Manchmal früh morgens, beim Aufwachen, noch im Halbschlaf, da findet man Antworten auf Fragen, die man sich im wirklich wachen Zustand nicht einmal stellen würde. So geschah es auch heute früh, und zwar mit dem Problem des Wunderglaubens. Da gibt es Atheisten und Skeptiker, die sich wieder und immer wieder über den Wunderglauben empören oder lustig machen. Jesus wurde jungfräulich empfangen und lief übers Wasser? Madonnenstatuen weinen und tote Päpste heilen betende Nonnen? Alles Unsinn und Aberglaube, denken sich die aufgeklärten, rationalen Geister, denn es widerspricht den Naturgesetzen! Und dabei bemerken sie gar nicht, daß Naturgesetze und Wunder sich keinesfalls gegenseitig ausschließen! Und das kann man auch ganz leicht einsehen, nämlich so:
Was Naturgesetze im Grunde bieten, das sind Wahrscheinlichkeitsaussagen. Die Quantenmechanik mag das ganz offensichtlich tun, doch auch andere, streng deterministische Theorien kann man auf Wahrscheinlichkeiten zurückführen. So ist eben in der klassischen Mechanik, sagen wir mal zum Beispiel die Aufenthaltswahrscheinlichkeit für einen Planeten zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem einzigen Ort gleich Eins, und überall sonst Null. Und wenn unter Wunder ein Ereignis verstanden werden soll, das den Naturgesetzen widerspricht (Das ist natürlich etwas zu naiv gedacht, aber es genügt hier schon), dann ist ein Wunder nichts anderes als ein eingetroffenes Ereignis, für das die Naturgesetze die Wahrscheinlichkeit Null angeben.
Jetzt müssen wir uns nur noch fragen, was unter einer Wahrscheinlichkeit eigentlich verstanden werden muß. Da haben wir einmal die subjektivistische Sichtweise, die meint, eine Wahrscheinlichkeit sei nichts anderes als ein Maß für unseren Glauben an das Eintreffen eines Ereignisses. Ich kann mir nicht denken, daß diese Sicht sich in naturwissenschaftlichen Kreisen ernsthaft großer Beliebtheit erfreut. Denn dann würden naturwissenschaftliche Theorien ja im Grunde nichts über die Welt, sondern nur über unseren Glauben aussagen. Und was sollte die Welt davon abhalten, etwas zu tun, an das wir nicht glauben? Eben, nichts, und dann wären Wunder völlig unproblematisch. Bleibt uns also nur ein objetivistischer Ansatz zur Interpretation der Wahrscheinlichkeit. Und das ist dann der frequentistische Ansatz, der von der relativen Häufigkeit ausgeht. Wenn man n Experimente unternimmt, und dabei a mal das Ergebnis A herauskommt, dann ist die relative Häufigkeit von A gerade a/n. Und die Wahrscheinlichkeit von A ist dann der Grenzwert von a/n für n gegen unendlich.
Und jetzt sehen wir sofort, daß Wunder keineswegs im Widerspruch zu Naturgesetzen stehen. Denn ein Naturgesetz mag für das Ereignis A die Wahrscheinlichkeit Null angeben. Das heißt dann also, daß der Grenzwert von a/n für n gegen unendlich Null ist. Das verlangt aber natürlich nicht, daß a = 0 ist. Denn nicht nur der Grenzwert für 0/n ist Null, sondern z.B. auch der für 1/n, oder 2/n. Und das heißt nichts anderes, als daß Gott einzelne Wunder vollbringen kann, ohne die Aussagen der Naturgesetze zu verletzen! Er kann Jesus übers Wasser laufen lassen, oder eine Statue zum Weinen bringen - solange er endlich viele Wunder vollbringt, bleibt die Wahrscheinlichkeit für das jeweilige Ereignis bei Null, und die Naturgesetze bleiben intakt. Genau genommen kann er sogar unendlich viele Wunder vollbringen, wenn nur darauf achtet, daß die Zahl seiner Wunder langsamer gegen unendlich geht als n. Und so können Wunderglaube und Naturwissenschaft in friedlicher Eintracht nebeneinander existieren.
Und nachdem ich gleich am frühen Morgen Glaube und Wissenschaft auf derart bestechende Weise versöhnt habe, hätte ich mir ja eigentlich eine Wallfahrt nach Lourdes verdient...!
