Dienstag, 31. August 2010

Geistlose Geister

Der aufrechte, gottesfürchtige Christenmensch fürchtet sich vor Geistern. Und daß das umgehende Gespenst des Kommunismus niedergerungen wurde, ist noch lange kein Grund, sich beruhigt zurückzulehnen. Denn es gibt noch einen weiteren, viel gefährlicheren Geist, und der ist schon allgegenwärtig: der Zeitgeist. Gar nicht genug danken und ihr für seinen Mut bewundern kann man daher das Forum Deutscher Katholiken, wenn es vor zwei Tagen beherzt forderte: "Geht nicht konform mit dem Geist dieser Zeit!". Originell mag diese Forderung ja nicht sein, hat doch schon der abberufene Papst JP2 selbst gefordert: "Zugleich aber bitte ich Euch, Eure Priester und Gläubigen immer wieder zu ermutigen, sich nicht dem Zeitgeist anzupassen." Aber wer sollte den Mut infrage stellen, den es braucht, so unbequeme Notwendigkeiten erneut laut auszusprechen? Wobei - wo genau sehen denn die Katholen eigentlich den Zeitgeist am Felsen Petri nagen? Schließlich folgt die Gemeinschaft der Heiligen mit einem beachtlichen Sicherheitsabstand jeder modernen Erkenntnis. Man denke nur mal an das kopernikanische Weltbild! 1822 hat die Kirche das erste Mal die Druckerlaubnis für ein Buch erteilt, daß diese Weltsicht als real annimmt, und nicht betont, daß es sich dabei lediglich um eine mathematische Vereinfachung handelt! Da hat man sich also immerhin 279 Jahre seit dem Tode Galileis gegönnt, um nicht in den Verdacht zu geraten, dem Zeitgeist nachzulaufen. Auch mit dem 1859 erschienenen "Der Ursprung der Arten" von Charles Darwin überstürzt man nichts. Noch 1950 betonte Papst Pius XII, daß die Kirche zwar dem katholischen Wissenschaftler die Freiheit einräumt, die Evolutionslehre in Betracht zu ziehen. Aber: "Einige überschreiten nun verwegen diese Freiheit der Meinungsäußerung, da sie so tun, als sei der Ursprung des menschlichen Körpers aus einer bereits bestehenden und lebenden Materie durch bis jetzt gefundene Hinweise und durch Schlussfolgerungen aus diesen bereits mit vollständiger Sicherheit bewiesen." Die Evolutiontheorie ist eben nach 91 Jahren eben noch lange nicht reif, mehr als eine nützliche Hypothese zu sein. Auch hier sollte man mindestens 279 Jahre lang betonen, daß Evolution nur eine Annahme ist. Vieleicht vergeht diese Mode in der Zwischenzeit ja von alleine wieder.
Gut, das recht, sagen wir mal, kritische Verhältnis der Mutter Kirche zur Naturwissenschaft ist ja gemeinhin bekannt. Aber nicht nur dort zeigt sich ihre lobenswerte Unanfälligkeit gegen modische Erkenntnisse. So ist denn auch das ständige Preisen und das Berufen auf die Gedanken des Thomas von Aquin, eines Denkers des 13. Jahrhunderts, keineswegs nur Tradition, sondern zeigt den wahren philosophischen Horizont der Kirche auf: "Sie [=die Kirche] weiß ja nach einer Erfahrung von Jahrhunderten gut, dass die Methode des Aquinaten sich vor andern bewährt, sowohl im Unterricht wie auch in der Suche nach verborgenen Wahrheiten; dass seine Lehre fernerhin in Harmonie mit der göttlichen Offenbarung steht und in wirkungsvoller Weise sichere Fundamente des Glaubens legt, wie auch mit Nutzen und Sicherheit die Früchte eines gesunden Fortschritts bringt." Wie konsequent daran festgehalten wird, sieht man etwa an der Frage, ob Existenz ein logisches Prädikat sei. Die Verneinung dieser Frage findet man schon in Kants Transzendentaler Dialektik, erschienen 1781: "Sein ist offenbar kein reales Prädikat, d.i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne." (Kritik der reinen Vernunft, A598, B626). Aber das schrieb er ja auch in einer Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises, und so hat die Kirche ganz recht entschieden, als sie dieses Buch Kants in den Index der verbotenen Bücher aufgenommen hat. Denn die Schafe Gottes müssen vor Satans Einflüsterungen im Zeitgeist geschützt werden, sollen ihre Seelen nicht zur Hölle hinabsteigen. Leider, leider hat sich diese spezielle Einstellung hinsichtich des Charakters der Existenz dann aber doch immer weiter verbreitet. In der Begriffsschrift Gottlob Freges (was für ein unverschämter Name für einen Ketzer!), erschienen 1879, fand er dann Eingang in die moderne Logik, wo in allen Ausprägungen bis heute Existenz nicht als Prädikat, sondern als Quantor dargestellt wird. Nur die Kirche leistet auch heute, im Jahre 131 der modernen Logik, noch immer und als Letztes erfolgreichen Widerstand. Zwar bedienen sich inzwischen auch Theologen dieser Logik, doch schreiben sie einfach Existenz außer als Quantor zusätzlich auch als Prädikat mit rein. Respekt für diesen Mut!
Also, eigentlich könnten die katholischen Schafe Gottes ganz beruhigt sein. Bevor eine Idee oder Erkenntnis ihren zweihundertsten Geburtstag gefeiert hat, hat sie keine Chance, ernsthaft Einzug in die kirchliche Welt zu halten. Ein Aufspringen auf den Zeitgeist muß man also nicht befürchten. Und diese Langsamkeit ist auch nur vernünftig. Sagt doch selbst die Wikipedia, Zeitgeist sei "die Denk- und Fühlweise eines Zeitalters". Und das Zeitalter, das durch die Denkweise von Menschen wie Galileo, Kant, Darwin, Frege geprägt ist, das ist ja wohl die sogenannte Neuzeit. Aber man muß ihren Verlockungen nur widerstehen, irgendwann wird dieses Zeitalter mit seinen Moden wie Wissenschaftlichkeit, Vernunft, Ausgang aus der Unmündigkeit und so, schon wieder vorbeigehen. Und dann geht es für alle wieder dahin zurück, wo die katholische Kirche schon immer stand und steht: ins Mittelalter!

