Donnerstag, 19. Januar 2012

Mach 2 im Spülbecken

Heute hatte mir wieder mal jemand was von einem Überschallknall beim Durchbrechen der Schallmauer zählt. Und tatsächlich findet man solche Behauptungen im Laufe der Jahre immer wieder und wieder und wieder irgendwo (z.B. 1, 2, 3). Dabei gibt es schon zahlreiche gute Erklärungen, vom Schulbuch über Wikipedia bis zur Fachliteratur, daß der Knall, den Flugzeuge beim Überschallflug erzeugen, rein gar nichts mit dem Durchbrechen der Schallmauer zutun hat. Echt nicht. Auch wenn das Durchbrechen einer Mauer irgendwie schon nach Knall klingt. Hat es wirklich nicht. Also erklären wir hier und heute anschaulich und endgültig (Endgültig?? Wuahaha...!), woher der Knall tatsächlich kommt. Und das am besten anschaulich und in der eigenen Küche.

Nun bieten wohl selbst Küchen, die größer sind als die meine, nicht genug Platz, um Flugzeuge mit Überschallgeschwindigkeit herumfliegen zu lassen. Aber das ist auch nicht nötig. Denn letztlich ist es ja egal, ob wir die Luft als "stillstehend" betrachten und das Flugzeug herumfliegt. Oder ob wir das Flugzeug als stillstehend ansehen, und die Luft mit Überschall um das Flugzeug herumströmt. Also müssen wir nur einen Luftstrom erzeugen, dessen Strömungsgeschwindigkeit größer als die Schallgeschwindigkeit ist, und dann das Flugzeug, gerne miniaturisiert, hineinhalten.
Aber auch damit haben wir Probleme. Die Schallgeschwindigkeit in Luft liegt in der Küche bei über 300 Metern pro Sekunde, und einen so schnellen Luftstrom kriegen wir selbst mit einem getunten Fön nicht hin. Also müssen wir uns eine einfachere Analogie suchen.

Warum nehmen wir statt strömender Luft nicht einfach strömendes Wasser? Und statt Schallwellen in der strömenden Luft nicht einfach Oberflächenwellen auf dem strömenden Wasser? Das hätte zwei große Vorteile: Erstens haben wir kein Problem damit, in der Küche Wasser schneller strömen zu lassen, als sich Wellen auf ihm ausbreiten können. Und zweitens kann man die Wellen auf dem Wasser einfach sehen, was gleich viel anschaulicher ist, als Schallwellen hören zu müssen. Und trotzdem können wir analoge Effekte wie beim Überschallflug sehen.
Wie haben also die folgenden Entsprechungen:
strömende Luft ↔ strömendes Wasser
Schallwellen in Luft ↔ Oberflächenwellen auf Wasser
Schallgeschwindigkeit ↔ Ausbreitungsgeschwindigkeit der Oberflächenwellen auf Wasser
Überschallströmung ↔ Wasser strömt schneller, als sich Wellen auf ihm ausbreiten
Unterschallströmung ↔ Wasser strömt langsamer, als Wellen sich auf ihm ausbreiten
Und zuletzt die Machzahl M:
Verhältnis der Strömungsgeschwindigkeit von Luft zur Schallgeschwindigkeit ↔ Verhältnis der Strömungsgeschwindigkeit von Wasser zur Ausbreitungsgeschwindigkeit von Oberflächenwellen

Gehen wir damit nun ins hauseigene "Überschallströmungslabor":


Alles, was wir tun müssen, um eine "Überschallströmung" (im nachfolgenden bezeichnen Begriffe in Anführungszeichen immer die Phänomene beim echten Flugzeug, die wir nach obigen Schema nachahmen) zu erzeugen, ist den Wasserhahn über einem Waschbecken mit einigermaßen ebenen Boden aufdrehen. Dann sehen wir eine ganz typische Form auf dem Beckenboden:
Um die Austreffstelle des Wasserstrahls findet sich ein Bereich flachen, wellenlosen Wassers, das mit beachtlicher Geschwindigkeit radial vom Auftreffpunkt nach außen strömt. Dies ist gerade der Bereich, in dem die Strömungsgeschwindigkeit größer ist als die "Schallgeschwindigkeit". Hier haben wir eine "Überschallströmung", die Machzahl ist größer als eins. Vom Austreffpunkt nach außen hin nimmt die Machzahl ab, und nach einem kurzen Stück erreicht sie den Wert eins. Hier ist die "Schallmauer". Man sieht sie sehr schön anschaulich als einen turbulenten Wasserwulst um den "Überschallbereich" herum. Dahinter plätschert das Wasser mit "Unterschallgeschwindigkeit", hier ist die Machzahl kleiner eins, und hier sieht man auch normale Wellen auf der Wasseroberfläche. Das ganze im Bild (zum Vergrößern klicken):


