Donnerstag, 30. Dezember 2010

Mit Pornos die Psi-Kraft wecken

Zum Jahresende wird's dann doch noch mal unheimlich! Denn D. J. Bem, ein Psychologe an der Cornell University, hat eine Vorabversion eines Fachartikels bereitgestellt, in der es um nichts Geringeres als den experimentellen Nachweis von Psi-Kräften geht! Der vielversprechende Titel: "Die Zukunft fühlen: Experimentelle Beweise für anormale rückwirkende Einflüsse auf Kognition und Affekt" (Feeling the Future: Experimental Evidence for Anormalous Retroactive Influences on Cognition and Affect). Und in diesem Artikel werden neun psychologische Experimente und ihre Ergebnisse vorgestellt, die es in der Tat in sich haben! Denn es wird Anspruch auf den Nachweis erhoben, das zukünftige Ereignisse, deren Eintreten nicht determiniert ist, das Denken und Handeln beeinflussen können. So soll es Menschen möglich sein, den Ort des Auftauches von Pornobildern (oder Darstellungen von "Paaren, die in nicht gewalttätigen und einvernehmlichen, aber expliziten sexuellen Handlungen involviert sind", wie es der Wissenschaftler formuliert) am Computerbildschirm zu kennen, noch bevor ein Zufallsgenerator diesen Ort festgelegt hat. Oder man soll sich besser an Worte erinnern, die man in der Zukunft lernen wird, selbst wenn man gar nicht weiß, daß man sie lernen wird und ein Zufallsgenerator die zu lernenden Worte noch gar nicht bestimmt hat. Die Forschungsergebnisse sind natürlich spektakulär, so daß ich mal vergessen will, daß ich weder Psychologe noch Statistiker bin, um doch mal einen tieferen Blick in den Artikel zu werfen!

Natürlich sind die anormalen Einflüsse der Zukunft auf gegenwärtige Entscheidungen sehr klein. Wären sie es nicht, man würde sie ja im Alltag bemerken. Die geringe Stärke dieser Effekte zwingt einen allerdings dazu, statistische Rechnungen durchzuführen, um zu entscheiden, ob der beobachtete Effekt bloßer Zufall ist, oder echte "Psi-Kräfte" am Werk sind. Am einfachsten zeigt sich dies am ersten Experiment des Artikels. Dort sollen Probanden vorhersagen, in welchem von zwei Feldern auf dem Bildschirm ein Bild auftauchen wird. Nach der Wahl des Probanden wählt ein Zufallsgenerator das Feld aus, auf dem das Bild dann gezeigt wird. Wäre nur der Zufall am Werk, man sollte im Mittel 50% richtige Vorhersagen erwarten. Wenn es aber um Pornobilder geht, lag die Trefferquote bei 53,1%, also leicht über der erwarteten Trefferrate durch Zufall. Ist das nun ein Beweis für eine rätselhafte Vorhersage der Zukunft? Um das zu entscheiden, braucht man die Statistik. Denn wenn man nur wenige Versuche durchführt, wird es nicht unwahrscheinlich sein, vom theoretischen Mittelwert abzuweichen, auch wenn nur purer Zufall im Spiel ist. Wenn man etwa eine Münze nur zwanzig mal wirft, wird es nicht besonders verdächtig erscheinen, wenn man 12 mal "Kopf" und nur 8 mal "Zahl" geworfen hat. Wenn man aber zwei Million mal die Münze wirft, und man 1,2 Mio. mal "Kopf" und nur 800 000 mal "Zahl" bekommen hat, dann würde vieleicht doch der Verdach aufkommen, daß die Münze leicht manipuliert wurde. Und so muß man auch im Artikel entscheiden, was noch normaler Zufall ist, und was schon ein echter Effekt. Und dazu werden vom Autor des Artikels auch eine ganze Reihe statistischer Testmethoden herangezogen, deren Ergebnisse fast durchgängig lauten, daß die Wahrscheinlichkeiten für ein rein zufälliges Zustandekommen der Versuchsergebnisse bei so um die 1% für die einzelnen Experimente liegen. Für ein Experiment mag das noch nicht so beeindruckend sein, aber bei neun Experimenten? Das ist dann schon bemerkenswert, und man möchte die Ergebnisse gerne mal genauer ansehen! Aber da beginnen dann die Probleme.

Denn im Artikel werden die tatsächlichen Versuchsergebnisse fast gar nicht präsentiert, und es ist kaum möglich, die angegebenen Wahrscheinlichkeitswerte für das zufällige Zustandekommen der Ergebnisse nachzurechnen. Das einzige, was für manche Versuche möglich ist, ist das überprüfen der "Binomialtests", die der Autor durchgeführt hat. Und da begegnen einem kleine Merkwürdigkeiten...