Sonntag, 29. August 2010

Drogen sind doch die Lösung!

Eigentlich wollte ich ja am heutigen Sonntag endlich in Ruhe meinen einhundertsten Post schreiben. Der sollte ein bisschen besonders, ein bisschen feierlich sein. Mit genau der richtigen, ausgewogenen Mischung: ein bisschen Zynismus, ein bisschen Hoffnungslosigkeit, ein bisschen Überheblichkeit, und am Ende vieleicht noch etwas Sarkasmus. Doch jetzt kommt es natürlich ganz anders. Denn diese Woche hat jemand eine nagelneue Espressokanne ins Haus gebracht, und, begeistert vom unheimlich eleganten Funktionsprinzip unter Ausnutzung wunderbar klarer physikalischer Prozesse, mußte ich sie heute zum Frühstück einfach mal ausprobieren. Und, es ist herrlich! Nachdem ich meinem drogenfreien Körper etwas frischen Mokka zugeführt habe (wenn die Händlerangabe auf der Verpackung stimmt, entsprach die Menge "sieben Tassen"), fühle ich mich heute so sehr viel anders! Ich verspüre so einen ungewohnten inneren Anrieb! Nichts an mir fühlt sich beim Aufstehen vom Sofa schwer an! Schwerkraft und Luftwiderstand scheinen plötzlich abgefallen zu sein! Ich vermute, andere Menschen fühlen sich immer so, aber ich fühle mich heute das erste Mal seit Jahren plötzlich wirklich, richtig wach! Und somit bleibt es im heutigen Jubiläumspost einfach mal bei dieser kurzen, positiven Feststellung! Und ich gehe einfach noch was frischen Mokka kochen...

Montag, 23. August 2010

Nix begreifende Charaktere

Im letzten Post fand ich ja, daß der Glaube an einen Gott unter Vernunftkriterien keinerlei Erklärungswert hat. Trotzdem scheint dies Gläubige nicht nur egal zu sein, sondern sie empfinden ihren Glauben keinesfalls als überflüssig. Verstehen kann man diese Diskrepanz, wenn man, wie religiöse Menschen, nicht nur der Vernunft die Möglichkeit zur Erzeugung von Wissen zugesteht, sondern auch dem Glauben. In diesem Fall ist es nämlich keineswegs ein Problem, daß der Gottesglaube vernunftmäßig keinerlei Klarheit schafft, denn es genüg ja völlig, daß er die Welt vermittels Glaube erklärt. Bei der Vorstellung, auch Glauben als Wissensquelle zuzulassen, mag es manch einem vernunftorientierten Zeitgenossen die Zehnägel aufrollen und ihn veranlassen, seinen Spott über die Gläubigen auszuschütten. Keineswegs verwunderlich ist es deshalb, wenn religiöse Mitmenschen gerne herauszustellen versuchen, daß rational erworbenes Wissen im Grunde auch nicht besser ist, als Wissen auf Glauben zu gründen. Also, ist es besser? Vergleichen wir die Mechanismen, die zum religiös motivierten Wissen und zum rational motivierten Wissen führen. Da rationales, vernunftbegründetes Wissen ein recht schwammiger Begriff ist, wollen wir ihn auf naturwissenschaftliches Wissen als dem Paradebeispiel für vernünftige Untersuchungsergebnisse der Welt einschränken.

Was ist Wissen?
Zuerst müssen wir uns für eine solche Betrachtung kurz darüber klar werden, was wir unter Wissen verstehen wollen. Diese Frage mag in ihren Untiefen keineswegs leicht zu beantworten sein, viele Probleme mit diesem Begriff können wir uns hier aber ersparen, denn die Wissensbegriffe der Gläubigen und der Wissenschaften liegen sehr dicht beieinander. Als Grundlage mögen wir den subjektiven Begriff Meinung nehmen. Zwifellos gibt es einen Unterschied zwischen meinen und wissen, und zunächst müssen wir für Wissen verlangen, daß es wahr ist. Wenn ich behaupte, zu wissen, daß noch Bier im Kühlschrank ist, in Wirklichkeit aber keines mehr da ist, dann wird man mir nämlich absprechen, daß ich es gewußt habe, sondern zur zugestehen, daß ich es gemeint hatte. Wahrheit alleine reicht aber noch nicht für Wissen aus, denn ich könnte mit einer wahren Meinung auch einfach zufällig richtig liegen. Und in einem solchen Fall würde man sicherlich auch nicht von Wissen sprechen. Also muß man zusätzlich noch eine irgendwie geartete Begründung für eine wahre Meinung fordern, um wirklich von Wissen sprechen zu können. Allerdings ist der Einfluß des Zufalls damit noch nicht endgültig beseitigt. Denn ich könnte Gründe für eine wahre Meinung haben, aber es könnte weitere, mir unbekannte oder unbeachtete Gründe geben, die meine Begründung für meine wahre Meinung wieder zunichte machen würden, so daß meine Meinung wieder nur zufällig wahr ist, nicht aber aus den von mir angeführten Gründen zusammen mit den unberücksichtigten Tatsachen folgt.
Also letztlich sei Wissen hier eine wahre, begründete Meinung, zu der es keine weiteren Gründe gibt, die die Begründung zunichte machen könnten.