Eines der Label ist zwar Satire, deswegen weiß ich nicht, wie ernst du das alles meinst, aber von Stochastik hast du nicht wirklich viel Ahnung und von Physik auch nicht.
AntwortenLöschen"von Stochastik hast du nicht wirklich viel Ahnung und von Physik auch nicht."
AntwortenLöschenNein.
Aber wie ist es dann?? Wenn ein Naturgesetz sagt, die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Ereignis' ist Null. Und die Wahrscheinlichkeit ist der Grenzwert der relativen Häufigkeit des Ereignisses. Dann kann das Ereignis schon eintreten, und die Wahrscheinlichkeit bleibt trotzdem bei Null?
"..., die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Ereignis' ist Null."
AntwortenLöschenDU sagst das, nicht ein Naturgesetz.
Aber:
Warum ist da bloß noch kein Mathematiker im Vatikan drauf gekommen ;-)
Jaja, der Leser ist schnell geneigt, einem zu attestieren, man sei doof. Auf nennenswerte sachliche Gegenargumente wartet man dann aber vergeblich.
AntwortenLöschenAber gut, auch wenn es einen schalen Geschmack erzeugt, will ich den Artikel erklären.
Natürlich meine ich den Text nicht ernst. Allerdings verweist er auf ein Problem, daß im allgemeinen gerne ignoriert wird. Daher ist das label "Satire" meiner Meinung nach gerechtfertigt.
Denn der Widerspruch, daß die Wahrscheinlichkeit Null in der Häufigkeitsinterpretation von Wahrscheinlichkeiten das Eintreten eines Ereignisses nicht ausschließt, besteht tatsächlich (und ist bestimmt auch dem katholischen Mathematiker bekannt). Daher kann die Unmöglichkeit eines Ereignisses bei einem solchen Wahrscheinlichkeitsbegriff nicht erfasst werden. Natürlich würde man aber auch gerne ein komplett unmögliches Ereignis in Wahrscheinlichkeiten ausdrücken.
Dazu gibt es verschiedene Ansätze, die auch alle schon gemacht wurden:
Man kann die Häufigkeitsinterpretation der Wahrscheinlichkeit komplett verwerfen. Wenn Wahrscheinlichkeiten nur "subjektive Überzeugungsgrade" darstellen, hat man das Problem nicht mehr. Aber dann kann man anzweifeln, ob man quantenmechanische Aussagen noch adäquat auffangen kann. Oder man erweitert die Wahrscheinlichkeitstheorie (d.h. hier, das Wahrscheinlichkeitsmaß) von den reelen Zahlen auf hyperreele Zahlen. Das geht dann über die normalerweise gelehrte Wahrscheinlichkeitstheorie hinaus. Dafür kann man dann klar zwischen unendlich kleiner Wahrscheinlichkeit und Wahrscheinlichkeit Null unterscheiden. Oder man macht beides.
Lesenswerte Literatur dazu sind z.B.
Bernstein & Wattenberg (1969): "Non-standard measure theory", in: Applications of model theory of algebra, analysis, and probability, W. Luxemburg (Ed.)
D. Lewis (1987): "A subjectivist's guide to objective chance", in: Philosophical Papers (Volume II), Oxford Univerity Press
Eine schöne, nicht zu mathematische und weitreichende Übersicht über solche Probleme mit der Wahrscheinlichkeit und ihrer Interpretation findet der interessierte Leser in:
J. Rosenthal (2004): "Wahrscheinlichkeiten als Tendenzen. Eine Untersuchung objektiver Wahrscheinlichkeitsbegriffe", Mentis Verlag
Viel Spaß damit! (Ist wirklich spannend!)
Ich bin zwar mathematisch nicht auf deiner Höhe, aber den Ansatz und die Implikation habe ich durchaus verstanden (und mich amüsiert) und das ;-) am Ende sollte zeigen, dass ich die satirische Qualität nicht nur erkenne sondern sogar sehr zu schätzten weiß.
AntwortenLöschenSicher wissen das auch die Vatikanmathematiker, aber es ist wohl noch keinem in den Sinn gekommen, es so anzuwenden wie du es hier tust. Das war ein Lob ;-)
Mein Fehler, 'Tschudigung! Da war ich etwas zu vorschnell.