Fangen wir mit Experiment 1, dem mit den Pornobildern, an. In der Versuchsbeschreibung steht, daß einmal 40 Testpersonen je zwölf Rateversuche mit Pornobildern, als negativ empfundenen Bildern und neutral wirkenden Bildern ausgeführt haben. Weitere 60 Testpersonen haben je 18 Versuche mit Pornobildern und nichterotischen, aber positiv belegten Bildern vorgenommen. Also sollten insgesamt 40 mal 12 plus 60 mal 18, d.h. 1560 Versuche mit erotischen Bildern durchgeführt worden sein. Von allen Versuchen mit erotischen Bildern sollen in 53,1% richtige Vorhersagen gemacht worden sein. Das wären also 828 oder 829 Treffer, genau läßt sich das bei der Rundung auf eine Nachkommastelle nicht sagen. Dieses Ergebnis hat der Autor einem Binomialtest gegen die Hypothese, daß das Versuchsergebnis nur Zufall ist, getestet. Dabei gibt er einen z-Wert von 2,30 und eine Wahrscheinlichkeit p dafür, daß man 828 (oder 829?) Treffer oder mehr bei 1560 Rateversuchen hat, von 1.1% an.
Rechnen wir nach. Den z-Wert erhält man, indem man den gemessenen Wert (hier: 828 oder 829) auf eine Normalverteilung mit Mittelwert 0 und Standardabweichung 1 umrechnet. Die Umrechnung sollte im vorliegenden Fall sehr einfach sein, denn die Meßergebnisse sollten, wenn nur der Zufall im Spiel ist, einer Binomialverteilung mit p = 0,5 folgen. Bei n Versuchen (hier ist n = 1560) ist der Erwartungswert dann n/p und die Varianz ist die Quadratwurzel aus np(1-p). Um zum z-Wert zu gelangen, muß vom Wert der Erwarungswert abgezogen werden, und durch die Varianz geteilt werden. Mit den angegeben Zahlen (p = 0,5, n = 1560) kommt man damit auf einen z-Wert von 2,43 (für 828 Treffer) oder 2,48 (für 829 Treffer), aber nicht auf 2,30, wie im Artikel genannt. Keine Ahnung, was hier falsch ist.
Die Wahrscheinlichkeit p läßt sich direkt aus der kumulativen Binomialverteilung bestimmen. Für 828 Treffer wäre die 0,81%, für 0,70%, aber nicht 1,1% wie im Artikel. Allerdings erhält man die angegeben 1,1%, wenn man den z-Wert von 2,30 nimmt, und eine Normalverteilung annimmt. Offensichtlich sind alle Wahrscheinlichkeiten im Artikel nicht aus der Binomialverteilung direkt, sondern über den z-Wert aus einer Normalverteilung berechnet worden. Das ist vieleicht nicht sehr elegant, verursacht aber nur einen kleinen Fehler.

Woher nun die Abweichungen zwischen dem obigen Nachrechnen und dem Artikel kommen, weiß ich leider nicht (Kommentare erwünscht!). Aber es gibt noch einige wenige weitere Fälle im Artikel, bei denen man den Binomialtest nachrechnen kann. Und da sind die gefundenen Abweichungen nur sehr klein, dafür aber umso merkwürdiger.
Nehmen wir erst mal Tabelle 2. In der zweiten Spalte sind da die Ergebnisse für Experiment 2 angegeben. Unter insgesamt 5400 Versuchen waren 2790 Treffer, d.h. die Trefferrate lag bei 51,7% (richtig). Der z-Wert dazu wird mit 2,44 angegeben. Rechnet man selber nach, so findet man 2,45. Das ist noch nicht sehr dramatisch, und den Wert für p von 0.7% ergibt sich aus der Normalverteilung sowohl für 2,44 als auch für 2,45. Vieleicht nur ein kleiner Rundungsfehler.
Gehen wir zur Tabelle 3. Hier finden sich 963 Treffer für 1800 Versuche, also eine Rate von 53,5% (richtig). Der angegebene z-Wert liegt bei 2,95. Wenn man nachrechnet, findet man aber 2,97. Das ist schon merkwürdiger. Der Wert von p von 0.2% muß dann auch mit z = 2,95 ausgerechnet worden sein, denn mit z = 2,97 würde man einen Wert von p=0.1% erhalten.
Noch merkwürdiger wird es, wenn wir in Tabelle 6 des Artikels gehen und dort die Zahlen des Binomialtests nachrechnen. Hier finden sich bei insgesamt 2304 Versuchen 1105 Treffer, also eine Rate von 48,0%, und nicht 47,9% wie im Artikel. Als z-Wert wird -1.94 angegeben, und p ist mit diesem z-Wert ausgerechnet worden. Wenn man nachrechnet findet man dagegen ein z von -1.96.

Fazit:
Die Wahrscheinlichkeiten p sind nicht aus den Versuchsergebnissen direkt ausgerechnet worden, sondern aus den z-Werten. Die z-Werte passen nicht zu den angegebenen Versuchsergebnissen. Die Abweichungen sind sehr klein, an der letzten angegebenen Stelle, aber nicht nur eine, sondern auch zwei Ziffern daneben, was gegen einen simplen Rundungsfehler spricht.

Woher diese Abweichungen kommen, weiß ich natürlich nicht. Aber wir können ja ein kleines Gedankenspiel machen. Angenommen, ich habe n Versuche durchgeführt. Nehmen wir weiter an, ich interessiere mich gar nicht so sehr für die tatsächliche Anzahl von Treffern, die erreicht wurde, sondern ich will lieber einen bestimmten z-Wert haben, der ein Versuchsergebnis durch puren Zufall unwahrscheinlich macht. Dann suche ich mir einen z-Wert aus, den ich gerne hätte. Mit dem berechne ich dann die Wahrscheinlichkeit p. Nur muß ich jetzt noch die richtige Anzahl von Treffern finden, die ich experimentell bestimmt haben müßte. Also rechne ich mit n und dem z-Wert zurück auf die Zahl der Treffer. Nur muß die Zahl der Treffer natürlich eine ganze Zahl sein, also runde ich mein Ergebnis durch Rückrechnen auf die nächste ganze Zahl. Würde ich so vorgehen, käme ich für Tabelle 6 mit meinem z von -1.94 auf 1105,44 Treffer, also 1105, wie angegeben. Für Tabelle 3 gibt das mit festem z = 2,95 dann 962,58, also 963 Treffer, wie angegeben. Und für Tabelle 2, mit z = 2,44, bekomme ich 2789,65 Treffer, zu Runden auf 2790, wie angegeben. So hätte ich dann exakt die Trefferzahlen, z-Werte und Wahrscheinlichkeiten p, die in den Tabellen der Arbeit angegeben sind.
Die winzigen Abweichungen zwischen den nachgerechneten z-Werten und den im Artikel angegeben z-Werten lassen sich also problemlos verstehen, wenn man annimmt, daß die Schlußfolgerungen der Arbeit nicht aus den Versuchsergebnissen bestimmt wurden, sondern die Versuchsergebnisse aus den Schlußfolgerungen.
Und wieder einmal bin ich froh, mein Blog anonym zu betreiben... ;-) Aber vieleicht mache ich ja auch einen Fehler. Auf jeden Fall traue ich dem spektakulären Nachweis von Psi-Kräften erst mal kein winzig kleines bisschen! Und ob sich das in Zukunft noch ändern wird, dieses Wissen muß wohl noch in meinem Unterbewußten versteckt sein.