Wissen und Begründung
Wenn man nun nach einem Unterschied zwischen religiösem und wissenschaftlichem Wissen sucht, würde man wohl instinktiv auf die notwendige Begründung abzielen: wissenschaftliche Erkenntnis ist vieleicht besser begründet als religiöse. Aber da irrt man sich. Denn eine gute Begründung gibt es für wissenschaftliches Wissen genauso wenig wie für religiöses. Ein Beispiel möge dies verdeutlichen.
Wenn man die Welt wissenschaftlich erkunden will, so muß man immer Annahmen machen, die außerhalb der Wissenschaft liegen und nicht zu begründen sind. Wenn ich den Weltraum erforschen will, so muß ich zum Beispiel voraussetzten, daß die auf der Erde und ihrer Umgebung untersuchten physikalischen Prozesse auch im restlichen Universum, in mitunter erheblichen räumlichen und zeitlichen Abstand, genauso gültig sind wie hier. Problemlos ist diese Annahme keineswegs, denn das am weitesten von der Erde entfernte "Forschungslabor", die Sonde Voyager I, ist z.Z. gerade mal 114 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt. Die am weitesten von uns entfernten Objekte, Gegenstände wissenschaftlicher Untersuchungen, sind aber mehr als 13 Mrd. Lichtjahre weit weg. Das heißt, wir extrapolieren unsere Erfahrung mit der Welt auf das immerhin 7 200 000 000 000-fache hinaus. Wirklich begründen kann man diese Annahme also genauso wenig, wie man sie überprüfen kann.
Vieleicht möchte man noch einwenden, daß solche Annahmen, wenn schon nicht streng begründbar, so doch notwendig sind, denn ohne sie kann man gar nichts über den Himmel in Erfahrung bringen. Aber dieses Argument kann dann die Religion genauso für sich in Anspruch nehmen. Etwa, da man die Offenbarung Gottes voraussetzen muß, um über die Entstehung des Universums selber etwas in Erfahrung bringen zu können. Und auch das Argument, daß man mit solch unbegründbaren Annahmen in der Wissenschaft zumindest mit großem Erfolg Erklärungen finden kann, gilt im gleichen Maße für die Religion. Schließlich kann sie unter der Annahme göttlicher Offenbarungen die ganze Existenz des Universums, und außerdem noch Fragen der Ethik und was nicht alles, mit großem Erfolg beantworten.
Das Stochern in den Begründungen führt also nicht viel weiter, will man religiöses Wissen von wissenschaftlichem unterscheiden.

Was ist wahr?
Es bleibt also noch das Kriterium der Wahrheit, um ein gutes Unterscheidungsmerkmal zu finden. Dazu müssen wir uns natürlich fragen, wann etwas wahr ist, und diese Frage ist noch schwieriger zu beantworten als die nach dem Wissen. Allerdings sind wir hier bezeichnenderweise wieder in der bequemen Situation, daß die wissenschaftlichen und religiösen Wahrheitsbegriffe sich sehr ähnlich sind. Beide nehmen an, daß Wahrheit etwas ist, das unabhängig vom Menschen gegeben ist. Wahrheit als das, was nützlich ist oder als das Ergebnis einer kompetenten Diskussion, ist sicherlich sowohl für Wissenschaftler als auch für Gläubige unbefriedigend. Wahrheit muß irgendwie in der Welt selber liegen. Die Aussage Die letzten Worte von Robert Falcon Scott waren "Verdammt kalt hier!" ist entweder wahr oder falsch, auch wenn es mangels Zeugen oder Aufzeichnungen keine Möglichkeit gibt, die Wahrheit oder Falschheit dieser Aussage wirklich festzustellen. Er hat letzte Worte gesagt, und diese waren, wie sie nun mal waren, egal, ob wir heute bestimmte andere letzte Worte in irgendeinem Zusammenhang nützlicher finden, und egal, ob seine Biographen sich offiziell auf andere letzte Worte einigen oder nicht. Mit diesem Verständnis von Wahrheit können sich wohl Gläubige wie auch Naturwissenschafter anfreunden. Wie ist es also mit der Wahrheit in dieser Hinsicht von wissenschaftlichem Wissen und Glauben? Ist eines "wahrer" als das andere?

Die Wahrheit über die Wahrheit
Als Verfechter der Wissenschaften wird man jetzt bestimmt sofort einwenden wollen, daß es prinzipiell unmöglich ist, die Wahrheit einer wissenschaftlichen Aussage zu beweisen. Allenfalls ist es möglich, die Falschheit aufzuzeigen, und alles wissenschaftliche Wissen ist in diesem Sinne nur vorläufig. Allerdings muß man hier auch wieder zwischen den wissenschaftlichen Aussagen und den außerwissenschaftlichen Annahmen der Wissenschaft unterscheiden. Im Fall der erwähnten Annahme der universellen Gültigkeit von Naturgesetzen kann man wissenschaftlich die Wahrheit genauso wenig zeigen wie die Falschheit. Denn wenn Beobachtungen einer wissenschaftlichen Theorie widersprechen, dann nimmt man selbstverständlich an, daß die angenommenen Naturgesetze falsch sind, und nicht, daß die Annahme universeller Naturgesetze selbst falsch ist. Man passt gewissermaßen periphere Theorien an, und läßt die Annahmen im Kern unberührt. Dieses Vorgehen ist schlicht notwendig für die Naturwissenschaften, denn es stellt sicher, daß die Wissenschaftler nach der Entdeckung von nach bisherigen wissenschaftlichen Theorien unerklärbaren Phänomenen nicht die Hände in den Schoß legen und feststellen, daß es keine Naturgesetze gibt, die die Welt erklären, sondern daß sie sich daran machen, nach besseren wissenschaftlichen Theorien zu suchen.
Und was machen die Gläubigen? Nichts anderes. Auch sie haben einen harten Kern, an dem nicht gerührt werden darf. Die eher peripheren Aussagen der Religion dagegen können so angepaßt werden, daß sie gut zur Welt passen. Wenn beispielsweise der im neuen Testament erwartete Weltuntergang ausgeblieben ist, dann hat man halt an dieser Stelle etwas falsch verstanden. Der Kern göttlicher Offenbarung wird dadurch aber nicht widerlegt. Und wenn Gott nun mal gütig ist, und doch Naturkatastrophen auftreten, dann muß sich seine Güte nun mal in anderer, komplexerer Form äußern.
Gewissermaßen als letztes Aufbäumen mag der Verfechter der Wissenschaftlichkeit jetzt vieleicht noch einwenden, daß zumindest die peripheren wissenschaftlichen Aussagen prinzipiell widerlegbar sind, die der Religionen aber nicht. Dies ist bereits grundsätzlich kein besonders starkes Unterscheidungskriterium, in der Praxis aber bleibt nichts davon. Denn mitnichten führt jedes nicht sofort erklärbare Phänomen zur Verwerfung der zuständigen wissenschaftlichen Theorie. Oft genug wird das Problem als nicht wesentlich eingestuft. Man nimmt noch unbekannte Einflußfaktoren an, die es zu erkennen gilt, man stellt das Problem zurück, man ignoriert es. Nur wenn die Widersprüche zu häufig und in zu vielen verschiedenen Situationen auftreten, dann wird die wissenschaftliche Gemeinschaft veranlaßt, sich mit dem Problem intensiv zu beschäftigen. Ein schönes neueres Beispiel hierfür ist die Pioneer-Anomalie, die keinesfalls zur Aufgabe der gegenwärtigen Gravitationstheorien geführt hat.
Und umgekehrt kann man auch gelegentlich in den Religionen eine Anpassung an die Welt beobachten. Etwa im erwähnten Fall des fehlenden Weltuntergangs. Oder im Abrücken vom wörtlichen Verständnis des Schöpfungsberichts in zumindest manchen Kirchen. Oder in der Akzeptanz des heliozentrischen Weltbildes.
Sicherlich ist die Falsifizierbarkeit von peripheren Aussagen in den Wissenschaften viel eher üblich als in den Religionen. Tatsächlich handelt es sich dabei aber nur um einen zugegebenermaßen großen quantitativen Unterschied, nicht aber um ein prinzipielles Unterscheidungsmerkmal.