Jetzt bringen wir unser "Flugzeug" in die "Überschallströmung". Das Flugzeug besteht hier einfach aus einer Nadel, deren Spitze wir als Hindernis in die Wasserströmung halten. Und was man dann sieht, ist Folgendes:


In der Strömung vor der Nadel (zwischen Nadel und Auftreffpunkt des Wasserstrahls) finden sich keinerlei Wellen. Hierhin können sie nicht gelangen, denn im "Überschallbereich" fließt das Wasser schneller nach außen hin weg, als sich Wellen auf ihm nach vorne hin ausbreiten können. Nach hinten aber überlagern sich die durch das Hindernis erzeugten Wellen zu einer sich kegelartig öffnenden Wellenfront. Dies ist gerade der "Machkegel", den das "Flugzeug" beim "Überschallflug" hinter sich her zieht. Und dies ist eben auch der Knall, den man beim Überschallflug hört!
Wechseln wir noch mal im Geiste den Beobachtungsort. Wir nehmen an, wir wären geschrumpft und säßen auf einem kleinen Papierschnipsel, der mit dem Wasser mitströmt. Dann wäre das Wasser um uns herum für uns mehr oder weniger in Ruhe, und die Nadel, das "Flugzeug", würde mit "Überschallgeschwindigkeit" durch das Wasser um uns hindurchrauschen. Und hinter sich her zieht es eine kegelförmige Wellenfront. Wenn diese Front unter unsern Papierschnipsel hinwegzieht, dann würden wir kurz und kräftig durchgeschüttelt. Wenn nun ein echtes Flugzeug mit Überschallgeschwindigkeit durch die Luft um uns herum fliegt, dann zieht es einen Kegel aus Schallwellen hinter sich her. Und wenn der über uns hinwegzieht, dann hören wir dies als Knall. Aber dieser Kegel ist immer da, solange das Flugzeug mit Überschallgeschwindigkeit fliegt - genauso wie der Wellenkegel hinter der Nadel im Spülbecken die ganze Zeit da ist, wenn die Nadel nur in die "Überschallströmung" eintaucht. Mit dem Durchbrechen der Schallmauer hat das nicht zu tun. (Man denke sich nur einen Meteoroiden, der mit Überschallgeschwindigkeit in die Erdatmosphäre eintaucht, und das so flach, daß er auf der anderen Seite gleich wieder mit Überschallgeschwindigkeit hinaus fliegt. Dann durchbricht er nie die Schallmauer, sondern ist immer oberhalb. Und trotzdem würde er einen Überschallknall auslösen.)

Aber gehen wir zum Schluß und zum Spaß noch zur "Schallmauer" und der "Unterschallströmung" im Waschbecken. Der Öffnungswinkel des "Machkegels" hängt von der Machzahl ab. Vom Auftreffpunkt des Wassers nach außen nimmt die Machzahl ab, und der Öffnungswinkel vergrößert sich. Man sieht dies deutlich, wenn man die Nadel etwas weiter weg vom Auftreffpunkt ins Wasser taucht:


An der "Schallmauer" verschwindet der Machkegel dann ganz. Man kann sich hier die "Schallmauer" erklären, wenn man bedenkt, daß außerhalb, im "Unterschallbereich", Wellen auf den Auftreffpunkt des Wassers zulaufen können. Sie können aber nur bis zu einem bestimmten Abstand kommen, denn irgendwann läuft das Wasser zu schnell in die entgegengesetzte Richtung. Wo die Geschwindigkeit der Wellen genauso groß ist wie die Geschwindigkeit des entgegenkommenden Wassers (Machzahl M = 1), stoppen die Wellen und das Wasser staut sich zur turbulenten "Schallmauer".

Bringen wir unser "Flugzeug" jetzt noch in den "Unterschallbereich", dann sieht das Wellenmuster ganz anders aus. Hier können sich die durch das Hindernis ausgelösten Wellen auch nach vorne, gegen die Strömung, ausbreiten. Und nur hier im "Unterschallbereich" sieht man dann Wellen auch vor dem "Flugzeug". Dafür gibt es hier dann keinen "Machkegel", der sich hinter dem "Flugzeug" herzieht:


Tja, so einfach kann's sein mit "Küchenphysik"!


PS: Natürlich darf man das hier erzählte nur als (hoffentlich) nützliche Analogie auffassen. Die tatsächlichen physikalischen Prozesse im Spülbecken sind sehr verschieden von denen beim Überschallflug in der Luft - und sie sind sehr viel komplizierter! Den Versuch einer "richtigen" Beschreibung habe ich lieber schnell wieder aufgegeben...!

2 Kommentare:

  1. Wenn Naturwissenschaft doch nur immer so anschaulich dargestellt würde! Danke für die Erklärung!

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