Montag, 27. Dezember 2010

Hegel-Preis für Mißachtung der Logik 2010

Ein Jahr geht seinem Ende entgegen, und wieder einmal prasseln all die unumgänglichen Rückblicke und Würdigungen auf einen nieder. Und es werden die Nobelpreise und Ig-nobel-Preise verliehen, das Wort und das Unwort des Jahres ausgezeichnet, doch eine kritische Würdigung vermisst man schmerzlich: Den Preis für die herausragendste Mißachtung der Logik des Jahres. Und diese Lücke wird dieses Blog nun schließen und den erstmals den Hegelpreis für die Mißachtung der Logik vergeben! Unsinnige Schlußfolgerungen aus dämlichen Prämissen zu ziehen ist ja so alltäglich, daß es einem nicht mehr weiter auffällt. Ja, ganze Berufgruppen leben gut davon. Umso mehr sollte man die wenigen hellen Geister schätzen, die sich erst gar nicht lange um die landläufigen Regeln logischen Schließens, um Unterschiede zwischen Korrelation und Kausalität, oder einfach nur um die Bedeutung von Begriffen scheren, sondern gleich kreativ und ungehemmt zu genehmen neuen Erkenntnissen voranschreiten. Nicht ganz klar, was gemeint ist? Dann Schluss mit der Theorie, schreiten wir gleich zu den Nominierungen für 2010 voran, dann wird auch klar, worum es geht!
Und hier sind sie! Eine Jury aus ausgewählten Autoren dieses Blogs hat einstimmig die folgenden Personen aus preiswürdige Nominierungen ausgewäht. Nachnominierungen sind auf formlosen, begründetem Antrag hin möglich. Die Kandidaten in chronologischer Reihenfolge:


Kandidat A: Kardinal Christoph Schönborn, Wien, Berufsgläubischer

Die erste Nominierung geht vedient an einen Experten fürs Kinderficken aus dem katholischen Klerus. Auf kat.net vom 5. März 2010 wird der Kardinal zitiert mit:
"Wenn der Zölibat Schuld [an sexuellem Mißbrauch] hätte, dann dürfte es in den Familien keinen Missbrauch geben."
Genau. Vermutlich muß man erst Jahre des Theologiestudiums bewältigen, um diesen Schluß einleuchtend zu finden. Hat man die Schlußweise aber erst einmal verinnerlicht, dann leuchtet einem einiges weitere ein: Wenn Alkoholkonsum Schuld an Verkehrsunfällen hätte, dann dürften nüchterne Menschen keine Unfälle haben. Schade, daß es ausgerechnet die Protestantin Käßmann sein mußte, die diesen Folgerung bis zur letzten Konsequenz trieb!

Kandidat B: Anton Stucki, Treuenbrietzen, Klärwerksbereiber
Herr Stucki beschallt in seiner Kläranlage Bakterien mit Musik von Mozart, um sie zu besserer Wasseraufbereitung zu animieren. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 2. Juni 2010 erklärt er die Logik hinter diesem originellen Vorgehen mit den Worten:
"Seine [d.h. Mozarts] Musik wirkt auf Menschen jeglichen Alters und jeglicher kultureller Herkunft. Warum also nicht auch auf Mikroben? Mikroben sind doch Wesen wie wir."
Genau. Zumindest wie die meisten von uns. Und Menschen jeglichen Alters und jeglicher kultureller Herkunft finden Klärbecken eklig. Die Frage, warum Mikroben sich trotzdem darin wohl fühlen, harrt als das "Stucki-Paradoxon" weiter ihrer Beantwortung durch einen kompetenten Klärwerksbetreiber!
Nicht tiefsinnig, aber schön, und so ebenfalls verdient nominiert.

Kandidat C: Dirk Niebel, Berlin, Entwicklungshilfeminister
2010 war ja ein Fußballjahr, da muß also auch ein Kommentar zum Fußball her. Und den hat Herr Niebel geliefert, auch wenn ich mir nicht sicher bin, wie ernst das gemeint war. Zwar ist die FDP ja die kompetente Spaßpartei (Steuersenkungen für Hotelübernachtungen, spätrömische Dekandenz beim Hartz IV,...), aber bei Politikern weiß man ja nie...
In einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung vom 16. Juni, also nach erst einem Spiel der deutschen Mannschaft bei der WM, begründete er den Weltmeistertitel für Deutschland wiefolgt:
"Deutschland wird deshalb Weltmeister, weil Deutschland immer nur dann Weltmeister geworden ist, wenn die FDP in einer Bundesregierung gewesen ist."
Mit induktiver Logik in die bunte Welt der Kausalität! Die Tatsache, daß ich immer nur dann Sex hatte, wenn die CDU oder SPD den Kanzler stellten, sollte ich endlich mal in meine Wahlentscheidungen einfließen lassen! Danke, FDP! Dafür gibt's eine Nominierung auf dem Startplatz C.