Pragmatismus und Charakter
Wo wir also keinen wirklichen, prinzipiellen Unterschied zwischen wissenschaftlichem und religiösem Wissen finden können, so bleibt der Vernunft nur der Rückfall auf den reinen Pragmatismus. Ein schönes Schlußwort könnte man jetzt von Willard Quine nehmen, der diese Probleme auf einem erheblich tieferen Niveau analysiert hat, bevor er feststellt:
"Einem jeden Menschen ist ein wissenschaftliches Erbe und ein fortdauerndes Trommelfeuer sensorischer Stimulation gegeben; und die Betrachtungen, die ihn anleiten, wenn er sein wissenschaftliches Erbe dem fortdauernden sensorischen Eingaben anpaßt, sind da, wo sie rational sind, pragmatisch."
Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist also schlicht, in welcher Welt wir leben wollen. In einer Welt, in der für einen Kranken gebetet werden soll, oder in der er mit wissenschaftlich fundierten Therapien behandelt werden soll? In einer Welt, in der Geld für religiöse Rituale ausgegeben werden soll, oder für technische und wissenschaftliche Entwicklungen? Das Problem ist bei dieser Wahl nur: die verschiedenen Optionen schließen sich nicht gegenseitig aus. Ich kann mich einer soliden medizinischen Behandlung unterziehen und dabei beten. Ich kann Kirchensteuer zahlen und mit meinen Steuern die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanzieren. Und so geht es bei der Unterscheidung zwischen Religion und Vernunft nicht etwa um ein logisches Problem und auch nicht um eine Frage des Pragmatismus, sondern es ist eine Frage des Charakters. Will ich an etwas glauben, das mich tröstet, oder kann ich in einer Welt leben, die sich nicht für meine Probleme interessiert? Will ich an etwas glauben, das mir Anleitung bietet, oder kann ich die Verantwortung eigener Entscheidungen ertragen?
Wie die Mehrheit der Menschen diese Fragen beantwortet, ist ja hinlänglich bekannt.

Mittwoch, 18. August 2010

Nix begriffen? Macht nix!

Spricht man mit einem Gläubigen über Sinn und Unsinn seines Gottesglaubens, dann kommt früher oder später die Bemerkung, die Wissenschaft und der Verstand könnten auch nicht alles erklären. Und was sollte man darauf anderes erwidern als "Stimmt"? Dies ist dann der Moment eines triumphalen "Siehste! Und darum braucht man Gott!" seitens des Gläubigen. Also gut, nehmen wir an, Gott ist notwendig, um die Dinge zu erklären und die Fragen zu beantworten, die mit dem begrenzten menschlichen Verstand nicht begreifbar sind. Wie ist es dann aber mit diesem Gott selber? Kein Gläubiger, dessen Verstand über das Gottesbild eines alten Mannes mit weißem Bart auf einer Wolke hinausreicht, wird behaupten, er könne Gott mit seinem Verstand begreifen. All dieses Ewige, Unendliche, Allmächtige, all diese seltsamen Ratschlüsse, das geht eindeutig über das menschliche Begriffsvermögen hinaus. Das wissen selbst die Berufsgläubischen ganz genau. Z.B. Thomas von Aquin:
"Wir können von Gott nicht erfassen, was er ist, sondern bloß, was er nicht ist und wie sich die anderen Wesen auf ihn beziehen." (Summa Contra Gentiles, 1,30)
Oder auch der verblichene Johannes Paul II:
"Doch die Erkenntnis, die wir von diesem [=Gottes] Antlitz haben, ist stets von der Bruchstückhaftigkeit und Begrenztheit unseres Begreifens gezeichnet." (Fides et Ratio, Kapitel I)
Ja, dieser gesteht im selben Text ganz unumwunden das Vernunftwidrige am christlichen Glauben ein:
"Der gekreuzigte Sohn Gottes ist das geschichtliche Ereignis, an dem jeder Versuch des Verstandes scheitert, auf rein menschlichen Argumenten einen ausreichenden Beleg für den Sinn des Daseins aufzubauen. Der wahre Knotenpunkt, der die Philosophie herausfordert, ist der Tod Jesu Christi am Kreuz. Denn hier ist jeder Versuch, den Heilsplan des Vaters auf reine menschliche Logik zurückzuführen, zum Scheitern verurteilt." (Fides et Ratio, Kapitel II)
Also noch mal zusammengefaßt. Die Tatsache, daß ich gewisse Dinge mit meinem kleinen menschlichen Verstand nicht begreifen kann, vermag ich nicht zu akzeptieren. Daher verwende ich einen Gott als Erklärung für diese Dinge. Gott selber kann ich mit meinem kleinen menschlichen Verstand auch nicht begreifen, aber hier kann ich das jetzt akzeptieren.
Irgendwas an dieser Herangehensweise scheint mir nicht so ganz lupenrein. Mit meinem kleinen menschlichen Verstand gefragt: Was habe ich denn jetzt so rein erkenntnismäßig durch die Einführung Gottes gewonnen?