AntwortenLöschenAber wenn Du es für eine gute Idee hälst, kann ich mich ja mal damit beim Vatikan andienen? Nachdem ich einmal eine Fernsehdokumentation über Renaissancepäpste gesehen hatte, konnte ich mir eine Weile lang durchaus auch für mich ein Leben im Dienste der heiligen Mutter Kirche vorstellen... ;-)
Da fasse ich in die Weingummis und was habe ich in der Hand? Schwarz Rot Gold (naja, Gelb) ;-) Bin ich jetzt zum Bummelkanzler berufen? Per Los?
AntwortenLöschenJa die Renaissancepäpste - die lebten aus dem Vollen aber mitunter auch recht kurz, denn der Posten war begehrt, was nicht selten Anlass war für wenig humane Methoden um eine Ablösung herbei zu führen ... Den heutigen Päpsten muss man nur ins Gesicht schauen: Glücklich sehen die mir nicht aus.
Aber ich gäbe sicher nen tollen Pfaffen ab, wenn es mir nur gelänge den Mist von der Kanzel zu predigen ohne in schallendes Gelächter auszubrechen. daran muss ich noch schwer arbeiten.
Übrigens können wir zur Zeit wieder ein typisches Beschwichtigungsritual beobachten.
AntwortenLöschenBei Affen gibt es das ja auch: Wenn der Ranghöchste mal wieder getobt hat und es vllt. sogar Verletzte oder gar Tote gegeben hat, schleichen sich alle zu ihm um mit Unterwerfungsgesten seinen Machtanspruch anzuerkennen und sich als loyale und folgsame Mitglieder zu outen.
Ist ein Gottesdienst nach Ereignissen wie jetzt gerade auf der Duisburge Loveparade eigentlich nicht genau das Gleiche? Grübel ...
"Bin ich jetzt zum Bummelkanzler berufen? Per Los?"
AntwortenLöschenMan muß Gottes Zeichen nur zu deuten wissen! ;-)
"Ja die Renaissancepäpste - die lebten aus dem Vollen aber mitunter auch recht kurz"
Ja! Sex and Drugs and Rock 'n' Roll! Live fast, die young! Erstaunlich, daß es das alles schon vor Jahrhunderten gab, und ausgerechnet an der Spitze der Kirche! :-)
"Ist ein Gottesdienst nach Ereignissen wie jetzt gerade auf der Duisburge Loveparade eigentlich nicht genau das Gleiche?"
So konsequent habe ich den Eva-Hermann-Ansatz noch gar nicht weitergedacht! Aber zumindest zeichnet es den Menschen noch aus, daß er als einzige Spezies einen abstrakten "Oberaffen" zu beschwichtigen sucht... :-(
Ich kam eher vom Franz-Buggle-Ansatz her, dessen "Denn sie wissen nicht, was sie glauben" ich gerade hinter mir habe. Darin findet sich ein Satz aus der Bibel: "Kein Sperling fällt ohne des Vaters Willen vom Dach" (im Islam: "kein Blatt fällt vom Baum") nun, dann ist ja das was in Duisburg passiert ist, auch nur Gottes Wille und die anschließenden Gottesdienste können, durchaus legitim, als atavistisches Beschwichtigungsritual für den virtuellen Silberrücken (MSS) angesehen werden: "Danke, dass du UNS (nochmal) verschont hast wir werden dir weiter treu dienen(warum eigentlich, wollen die nicht alle in den Himmel, je eher desto lieber? Paradox) Mich hat es als Kind schon immer gewundert warum Christen jammern wenn einer stirbt: Der ist doch jetzt im Himmel, dachte ich damals, da müsste man sich doch für ihn freuen. Tja, die Reinheit der Kindergedanken, erlangen wir nie wieder und kaum einer hat sich wohl weiter davon entfernt wie ein Hans Küng mit seinen verschwurbelten Versuchen, das Christentum mit der Moderne in Einklang zu bringen. Für jeden einzelnen Satz, den Buggle von ihm zitiert, müsste man ihm seine sog. akademischen Titel aberkennen.
AntwortenLöschenWenn ich anfange, will ich nie soviel schreiben ...
"Erstaunlich, daß es das alles schon vor Jahrhunderten gab, und ausgerechnet an der Spitze der Kirche!"