Und schließlich:

Kandidat D: Roland Düringer, Wien, Komiker
Gleich noch eine Nominierung geht nach Österreich! Die Frage "Gibt es für Sie Gott?" beantwortete er im Kurier vom 21. Oktober vollendet mit: "Ja, natürlich. In dem Sinn, dass man das Wort Gott durchstreicht und dafür das Wort Leben hinschreibt: Mir hat noch keiner erklären können, was das Leben ist. Das ist das große Mysterium, weswegen die Wissenschaftler in der Schweiz Teilchen im Kreis schicken. Dabei haben die Indianer eh schon alles gewusst." Mal abgesehen davon, daß die Weißkittel zur Beantwortung der Frage, was das Leben ist, statt Teilchen im Kreis zu schicken, einfach mal bei Winnetou nachfragen sollten - ich selber bin auch überzeugt, daß es Gott gibt, sofern man "Gott" durch "Wackeldackel" ersetzt! Und Spinat schmeckt viel besser, wenn man ihn vor dem Servieren durch ein Steak ersetzt! Soviel einleuchtende Argumentation muß mit einer Nominierung belohnt werden!

Und jetzt ist der Leser gefragt, denn hier geht es ganz basisdemokratisch zu! Einfach in der Kopfzeile des Blogs abstimmen, wer der erste Träger des Hegelpreises für die Mißachtung der Logik werden soll!
Am 1. Februar wird der Gewinner verkündet und im Rahmen einer Feierstunde auf diesem Blog nicht über seinen Erfolg informiert!

Guten Rutsch!


Donnerstag, 23. Dezember 2010

Mal wieder eine Runde glauben

Die Behauptung, Atheismus sei auch eine Form von Glaube (oder zumindest was für diese Behauptung gehalten wird) würde ja durch Wiederholung auch nicht besser werden. So kann man es zumindest hören bzw. lesen. Aber ich bin nunmal nicht lernfähig, und so widme ich mich noch einmal aufs Neue diesem Thema, mal wieder von einer anderen Seite. Denn kaum eine Ablehnung, der nicht entgegen gehalten wird, wie es besser ginge. Und im Fall des Glaubens ist das typischerweise die Wissenschaft, zumindest die empirischen Wissenschaften, oder noch weiter eingeengt, die Naturwissenschaften. Also gehen wir mal der Frage nach, was denn eine empirische Wissenschaft zu einer solchen macht. Laaaangweilig! Denn natürlich herrscht herrliche Eintracht darin, daß es die Überprüfbarkeit einer Theorie an der Erfahrung, und insbesondere ihre Widerlegbarkeit durch Erfahrung ist, die eine Theorie zu der einer empirischen Wissenschaft macht. Gehen wir hier aber trotzdem noch ein bisschen weiter ins Detail.

Die Forderung nach Widerlegbarkeit, d.h. Falsifizierbarkeit, stellt genau betrachtet zwei Anforderungen an eine Aussage. Erst einmal muß eine Aussage eine logische Form haben, die eine Widerlegung erlaubt. Die schöne Beispielaussage Alle Junggesellen sind ledig ist nicht widerlegbar, und das aufgrund ihrer logischen Form. Ihre Richtigkeit wird durch die Bedeutung ihrer Bestandteile sichergestellt, und man mag eine solche Aussage analytisch nennen. (Das auch dieser Punkt so seine Schwierigkeiten mit sich bringt sei heute mal ignoriert.) Wenn die logische Form einer Aussage eine Widerlegung erlaubt, heißt das aber noch nicht, daß sie auch durch Erfahrung, d.h. Beobachtung der Welt, widerlegt werden kann. Die Aussage Gott will, daß jeder, der Sex mit einer Menstruierenden hat, umgebracht wird (Lev 20, 18) erlaubt zwar logisch eine Widerlegung, nicht aber eine Widerlegung durch Beobachtungen der Welt. Daher die Verschärfung, neben der logischen Widerlegbarkeit eine empirische Widerlegbarkeit zu fordern.
Somit hat man nun eine wunderbar geordnete Welt. Einmal hat an die analytischen Aussagen, die man für bestenfalls langweilig halten kann. Dann gibt es da die logisch, aber nicht empirisch widerlegbaren Aussagen, die sind schlecht. Und dann hat man die empirisch widerlegbaren Aussagen, die sind gut und wissenschaftlich. Nur, gehen wir bei den empirisch widerlegbaren Aussagen noch ein bisschen weiter ins Detail.

Wann ist denn eine Aussage empirisch widerlegbar? Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, wenn man es mal genau nimmt. Draußen regnet es kann man ja noch offensichtlich empirisch überprüfen. Und wie ist es dann mit Morgen wird es hier regnen? Bis morgen kann man ja noch warten, und dann prüfen. Und wie ist es mit In genau 100 Jahren wird es hier regenen? Oder mit In genau 2 Mio. Jahren wird es hier regnen? Betrachtet man all diese Sätze als im gleichen Maße widerlegbar? Vermutlich nicht, aber wo legt man dann die Grenze?
Aber werden wir etwas prinzipieller. Die Frage, wann man eine Aussage als empirisch widerlegbar anerkennt, führt offenbar auf die Frage, welche Methoden man zur Überprüfung einer Aussage zulässt. Und 2 Mio. Jahre warten oder Eingeweideschau wird man nicht zulassen, sondern nur Methoden, die "wissenschaftlich" sind. Damit ist die Frage nach dem, was eine (empirische) Wissenschaft ist, nichts anderes als die Frage nach den Methoden, die zugelassen werden. Und die können sich dramatisch ändern.