Sonntag, 15. August 2010

Geld oder Werte?

Diese Woche fanden sich in den Zeitungen zwei bemerkenswerte Artikel. Im Ersten klagte der Literaturwissenschaftler Martin Hielscher in der Süddeutschen über das sich wandelnde Verhältnis zwischen Gesellschaft und Literatur [1]. Er bemängelt die Zuspitzung des literarischen Diskurses auf wenige einzelne Werke, von denen nichts zu verbleiben scheint, wandert der Scheinwerfer der Aufmerksamkeit erst einmal weiter zu neuen, bejubelten Veröffentlichungen. Einen Tag früher schrieb Jana Hensel verbittert in der Zeit über die neue Generation konservativer Politiker in Deutschland [2]. Sie empfindet es, und wie den Kommentaren zum Artikel nach zu beurteilen auch viele andere, als unangenehm, von Menschen regiert zu werden, die bereits mit 14 Jahren wußten, was richtig ist, und die, so scheint es, ihre Überzeugungen ihre Karriere hinauf bis auf die Regierungsbank auch niemals überdenken oder gar revidieren mussten. Und tatsächlich beschreiben diese beiden Artikel zwei Randsymptome eines gemeinsamen und noch vielen anderen Sorgen dieser Tage verursachenden Übels: dem Fehlen von Werten.

Keine Werte, nirgends
Das ausgerechnet ich mich jetzt über einen Mangel an Werten beklage, überrascht mich selbst ein bisschen. Aber ich möchte Werte hier keinesfalls auf irgendwelche konserative Bedeutungen eingeschränken, sondern sie im weitesten Sinne verstanden wissen, vom Christentum bis meinetwegen zur Hippiebewegung. Ein Wert sei hier alles Erstrebenswerte jenseits materieller Interessen.
Der Mangel an solchen Werten ist speziell ein Problem Deutschlands, und allgemein eines Westeuropas. Herr Hielscher weist zu Recht auf den Verlust einer gesellschaftlichen Utopie als Mitursache der literarischen Misere hin, doch fehlt es an Utopien in jeder Hinsicht. Unser Gott ist tot, und es bleibt uns erspart, zu seinen Ehren Kathedralen zu errichten oder Epen zu schreiben. Der Glaube an ein Verbessern der Welt durch technischen Fortschritt wurde zum unerfüllten Wunschdenken und erscheint nach Reaktorkatastrophen und Chemieunglücken nur noch naiv. So bleibt es uns verwehrt, uns an technischen Superlativen zu erfreuen, statt dessen bohren wir nach den Schäden, die wir mit unserem Tun in der Welt anrichten, sollten sie sich nicht freiwillig zeigen.
Doch auch auf einer persönlicheren Ebene bleibt nicht viel an Werten übrig. Müßiggang ist als Freizeitgestaltung inzwischen unbekannt. Zu Auslandsaufenthalten entscheidet man sich nicht mehr aufgrund seines Interesses an anderen Kulturkreisen oder aus einem diffusem Drängen nach Selbstfindung heraus, sondern weil der Lebenslauf danach verlangt. Schließlich muß man im Vorstellungsgespräch internationale Erfahrungen vorweisen können. Und dieses Leben für den Lebenslauf nimmt groteske Formen an, wenn in Managementseminaren dezent darauf hingewiesen wird, daß ehrenamtliches Engagement im sozialen Bereich einem Manager gut zu Gesicht steht - allein schon aus dem Grund, da man in Führungspositionen soziale Verantwortung und Sensibilität an den Tag legen muß. Vor dem Hintergrund solchen Denkens sind Lücken oder Brüche im Lebenslauf längst von einem normalen Anzeichen menschlicher Entwicklung zu einer lauten Warnung vor Ineffizienz und mangelnder Hingabe geworden. In einer Zeit, in der man selbst bei einer Bewerbung als Bürogehilfe noch versichern muß, daß es sich dabei schon immer um den eigenen Traumberuf gehandelt hat, sind solche Imperfektionen nur dann akzeptabel, wenn man glaubhaft machen kann, dadurch an materiell verwertbaren Kompetenzen gewonnen zu haben.