AntwortenLöschenOh, die Kirche war der erste multimediale Unterhaltungskonzern überhaupt. Hexen- und Ketzterverbrennungen waren damals Höhepunkte des ekklesialen Entertainment. Und auch die Messen mit all dem Brimborium, der (Sun-)Lightshow, dem Weihrauch, der Orgel und dem Chor waren durchorchestrierte Events, zur Erbauung und zum Gruseln. Heute schaut man halt "Wetten Dass" und anschließend noch nen Horrorfilm. Ich habe den Verdacht, dass weniger ein mehr an Vernunft das Dahinsiechen der Kirchen bewirkt als vielmehr das alternative Unterhaltungsangebot.
"Oh, die Kirche war der erste multimediale Unterhaltungskonzern überhaupt."
AntwortenLöschenOh ja, der Schauwert der Veranstaltung spielt sicherlich eine große Rolle. Im Barock und bei der Gegenreformation war das wohl auch offensichtlich Programm?
Aber das gilt nicht nur für die kath. Kirche, denn schließlich richtet sich der Glaube grundsätzlich eher an die Gefühle als an den Verstand. Und die Gefühle erreicht man gut über Shows. Da verwundert es doch nicht, daß selbst die Rituale von Naturvölkern Licht, Musik und Masken verwenden...
Nicht umsonst spricht man ja auch von "UnterhaltungsTEMPELN" ;-)
AntwortenLöschenVersuche dir mal den Alltag eines Bauern oder Handwerkers im Mittelater vorzustellen: Von morgens früh bis abends spät Maloche. Da waren die Sonntagsmesse und die anderen Unterhaltungsangebote Kirchweih etc. absolute Highlights. Es gab ja sonst kaum etwas.
Ich bin 14235 Tage alt. Also habe ich 14235 mal festgestellt, dass tagsüber die Sonne scheint. Die Wahrscheinlichkeit, dass tagsüber die Sonne scheint, ist demnach 14235/14235 = 1. Was ist nun die Vorhersage für morgen? 14235/n für n gegen unendlich ist 0. Folglich geht morgen die Sonne nicht auf.
AntwortenLöschenWow, so viele Probleme in einem einzigen Kommentar aufzuwerfen ist wirklich beeindruckend! ;-)
AntwortenLöschenAber erst man ist das Verhältnis 14235/14235 keine Wahrscheinlichkeit, sondern nur eine relative Häufigkeit. Eine Wahrscheinlichkeit wäre nur der Grenzwert für die Anzahl der Beobachtungstage,n, gegen unendlich. Dabei würde sich aber nicht nur der Nenner immer größer werden, sondern wahrscheinlich auch der Zähler, d.h. die Anzahl der eingetretenen Sonnenaufgänge. Also erst mal ist die Wahrscheinlichkeit noch nicht Null.
Problematischer wird es aber dadurch, daß man auf diese Weise nicht die Wahrscheinlichkeit dafür bestimmt, daß *morgen*, also etwa am 17.8.2010, die Sonne aufgeht. Denn dafür müsste man ja den 17.8.2010 immer wieder wiederholen und sehen, wie oft dabei dann die Sonne aufgeht. Und das ist natürlich unmöglich. Also kann man die Wahrscheinlichkeit, daß an einem bestimmten Tag die Sonne aufgeht, gar nicht angeben.
Noch kompizierter wird es, wenn man mit "morgen" wirklich immer den nächsten Tag meint. Denn wenn man den gängigen astronomischen Theorien glaubt, dann gibt es wirklich einen Tag, an dem die Sonne ausgebrannt ist und dann nie wieder aufgeht. Also ist der Zähler auf einen sehr großen aber endlichen Wert geschränkt. Wenn der Nenner dann gegen unendlich geht, ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Sonne am nächsten Tag aufgeht, tatsächlich Null. Und das, obwohl die Sonne endlich oft aufgegangen ist. Das selbe Problem in einer anderen Version...
Jetzt könnte man aber auch noch einwenden, daß selbst der Nenner n nicht gegen unendlich gehen kann, weil Menschen gar nicht unendlich lange beobachten können, oder weil vieleicht auch das Univerum eine nur endliche Lebensdauer hat. Dann kann man gar keine Wahrscheinlichkeit für das Aufgehen der Sonne bestimmen.
So viele Sorgen mit einem so alltäglichen Begriff wie der Wahrscheinlichkeit! :-)