Zunächst mal können sie sich innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin mit der Zeit ändern. Ein Paradebeispiel ist sicherlich die Einführung des Teleskops in die Astronomie. Ein guter Teil des Widerstands, den Galilei zu spüren bekam, rührte daher, daß seine Zeitgenossen ein Fernrohr nicht als Instrument der Wissensgewinnung über den Himmel zulassen wollten. Diese Ablehnung hatte metaphysische Gründe. Die Sphären des Himmels waren grundsätzlich anderer Natur als die Erde, und nur weil ein Fernrohr bei der Beobachtung irdischer Objekte gut funktioniert, heißt das noch nicht, daß es auch zur Beobachtung himmlischer Objekte brauchbar ist. Und heute hat sich diese Einstellung komplett umgekehrt. Heute nimmt man an, daß die selben Naturgesetze, die auf der Erde herrschen, unverändert bis in die fernste Region des Universums anwendbar sind. Auch dies ist letztlich eine metaphysische Annahme. Sie ist zwar logisch falsifizierbar, nicht aber empirisch, und somit selbst nicht (natur-)wissenschaftlich.
Und auch von Fach zu Fach sind die Methoden unterschiedlich. Auch hier kann man ein neueres Beispiel aus der Astronomie heranziehen. Man sucht etwa nach Objekten im äußerem Sonnensystem, indem man nach Bedeckungen von Sternen durch solche Objekte sucht. Eine solche Messung wäre dann prinzipiell einmalig und nicht wiederholbar. Sicherlich wäre Wissensgewinn durch einmalige, nicht wiederholbare und nicht von anderen überprüfbare Messungen für die Physik ein Albtraum. Astronomen scheinen da in ihrer Not flexibler zu sein. Ein weiteres schönes Beispiel ist die Evolutionstheorie, bei der man die Anforderungen verglichen zur Physik deutlich herunterzuschrauben bereit ist (Die am besten angepassten Lebewesen überleben. Und am besten angepasst sind die Lebewesen, die überlebt haben. Solche Strukturen läßt man der Evolutionstheorie auch als Physiker - zu recht - durchgehen. Bei der Psychoanalytik tendieren Physiker wohl dazu, methodisch pingeliger zu sein.)

Also wieder zurück zur eigentlichen Frage, was (empirische) Wissenschaft denn von anderen Gedankengebäuden unterscheidet. Letztlich sind dies also die zugelassenen Methoden. Und die unterscheiden sich von Fachdisziplin zu Fachdisziplin und sind einem zeitlichen Wandel unterworfen. In die Zulassung von Methoden fließen zudem metaphysische Überlegungen wesentlich mit ein (worunter hier empirisch nicht widerlegbare Überlegungen verstanden sein).
Und die Behauptung, wissenschaftliche Erkenntnisse seien ihrem Wesen nach anderen, insbesondere religiösen, Interpretationen der Welt überlegen, reduziert sich somit letztendlich auf die Behauptung, bestimmte empirisch nicht widerlegbare Annahmen seinen anderen empirisch nicht widerlegbaren Annahmen vorzuziehen. Und das mag ja auch so sein. Bloß - einen prinzipiellen Unterschied kann ich hier leider nicht sehen.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Lieber Andreas Müller!

Eigentlich ist für sowas ja Kommentarfunktion im Blog gedacht, aber nun muß ich eben durch einen eigenen Blogbeitrag auf Ihren Text Langweilig antworten. Ich will dies auch ausführlich und sachlich tun, und vieleicht können Sie ja auch, zumindest einmal und kurz, auf das übliche Geschreie und Zuspitzen verzichten? Ein Versuch...

Gehen wir der Reihe nach vor. Zunächst zu mir und meinem Blog. Eigentlich eher nebensächlich, aber mir doch ein Bedürfnis:
Sie werfen diesem Blog vor, es sei "einigermaßen konfus". Und tatsächlich bin ich mir darüber klar, daß seine thematische Vielfalt das Lesen erschwert. Dennoch habe ich mich bewußt dafür entschieden, alle Themen, zu denen ich mich äußern möchte, in einem Blog zusammenzufassen. Denn bei den meisten mehr oder weniger monothematischen Blogs habe ich den Eindruck, daß sie nur von einer Gruppe Gleichdenkender und deren erbitterten Gegenern gelesen werden, und Kontakt mit anderen Sichtweisen und Themen kaum stattfindet. Auf eine solche "geschlossene Gesellschaft" möchte ich nach Möglichkeit verzichten, auch wenn darunter die Lesbarkeit und die Zugriffsraten leiden sollten. Und sollte jemand partout nur ein einem Thema interessiert sein, so gibt es ja immer noch die Sortierung nach Rubriken.
Den zweiten Vorwurf, ich weigere mich, Stellung zu beziehen, finde ich ziemlich unpassend, denn ich habe den starken Eindruck, daß Sie sich nicht die Mühe gemacht haben, einige meiner eher trockenen Texte unter der Rubrik "Atheismus" oder "Religion" zu lesen. Allerdings muß ich zugeben, daß ich mich scheue, ein "Etikett" an meine Meinung zu kleben. Ich bin selber Atheist, dieses Wort scheint mir am besten zu passen, allerdings mit der unter Atheisten weit verbreiteten Wissenschaftsgläubigkeit und der meiner Auffassung nach überzogenen philosophischen Selbstsicherheit sehr unzufrieden. Darüber hinaus bin ich ganz ausgesprochener "Relativist". Allerdings heißt das nicht, daß ich mich grundsätzlich scheue, Urteile zu sprechen. Ich bin mir allerdings bewußt, daß es für keines meiner persönlichen Urteile, seien es ethische, politische oder gar wissenschaftliche, eine letzte und sichere Begründung gibt. Die Verantwortung, etwas zu tun oder nicht zu tun, bleibt bei mir alleine. Insofern bin ich selber auch "Fundamentalist", als daß meine Handlungen meiner persönlichen Überzeugungen entspringen, aber wiederum kein Fundamentalist, weil ich meine Überzeugungen keinesfalls als in irgendeiner Weise privilegiert empfinde.