Stolz? Wie unreif!
Vollendet wird dieser gesellschaftliche Verlust an Werten durch das Abhandenkommen der wichtigesten und am weitesten verbreiteten nichtmateriellen Motivation, der Freude und dem Stolz auf die eigenen Fähigkeiten. Dieses Motiv mag schon beim Bau der Pyramiden oder der Kathedralen neben dem religiösen Antrieb eine Rolle gespielt haben, dem modernen Westeuropa aber geht es vollends ab. Seitdem der Eiffelturm 1930 vom Chrysler Building als höchstes Gebäude der Welt abgelöst wurde, ging dieser Rekord nie wieder nach Westeuropa. Und das nicht etwa aus Mangel an finanziellen oder technologischen Möglichkeiten. Man stelle sich nämlich nur die öffentliche Entrüstung und den losbrechenden Sturm an Protesten vor, wollte jemand diesen Rekord tatsächlich wieder in unseren Teil der Welt holen! Was das kostet, das ist doch wirtschaftlicher Unsinn, das verschandelt die Stadt, das ist nur albernes Geprotze, das wir doch nicht nötig haben. Und so werden es andere sein, in Amerika oder Asien, die auf das höchste Gebäude der Welt stolz sein können und diese Rekordliste weiter schreiben werden.
Noch drastischer fällt der Mangel an Begeisterungsfähigkeit für die eigenen Kräfte in der bemannten Weltraumfahrt ins Auge [3]. Denn hier ist es ausgerechnet das reiche Westeuropa, in dem der Sinn der Ausgaben für dieses materiell wenig lohnende Unterfangen immer wieder angezweifelt wird, während ärmere Länder wie China oder Indien in dem Weltraum drängen, um der Welt ihre eigenen Fähigkeiten vorzuführen und sich selbst dadurch zu feiern. Und gerade in der Großforschung, nicht zuletzt in der Weltraumfahrt, zeigt sich das ganze paradoxe Ausmaß dieses Werteverlusts. Denn man ist vieleicht geneigt, die Wissenschaft, für die in Europa, gerade in Gemeinschaftsprojekten wie der gemeinsamen Weltraumagentur ESA, große Summen ausgegeben werden, als eine Tätigkeit anzusehen, die doch noch über rein materielle Interessen hinaus reicht. Und hier gibt es immer wieder öffentliche Kritik an der vermeintlich nutzlosen Verwendung von Steuergeldern. Und auch wenn eine Organisation wie die ESA in ihrer Selbstdarstellung viel Gewicht auf ihren Auftrag zur Forschungsförderung legt, man muß nur eine Ebene weiter vordringen, etwa zum Ministerrat, dem Gremium der europäischen Fachminister, das das Budget und die politischen Ziele der ESA festsetzen. Dort findet sich unter den strategischen Zielen der europäischen Raumfahrt nichts mehr von Erkenntnisgewinn über das Universum, oder ähnlich romantische Vorstellungen, sondern Dinge wie "die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen zur Nutzung im Alltag zu fördern" oder Europas "Position auf dem weltweiten Markt für Weltraumsysteme, -dienste und -anwendungen zunehmend zu stärken" [4]. Man sollte also nicht glauben, eine Weltraummission werde nach rein wissenschaftlichem Nutzen ausgewählt. Selbst in Bereichen in denen manche, die einen erfreut, die anderen ob der Geldverschwendung erbost, noch immaterielle Werte vermuten, dominieren längst pragmatische und materielle Interessen.

Effizient oder egal
Wenn nun unserer Gesellschaft jedes irgendwie höhere Ziel abhanden gekommen ist, so ist es auch nicht verwunderlich, daß die Ökonomie, nun von jeder anderen Aufgabe befreit, zum reinen Selbstzweck geworden ist. Es ist die schon immer wieder kurz erwähnte wirtschaftliche Effizienz, die den leitenden Gedanken für alles Handeln stellt. Das höchste Gebäude der Welt zu bauen dient keinem höheren Zweck, stellt keinen Wert für sich dar, und wird daher aus rein ökonomischen Gesichtspunkten abgelehnt. Ebenso ergeht es der bemannten Raumfahrt. Manch einer würde wohl auch die Pyramiden als billige Baustoffquelle abtragen, würden sie nicht als Tourismusmagnet mehr Geld einbringen. Und letztlich widerfährt es einem jeden Einzelnen mit seinem Lebenslauf so. Anerkennung, oder doch zumindest Akzeptanz, findet nur, was ökonomisch verwertbar ist. Kinder zu erziehen zählt da ebenso wenig wie einige Jahre nach Goa auszusteigen oder sich zeitweilig für nichts als lateinamerikanische Literatur zu begeistern.
Wen wundert es also noch, wenn Führungspersonal, sein es in der Wirtschaft, sei es in der Politik, nur nach Geradlinigkeit und Stromlinienform ausgesondert wird? Was ist überraschend daran, daß es allein kommerzielle Interessen sind, die den öffentlichen Diskurs über Literatur bestimmen, und Bücher nur gekauft, und vieleicht manchmal sogar noch gelesen werden, um die Erwartungen der Gesellschaft zu erfüllen? Es ist nur verständlich, daß wir Mittelmaß hervorbringen, wenn uns Großes nicht interessiert, und uns immaterielle Werte nur noch als naive Phantasien pubertärer Naturen erscheinen. Doch wenn wir unsere gesellschaftliche Impotenz so auch noch für Abgeklärtheit halten, dann müssen wir uns zumindest nicht wundern, wenn wir anderen, pubertären Gesellschaften beim frohen Gestalten der Zukunft in allen Bereichen nur noch zusehen.

