders! Karbon! Was sie da beobachtetet haben, "C II", ist im englischen einmal ionisierter "carbon". Und wenn man das dann im Wörterbuch nachschlägt, findet man für "carbon":
Kohle - nein, Kohle entweicht da bestimmt nicht.
Bronzekohle - auch nicht.
Kohlepapier - nee, wohl auch eher nicht.
Karbon - ja, das klingt gut! "Karbon" klingt so modern, wissenschaftlich, nach High Tech! Also kommt da Karbon in der Atmosphäre des Planeten vor. Nur nicht noch mal bei Wikipedia vorbeischauen! Sonst würde man im Deutschen für "Karbon" bloß einen Abschnitt in der Erdgeschichte und kohlefaserverstärkten Kunststoff finden. Und das klingt ja dann wieder doof in einer Planetenatmosphäre. Hätte man doch einfach mal im Wörterbuch auf die Übersetzung "Kohlenstoff" tippen sollen. Oder man hätte seinen Chemieunterricht nicht völlig verpennen sollen, dann hätte man gewußt, daß das einzige chemische Element mit was kohligem im Namen "Kohlenstoff" heißt. Aber gut, wir sind ja nur kleine Wissenschaftsjournalisten...
Und als solche sind wir natürlich auch beeindruckt von den tollen Zahlen in der Wunderwelt der Astronomie. Und wenn der Planet noch eine Billion Jahre für seinen "Lebensabend" hat (kennen wir da vieleicht nicht so genau den Unterschied zwischen "billion", "Billion", und "Milliarde"?) ... da können wir ja auch noch was über Asteroiden, die in 48 Mio. km Abstand an der Erde vorbei fliegen, in den Artikel einbauen!
"In den letzten sechs Monaten sichtete die US-Raumfahrtbehörde Nasa beispielsweise 25.000 bisher unentdeckte Asteroiden. Immerhin 95 davon gelten als erdnah. Das klingt zunächst bedrohlich - in astronomischen Maßstäben bezieht sich dieser Ausdruck aber auf eine Entfernung von 48 Millionen Kilometern. "

Gut, das hat zwar jetzt nicht wirklich was miteinander zu tun - obwohl, der Exoplanet, die Asteroiden, das ist ja alles irgendwie oben im Weltraum? Na also, passt doch! Wunderwelt des Weltraumjournalismus!

3 Kommentare:

  1. Mindestens so gut wie Karbon für "carbon":
    Silikon als Übersetzung für "silicon".

    Silicon-Valley wird dann mal schnell zum Tal der artifiziellen Busenwunder ...

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  2. Ja, auf diese schöne Übersetzung warte ich auch immernoch! :-)
    Aber die Journalisten sind ja nicht blöd: die gucken ins Wörterbuch! Und da ist leider "silicon" - "Silizium" und "silicone" - "Silikon". Aber wenn man diese Übersetzung mal finden sollte, dann weiß man immerhin, daß der Autor sich nicht mal die Mühe gemacht hat, auf leo zu klicken. ;-)

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  3. Im TV habe ich das original schon so gehört:

    Die Wafer (oder Chips) bestehen aus Silikon.

    Sinngemäß - wörtlich habe ich das natürlich jetzt nicht mehr parat, aber es hat mich so schockiert, dass ich es nicht vergessen habe.

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