Nun aber zum eigentlichen Thema. Aus ihrer Position zur Ethik werde ich nicht so recht schlau. Einerseits scheinen Sie einem "eliminatorischen Physikalismus" nahe zu stehen? Auf der anderen Seite wollen Sie Ethik mit wissenschaftlichen Methoden objektivieren?
Das Problem liegt meiner Meinung nach darin, daß ethische Sätze, darunter will ich hier Sätze der Form "Man soll..." bzw "Man soll nicht..." verstehen, nicht aus wissenschaftlichen Sätzen gefolgert werden können. Das verhindert schon die logische Form dieser Sätze (einen naturwissenschaftlichen Satz kann man beispielsweise in prädikatenlogischer Form ausdrücken, einen ethischen Satz nicht, oder?). Und auf diesen grundlegenden Punkt wird, so scheint mir, nirgends in Ihren Texten eingegangen? Auf jeden Fall wird dieser Punkt in dem von Ihnen als Referenztext angegeben link Eine Landschaft der Moral schlicht ignoriert.
Solange aber nicht gezeigt ist, wie ein ethischer Satz aus einem Naturwissenschaftlichen folgen kann, ist jede Ethik mit einem eliminatorischen Physikalismus unvereinbar. Ethik bleibt dann ein von den Naturwissenschaften völlig unabhängiges Gebiet. Will man dann diese strikte Form des Physikalismus beibehalten, muß man sich dazu durchringen, die Existenz von Ethik grundsätzlich zu bestreiten. Was mir aber schlüssig erscheint, denn auch für den freien Willen bleibt im eliminatorischen Physikalismus kein Platz mehr.
Sie scheinen diesen Weg aber nicht zu gehen, oder? Leider verstehe ich Ihre Position zum angegeben Zitat des Herrn Schmidt-Salomon nicht, indem er von einem nicht begründbaren Axiom der Ethik spricht. Sicherlich ist dieses Axiom kein Naturwissenschaftliches, und daher nicht mit einem Physikalismus in Einklang zu bringen. Und die Akzeptanz dieses Axioms ist, völlig unabhängig von jeder Haltung zur Naturwissenschaft, natürlich jedem freigestellt. Es leuchtet mir daher nicht ein, worin nun der Fortschritt oder Vorteil der von Ihnen unterstützten ethischen Theorie liegt?

Es würde mich wundern und freuen, würden Sie die Mühe einer sachlichen und klärenden Erwiderung auf sich nehmen!

Mit freundlichen Grüßen,

Thomas Steinschneider

Dienstag, 14. Dezember 2010

Relativ ignorant - aber ehrlich!

Fast hätte ich ja gemeint, die Giordano-Bruno-Stiftung und der Arbeitskreis Evolutionsbiologie würden leidenschaftlich den Utilitarismus predigen. Schließlich propagiert das von ihnen betriebene Internetportal Evo-Magazin wieder und wieder und wieder das aktuelle Buch von Sam Harris. Aber dann habe ich gesehen, daß sich im Impressum beide Betrieber gleich wieder vom Inhalt der Beiträge im Evo-Magazin distanzieren. Also scheint die "objektive Ethik" eine persönliche Leidenschaft des "Leitenden Redakteurs" Andreas Müller zu sein. Und die ist ganz interessant. Denn hier zeigt sich etwas, das man von religiösen Menschen gut kennt, das aufgeklärte Humanisten in den eigenen Reihen aber gerne und konsequent ignorieren, da es nicht gut in das Selbstbild passt: Man ist von dem überzeugt, wovon man überzeugt sein möchte. Und besonders der letzte Teil der Rezension von Harris' Buch spricht da eine deutlichere Sprache, als es dem Autor womöglich bewußt ist. So findet sich nach einem ungezielten Rundumschlag gegen "feministische Thesen" (mit solch kleineren Ungenauigkeiten wie die Beschwerde, der deutsche Staat würde Geld für "Ökofeminismus" ausgeben, obwohl die gemeinte Professorin ihren Unsinn an der Universität Innsbruck lehrt) und gegen einen ethischen"Relativismus", sowie nach Widerstand gegen die Einsicht, es könne eine kulturabhängige Erkenntnistheorie geben, ein richtig spannender Schluß. Denn es scheint auch dem Autor nicht verborgen geblieben zu sein, daß es einige logische Einwände gegen seine Lieblingsweltsicht gibt. Und was tut der autodidaktische Fundamentalist in einer solchen Situation? Genau - die Logik ist natürlich Unsinn!
Ein Satz wie er frisch von einer Kreationistenwebsite kommen könnte! Und während sich der Autor weiter nicht von "logischen Spielchen" verunsichern läßt, möchte ich ihm für diese herrliche Selbstdarstellung danken!

Auf ewig am Rande des Sonnensystems

Heute ist es passiert! Trommelwirbel... Uuuuund: Raumsonde Voyager 1 hat nach 17,4 Milliarden Kilometern Reise den Rand des Sonnensystems erreicht! Unfassbar! Aber so berichten es heute einmütig die Zeit, die Welt, der Stern, die Frankfurter Rundschau, und viele mehr. Da wird das schon stimmen. Bravo.
Nur... Den Rand des Sonnensystems erreichte Voyager 1 auch schon im November 2003? So berichteten es damals zumindest der Stern (5.11.2003), der Spiegel (6.11.2003), die Süddeutsche (6.11.2003) und die FAZ (6.11.2003).
Und dann erreichte Voyager 1 den Rand des Sonnensystems noch mal im Mai 2005, nachzulesen in Der Standard (25.5.2005), dem Stern (27.5.2005) oder der Welt (29.5.2005).
Aber im Weltraum sind sicherlich die merkwürdigsten Dinge möglich. Und auch ich habe selbst jetzt auf gewisse Weise ein dejà-vu. Aber was soll's:

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Worüber man halt so redet... und wieviel

Immer und immer wieder aufs Neue drängt sich einem der Eindruck auf: über viele Dinge und Personen wird einfach viel zu viel berichtet, diskutiert und spekuliert. Man denke nur an den Fall Kachelmann. Ein Vergewaltigungsvorwurf gegen einen Wettermoderator - man sollte meinen, das reicht gerade mal für eine Kurzmeldung unter "Vermischtes". Und doch scheint dieses Thema in den Medien nahezu allgegenwärtig. Und vor einer Weile war es Sarrazin, dessen Thesen, entweder blödsinnig oder altbekannt, viel zu viel, viel zu oft diskutiert wurden, als sie das objektiv zu verdienen schienen. Nun aber sind solche Einschätzungen, worüber zuviel geredet und berichtet wird, leider eine recht subjektive Angelegenheit, und manch einer wird womöglich zu einer anderen persönlichen Einschätzung kommen. Wie schön wäre es da, wenn man ein sachliches, objektives und klar quantifiziertes Maß dafür hätte, ob ein Thema oder eine Person zu viel öffentliche Aufmerksamkeit bekommt oder nicht! Und ein solch unbestechliches Maß wollen wir uns jetzt bauen.

Alles, was wir tun müssen, ist beispielsweise die Verwendungshäufigkeit eines Begriffes gegen seine Wichtigkeit aufzutragen. Dann könnten wir überprüfen, in welchem Rahmen sich die normalen Begriffe typischerweise so bewegen. Und man könnte feststellen, welche Begriffe rausfallen, sei es, weil in Bezug auf ihre Wichtigkeit zu viel oder zu wenig über sie geredet wird.
Woher man die Verwendungshäufigkeit eines Begriffes bekommt, ist ja noch ziemlich klar. Man könnte z.B. nachzählen, wie oft der entsprechende Begriff in Zeitungen vorkommt. Das wird allerdings etwas mühsam. Also machen wir es uns hier mal einfach und nehmen einfach mal die Zahl der Treffer bei einer Google-Suche als Maß für die Verwendungshäufigkeit. Um Verwirrungen zu vermeiden, suchen wir dabei nur auf deutschsprachigen Seiten und setzen den Suchbegriff in Anführungszeichen.
Wie aber objektiv die Wichtigkeit eines Begriffs messen? Machen wir es uns auch hier einfach. Nehmen wir mal an, daß ein Begriff (beziehungsweise der Gegenstand, für den der Begriff steht) Wikipedia-Artikel in umso mehr Sprachen hat, je größer seine Bedeutung für die Menschheit ist. Also können wir die Anzahl der Sprachen, in denen es Wikipedia-Artikel zu einem Begriff gibt, als leicht zu bestimmendes Maß für die Wichtigkeit des Begriffs nehmen.
Jetzt wird der ein oder andere sicherlich einwenden wollen, daß dies zwei wirklich sehr grobe und primitive Kriterien für die Verwendungshäufigkeit und die Bedeutung eines Wortes seinen. Und das mag ja sein, aber sehen wir erst mal, ob es diese Kriterien nicht doch schon tun! Wenn es gute Maße sind, dann sollte man eine Korrelation zwischen ihnen erwarten. Denn je wichtiger ein Begriff, desto mehr sollte auch über ihn geredet werden, desto größer sollte also eine Verwendungshäufigkeit sein. Nehmen wir also mal eine Reihe von willkürlich ausgewählten Worten aus der Alltagssprache, von oft verwendeten Worten wie "Haus" oder "Liebe" bis zu eher selten verwendeten wie "Senfgurken" oder "Hachse". Für alle diese Worte bestimmen wir die Verwendungshäufigkeit und die Wichtigkeit. Wenn wir dann beide Zahlen für jedes Wort gegeneinander auftragen, sollte man keine zufällige Verteilung erwarten, sondern einen Zusammenhang zwischen beiden Größen. Und da aus irgendeinem seltsamen Grund solche Dinge wie Worthäufigkeiten etc. gerne Potenzgesetzen gehorchen, tragen wir die Werte in ein doppelt-logarithmisches Diagramm ein, wo wir dann eine Gerade erwarten sollten. Und tatsächlich:
Die Werte für die einzelnen Worte reihen sich grob entlang einer Geraden auf. Die Streuung mag zwar recht groß sein, aber man erkennt deutlich, in welchem Bereich des Häufigkeits-Wichtigkeits-Diagramms man typische Begriffe erwarten kann. Nennen wir diesen Bereich der Einfachheit halber mal die "Hauptreihe". Unsere primitiven Kriterien scheinen also durchaus zu funktionieren. Bevor wir jetzt aber vergleichen können, wo denn die nervigen Begriffe wie "Kachelmann" oder "Sarrazin" in diesem Diagramm zu finden sind, müssen wir noch ein wenig verweilen und uns die Struktur in dem Diagramm noch etwas genauer ansehen.