Donnerstag, 12. August 2010

Wissenschaft auf dem Medienstrich

Als Wissenschaftler hat man es wohl nicht immer leicht. Da widmet man sich hingebungsvoll dem Gegenstand seiner Forschungen, und dann muß man sich anhören, daß die eigene Arbeit eigentlich niemanden interessiert, und daß sie schon gar nicht von Nutzen sei. Sprich, was man, steuerfinanziert, tut, ist überflüssig. Und sicherlich ist es jetzt schwierig, Menschen, deren wissenschaftliche Bildung ihnen durch Bild, Galileo und Focus vermittelt wurde, zu erklären, daß auch Themen wie prosodisches Diffusionsvermögen in südostasiatischen Sprachen oder Modellsysteme für Infektionskrankheiten und Krebs bei Zebrafischen durchaus interessante oder gar nützliche Arbeitsgebiete sind. Und wenn dann auch noch gewichtige Zeitungen (Welt!) gewichtige Sätze (von Steve Fuller) wie
"Universitäten erfüllen ihre natürliche ökonomische Funktion, wenn Wissenschaftler leicht verständlich reden und schreiben, akademischen Jargon entmystifizieren und Anwendungsmöglichkeiten in Wissensgebieten hervorheben, die nicht die Akademiker selbst anbelangen."
auf wehrloses Papier drucken, dann kann man schon verstehen, wenn Wissenschaftler gelegentlich mal einen Zeitungartikel über ihre Arbeit veröffentlicht sehen wollen. Immerhin muß man ja zeigen, daß das, was man so tut, leicht verständlich und nicht mystifiziert ist und außerdem nicht nur für Akademiker interessant, denn es geht ja ums Geld.
Naturgemäß aber sind die Chancen, einen populärwissenschaftlichen Artikel in die Medien zu kriegen, sehr ungleich unter den verschiedenen Wissenschaften verteilt. Die Psychologie mag es da noch vergleichsweise leicht haben. Ihr Forschungsgegenstand erweckt leicht das Interesse der Öffentlichkeit, und wenn man zum Beispiel schnell eine Studie über irgendwas mit Unterschieden zwischen Mann und Frau veröffentlicht, dann kann man sich sicher sein, damit durch die verschiedensten Zeitschriften zu wandern. Auch die Astronomie hat es noch relativ gut. Da gibt es viele offensichtlich interessante Themen, und wenn es einem gelingt, die eigene Arbeit irgendwie mit Monster-Schwarzen Löchern, außerirdischem Leben oder dem Weltende durch Asteroideneinschlag in Verbindung zu bringen, dann ist einem auch Aufmerksamkeit sicher (das gilt natürlich erst recht, wenn man "NASA-Wissenschaftler" ist). Aber was tun, wenn man nur ein einfacher kleiner Laborchemiker ist, oder seine Zeit mit dem Interpretieren altertümlicher Schriften verbringt? Kein Problem, auch da gibt es ein sicheres Rezept für mediale Aufmerksamkeit! Alles, was man braucht, sind die altbewährten Zutaten:
Zunächst mal muß eine Berühmtheit her. Celebrities gehen schließlich immer in den Zeitungen. Um sich nicht in Rechtstreitereien oder zu vielen Fakten zu verlieren, sollte man auf jeden Fall eine Person auswählen, die schon lange genug tot ist, um von rein historischem Interesse zu sein (zur Not gehen auch fiktive Personen, aber da ist der Vorrat nicht so groß). Und am besten kombiniert man diese Person dann natürlich mit Sex, Gewalt, Verbrechen, Tod. Gut, Sex ist schwierig bei schon ziemlich lange toten Personen. Manch einer schafft es zwar noch mit Fragen wie War Goethe schwul? oder War Tutanchamun ein Inzest-Kind? in die Zeitungen, aber einfacher und auch weniger offensichtlich voyeuristisch ist doch Gewalt, Verbrechen und Tod. Und gerade hier bietet sich natürlich das Ereignis, das die ausgewählte Berühmtheit erst zu einer toten Berühmtheit gemacht hat, selbst an! Der Rest ist jetzt wissenschaftliche Routinearbeit und verlangt keine besondere Originalität. Schnell ein Haar Beethovens in das Massenspektrometer gefummelt, oder die historischen Aufzeichnungen zum Tode Kleopatras mit den Symptomen eines Schlangenbisses verglichen, und schon hat man etwas in der Hand, mit dem einem der Weg in die Zeitungen und Zeitschriften offen steht! Und wir alle können dann Artikel zu Fragen lesen wie etwa:
Starb Kleopatra gar nicht am Biss einer Kobra?
Starb Beethoven an einer Bleivergiftung?
Oder doch nicht?
Starb König Herodes an einer Geschlechtskrankheit oder an Nierenversagen?
Wurde Alexander der Große mit verseuchtem Wasser vergiftet?
Starb Napoleon an einer Arsenvergiftung?
Oder starb er doch an Magenkrebs?
Und so weiter und so fort...
Also, geht doch! Die Eierköpfe können doch verständliche, relevante und interessante Forschung machen, wenn man sie nur ein bisschen drängt!

Dienstag, 10. August 2010

Ach du liebe Götter!

Man stelle ich vor, man sitzt am Strand und betrachtet zufrieden die weite Bucht und das blaue Meer vor sich, und dann kommen einige junge Damen und beginnen, sich ausgerechnet ganz in der Nähe oben ohne zu sonnen. Dann heißt es geistige und sittliche Reife an den Tag zu legen, etwa indem man mal wieder über Gott nachzudenken beginnt! Und das geht dann in etwa so:
Wenn offenbar alles eine Ursache hat, dank derer es existiert, dann ist es doch nur logisch und kaum anders denkbar, daß auch das Universum als Ganzes eine Ursache hat, der es seine Existenz verdankt. Und diese Ursache, das ist eben Gott. Aber dann sieht man sich plötzlich vor großen Schwierigkeiten, was Ursache und Wirkung überhaupt heißt. Schließlich ist das Verhältnis zwischen beiden ausgesprochen asymmetrisch. Die Ursache zieht klar die Wirkung nach sich, aber die Wirkung nicht die Ursache. Eine naheliegende Möglichkeit, Ursache und Wirkung zu sortieren, ist natürlich die Zeit. So könnte man, neben allen anderen Anforderungen, die nötig sind, etwas als die Ursache von etwas anderem zu identifizieren, verlangen, daß die Ursache der Wirkung zeitlich vorausgehen muß. Aber mal ganz abgesehen von den Problemen, die man sich damit bei Ursache und Wirkung innerhalb des Universums einhandelt (denn die Richtung der Zeit bestimmt man ja auch wieder aus der Abfolge von Ursache und Wirkung) - bevor es das Universum gab, gab es ja auch die Zeit nicht. Denn die ist ja mit dem Raum und allem möglichen Füllmaterial mit dem Universum gemeinsam entstanden. Also muß man, will man von der Ursache für die Entstehung des Universums reden, einen Ursachebegriff verwenden, der keinen Rückgriff auf die Zeit vornimmt. Und den gibt es auch, nämlich gerade dadurch, daß die Wirkung eindeutig aus der Ursache folgt, aber nicht umgekehrt. Wenn man weiß, daß ein Flugzeug abgestürzt ist, weiß man dadurch noch gar nichts über die Ursache des Absturzes. Wenn man aber weiß, daß in einem Flugzeug die Bordelektronik in Brand geraten ist, dann ist es nicht schwer zu schließen, daß das Flugzeug abgestürzt ist. Und solche Überlegungen funktionieren ganz ohne einen Zeitbegriff! Allerdings benötigt man, will man auf diese Weise Ursache und Wirkung sortieren, dann immer mehr als nur eine mögliche Ursache. Denn nehmen wir an, gäbe nur genau einen Grund, weshalb ein Flugzeug abstürzen könnte, nennen wir ihn mal "Bum". Dann wissen wir ohne einen Rückgriff auf die Zeit nicht, ob das Flugzeug abgestürzt ist, weil "Bum", oder ob "Bum", weil das Flugzeug abgestürzt ist.
Und damit sieht man schon das Problem. Wenn es nur einen Gott gibt, dann kann man von ihm nicht als die Ursache für die Existenz des Universums sprechen, denn man kann unmöglich sagen, ob es das Universum wegen Gott gibt, oder Gott wegen des Universums. Wenn also Gott die Ursache für die Existenz des Universums ist, dann muß es mehrere, voneinander verschiedene Götter geben, damit der Begriff Ursache einen Sinn hat. Und dann habe ich aber keinen Grund, an einen bestimmten Gott zu glauben. Oder aber, Ursache und Wirkung und das Universum als Ganzes haben gar nichts miteinander zu tun. Und auch dann brauche ich nicht an einen Schöpfergott zu glauben.
Und was lernt man aus diesen Überlegungen? Wohl, daß es wieder einmal besser gewesen wäre, man hätte seine Zeit doch mit anderen Betrachtungen zugebracht...

Freitag, 6. August 2010

Strafe mich, oh Herr!

Ist es nun amüsant oder erschreckend, daß sich Menschen die im Laufe der Geschichte über die erhebliche Anstrengungen des Verstandes erarbeiteten Computer und das Internet zunutze machen, um von der Strafe Gottes zu schwadronieren? So tat es z.B. Eva Hermann, wenn die meint, sich zur Katastrophe auf der letzten Love Parade äußern zu müssen. Und inzwischen hat sie auch bischöfliche Unterstützung für ihrer Thesen bekommen. Aber auch schon das Erdbeben von Haiti war eine göttliche Strafe, und jetzt vieleicht auch die Waldbrände in Russland. Wenn man aber annimmt, daß sündiges Verhalten die Strafe Gottes nach sich zieht, dann kann man doch wohl auch umgekehrt schließen, daß das Ausbleiben von Strafe anzeigt, daß Gott mit anderen Verhaltensweisen kein so großes Problem hat? Etwa mit der Homosexualität, denn bisher hat sich bei noch keinem Christopher Street Day eine Erdbebenspalte unter den dreiviertelnackten Perversen aufgetan. Oder mit der Abtreibung, denn die Brände in Russland zerstören vieleicht des ein oder anderen armen Tropfes Heim und Datscha, aber keine Abtreibungskliniken. Erschreckender Weise schien Gott nicht mal ein Problem mit Nazis zu haben, denn es gab keine Massenpaniken auf Reichsparteitagen. Gottes Wege sind also wie immer unergründlich. Und das hat zumindest den Vorteil, daß man sich nicht von eventuell noch vorhandenem Restverstand aufhalten lassen muß, wenn man sich mal wieder die Welt zurecht interpretiert.

Mittwoch, 4. August 2010

Am Rande erwähnt...

Darmstadt freut sich, daß ein Asteroid nach dieser Stadt benannt wurde. Und die Frankfurter Rundschau schreibt:

Allerdings ist die Internationale Astronomische Union (IAU) dann doch etwas mehr als ein Gremium mit 16 Mitgliedern. Sowohl Individuen als auch nationale Organisationen können Mitglied werden, und z.Z. hat die IAU 10126 Personen und 70 nationale Organisationen als Mitglieder. Was 16 (oder 17) Mitglieder hat, ist das Komitee zur Namensgebung kleiner Körper der IAU, das u.a. über die offizielle Benennung von Asteroiden entscheidet. Aber das würde vieleicht schon wieder zu kompliziert für eine Zeitung werden...
Und bevor man wieder anmerkt, daß solche kleinen Schlampigkeiten eigentlich nicht der Rede wert sind, sollte man sich kurz überlegen, was man denn von einer Zeitung halten würde, wenn sie schriebe, der Deutsche Fußball Bund hätte 16 Mitglieder?

Dienstag, 3. August 2010

Lasse Redn?

Natürlich ist ein jeder in Deutschland so lange unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist. Und selbstverständlich wollen wir alle (naja, fast alle) niemanden vorverurteilen. Aber ein bisschen über Anschuldigungen reden, das können wir doch wohl natürlich schon. Und wieviel "ein bisschen" ist, darüber kann man sich schnell mal mittels Trefferzahlen von Suchmaschinen einen Überblick verschaffen. Nehmen wir also mal aus aktuellem Anlaß den Suchbegriff "Kachelmann Vergewaltigung". Spannend wird es schon, wenn man die Suchfunktionen im online-Angebot diverser Medien ausprobiert. Die Trefferzahlen für eine willkürliche kleine Auswahl sind etwa:
Focus....................................177
Die Welt................................143
Bild.......................................111
Frankfurter Rundschau...........50
B.Z.........................................45
Süddeutsche Zeitung.............37
Der Spiegel............................35
Der Tagesspiegel...................32
Frankfurter Allgemeine..........26
Die Zeit...................................7
taz...........................................7
Emma.....................................1
Bei google kommt man dann noch auf ca. 139 000 Treffer im ganzen Netz (und damit liegt "Kachelmann Vergewaltigung" übrigens noch vor "Medienkritik" (127 000 Treffer), "Rufmord" (102 000 Treffer), "Unschuldsvermutung" (102 000 Treffer) und "Vorverurteilung" (70 800 Treffer)). Und warum redet man so viel über traurigerweise nicht seltene Vorwürfe gegen einen Mann, dessen gesellschaftliche Bedeutung darin besteht, den Wetterbericht vorzutragen und ab und zu einen Joghurt in die Kamera zu halten? Eben, dafür gibt es keinen Grund, außer eben, daß man gerne tratscht. Und was wäre Getratsch ohne Vorverurteilung? Also, entweder hört auf mit dem Geheuchel und sagt doch einfach mal offen heraus, daß es euch völlig egal ist, ob der Mann durch irgendwelches Geschwätz vorverurteilt wird oder nicht. Oder, wenn dem nicht so ist, dann haltet doch einfach mal die Klappe!