Es ist ja keinesfalls selbsverständlich, daß alle Begriffe auf derselben "Hauptreihe" liegen. Nehmen wir beispielsweise mal Begriffe aus dem naturwissenschaftlich-technischen Bereich. Solche Begriffe mögen mitunter eine sehr große Bedeutung haben, obwohl man sie doch eher selten verwendet. Die Worte "Lithium" oder "Molybdän" zum Beispiel benutzt man bestimmt nicht nennenswert häufiger als das Wort "Senfgurke", obwohl die Ersteren in ihrer wirtschaftlichen und technologischen Bedeutung die Senfgurken ganz erheblich übersteigen. Also sollten wir mal eine Reihe von Fachbegriffen aus den Bereichen Physik, Chemie, Astronomie und Geologie nehmen und sehen, wo diese Worte in dem Diagramm liegen. Wenn wir sie in Rot dazu eintragen, sieht das so aus:
Diese Begriffe liegen in der Tat auf einer eigenen Reihe und bei gleicher Bedeutung des Begriffes bei einer geringeren Verwendungshäufigkeit. Nennen wir diesen Bereich mal kurz den "Wissenschaftszweig". Bei einer weiteren gründlichen Untersuchung sollte man bestimmt noch mehr Strukturen finden können. Man denke z.B. mal an die Begriffe aus dem Bereich Sexualität und Erotik. Sicherlich sollten die viel häufiger verwendet werden, als ihre objektive Bedeutung rechtfertigen kann, und sich daher weiter oben in dem Diagramm gruppieren. Wir können aber das Diagramm schon mal in zwei Bereiche einteilen:Was hier auffällt ist noch, daß die Hauptreihe und der Wissenschaftszweig bei großen Bedeutungen, im schraffierten Bereich, zusammen zu laufen scheinen. Hier kommt es allerdings zu einer Art "Sättigung": Auch die Worte mit der höchsten Bedeutung kommen nur auf um die einhundert Sprachen in der Wikipedia. Zwar behauptet die, in ca. 260 Sprachen zu existieren, man findet aber kaum Worte mit Einträgen in mehr als einhundert Sprachen. Hier endet also unsere Skala der Bedeutung, und alle Kurven müssen hier zusammen laufen. Im schraffierten Sättigungsbereich können wir daher keine zuverlässigen Aussagen mehr über die Wichtigkeit von Begriffen machen.
Somit kommen wir zusammengefaßt auf das folgende Übersichtsdiagramm:Begriffe, die in dieser Darstellung oberhalb der Grenze der Hauptreihe liegen, sind überbewertet in dem Sinne, daß mehr über sie berichtet und gesprochen wird, als ihre tatsächliche Bedeutung rechtfertigen würde. Für Begriffe unterhalb der Hauptreihe gilt das Entgegengesetzte.
Nun müssen wir noch sicherstellen, daß auch die typischen Prominenten, die einem nicht sonderlich überpräsent vorkommen, mit der Hauptreihe zusammen fallen, und nicht etwa eine eigene Region im Diagramm bevölkern. Nehmen wir also einige deutsche Prominente mit unterschiedlichen Bekanntheitsgraden und (ohne jemandem persönlich nahetreten zu wollen) unterschiedlichen Bedeutungen. Nehmen wir mal Benedikt XVI, Die Ärzte, Rammstein, Herbert Grönemeyer, Stefan Raab, Herbert Feuerstein, Marie Gruber und Sebastian Koch, und tragen wir sie in Blau ins Übersichtsdiagramm ein:Über den gesamten untersuchten Bereich der Wortbedeutungen fallen alle genau in die Grenzen der Hauptreihe.
Nun endlich können wir mal einige gefühlte Plagen des öffentlichen Lebens hernehmen und sie in das Diagramm eintragen! Nehmen wir also mal Kachelmann, Sarrazin und Franz Josef Wagner, und tragen wir sie in Rot dazu: Und damit haben wir es tatsächlich und endlich offiziell und unumstößlich! Franz Josef Wagner liegt leicht über der Hauptreihe und ist damit gerade eben überpräsent in der öffentlichen Diskussion. Kachelmann und Sarrazin dagegen liegen deutlich über der Hauptreihe. Ihre Namen werden mehrfach häufiger verwendet, als ihre Bedeutungen es rechtfertigen würden!
Was also soll man noch mehr sagen? Ich sollte vieleicht noch die ganze Liste mit Worten nachreichen, die ich zur Bestimmung der Hauptreihe und des Wissenschaftszweiges verwendet habe. Und ansonsten eher mal schweigen...

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Das rechte Lied zur rechten Zeit

Nachdem ich nun für Wochen verhindert war, wird es langsam Zeit, all die wichtigen Betrachtungen zur Lage der Welt wegzubloggen, die sich so angesammelt haben. Und das ist zunächst einmal eine musikalische Angelegenheit. Denn schon vor einer Weile hörte ich als Musikberieselung im Einkaufszentrum den Titel Where the wild roses grow von Kylie Minogue und Nick Cave. Und so sanft und romatisch dieses Lied auch daher kommen mag, ich habe so meine Zweifel, ob es eine gute Untermalung zum Einkaufen darstellt. Denn wenn man auf den Text achtet merkt man, daß es in dem Lied um eine Frau geht, die von einem Liebhaber mit einem Stein erschlagen und in einen Fluß gelegt wird. In Frankreich, also einem Land, in dem die Bevölkerung außer ihrer Muttersprache rein gar nichts zu verstehen in der Lage ist, habe ich sogar einmal in einem Supermarkt das Lied Fire Water Burn von der Bloodhound Gang als Einkaufsuntermalung gehört. Und da gibt es klar vernehmbar die Zeilen
We don't need no water let the motherfucker burn
Burn motherfucker, burn
Und ob man etwa auch die in etwa äquivalenten aber verständlichen Zeilen "Brenne, Votze, brenne" in einem Supermarkt spielen würde? Und kürzlich dann wurde ich vom Privatradio vollends verblüfft. Auf einer Autofahrt hörte ich doch wirklich Hasta Siempre Comandante Che Guevara von Nathalie Cardone - ein ordentliches Revolutionslied auf Cherie FM, einem Sender, der zur NRJ-Gruppe gehört! Anscheinend geht also inzwischen alles! Da bin ich schon gespannt, ob man noch eines Tages hört, wie die Aufzüge im KaDeWe mit der Internationalen berieselt werden, oder, gerade jetzt zur Weihnachtszeit, mit Frohes Fest von den Fantastischen Vier. Wundern würde es mich ja nicht mehr...