Donnerstag, 14. Januar 2010

Ausmerzen, oder nicht ausmerzen?

Unter den vielen Dingen, die mir als Laie am Christentum unverständlich sind, ist auch das Verhältnis zwischen Altem und Neuem Testament. Die beiden Testamente unterscheiden sich nicht nur in Länge und Stil, sondern auch im Inhalt. Oft erscheinen sie geradezu widersprüchlich. Eine oft gehörte Erklärung der Beziehung der beiden Teile der Bibel ist nun, daß man sie als Schritte einer Entwicklung ansehen müsse, hin von einem Zustand der Unkenntnis jeder göttlichen Offenbarung hin zur Vollendung der Offenbarung durch Christus. Und zugegebendermaßen wird dann auch einiges verständlicher. Zum Beispiel das bekannte Auge um Auge-Prinzip: Vor dem 2. Buch Mose hat man jemanden, der einem das Auge ausstach, vieleicht erschlagen. Aber nach göttlichem Gesetz muß auch der Schuldige nur sein Auge verlieren (2. Mose 21, 24). Und nach Jesus steht es nun an, dem Schuldigen auch die andere Wange anzubieten (Math. 5, 38-39). Also gibt es hier immerhin eine Entwicklung. Oder man nimmt das Scheidungsrecht: Vor dem Alten Testament konnte man seine Frau wohl noch einfach verstoßen und das wars. Doch das Alte Testament fordert nun, daß man seiner Frau eine "Entlassungsurkunde" ausstellt (5. Mose 24, 1-4). Und Jesus stellt nun klar, daß man seine Frau gar nicht aus der Ehe entlassen kann, sofern sie nicht gerade Unzucht getrieben hat (Math. 5, 31-32).
Was ist aber nun mit den vielen Stellen des Alten Testaments, die von Jesus nicht explizit reformiert wurden, und die heute nicht mehr ernsthaft anerkannt werden? Nehmen wir als Beispiel mal den inzestuösen Geschlechtsverkehr: Da Gott nur zwei Menschen erschuf, muß er Inzest bei der von ihm gewünschten Vermehrung der Menschen (1. Mose 1, 28) in Kauf genommen haben (ob man die Schöpfungsgeschichte nun wörtlich nimmt oder nicht sei mal egal, das Bild bleibt schließlich das Bild). Oder noch etwas deutlicher: Lots geschlechtliche Beziehung zu seinen Töchtern (1. Mose 19, 30-38) provozierte auch keine Reaktion von göttlicher Seite (Im Gegensatz zur Homosexualität, wegen der er gerade immerhin zwei Städte zerstört hatte. Aber das ist eine andere Geschichte...). Später dagegen, im Buch Levitikus, wird der Inzest dann zu einer Gräuel für Gott, die den Tod verdient (3. Mose 18, 6-18 & 29, 3. Mose 20, 11-17). Im Neuen Testament wird der Umgang mit dem Inzest wieder ein kleines bisschen entspannter. Zwar stellt er immernoch ein schlimmes Verbrechen dar, aber zumindest wird man nur noch verstoßen, und verliert nicht mehr sein Leben (1. Kor 5, 1-2). Hier erfolgt also eine Entwicklung von egal über todeswürdig zum schweren, aber nicht mehr todeswürdigem Verbrechen. Dies stellt wohl keine so geradlinige Entwicklung in der göttlichen Offenbarung dar.
Nun mag man dem entgegenhalten, daß Stellen des Alten Testaments, die nicht von Christus bestätigt oder reformiert wurden, hinfällig seinen, da sie keine offenbarte Wahrheit enthielten. Um diese Position zu widerlegen kann man aber sogar kompetente christliche Hilfe hinzuziehen. So verwirft z.B. Erich Zenger diese Position mit selbst für Gottlose leicht nachvollziehbaren Argumenten in seinen Artikeln in Imprimatur 1/2004 und 2/2004.
Nun habe ich keinen Zweifel, daß Theologen eine Erklärung für diese Wirren in der Offenbarung liefern können. Aber die Frage ist nun, ob dies nicht vieleicht ein schöner Fall für Ockhams Messer ist? Immerhin wurde dies auch von christlichen Philosophen sehr geschätzt. Man kann die Wirren und Inkonsistenzen im Alten Testament mit der natürlichen These erklären, daß (nur) Menschen die Texte der Bibel eben über lange Zeit und mit veschiedenen Intensionen geschrieben haben. Sollte man diese These dann nicht als die Einfachere akzeptieren, verglichen mit einer, die noch die weitere Entität Gott benötigt, und dem sie einen komplizierten und zweifellos schwer nachvollziehbaren Willen unterstellen muß? Und damit verlöre dann auch das Neue Testament seine Grundlage, denn Christus beruft sich schließlich immerfort auf die alten Schriften.
Aber im Grunde geht es hier ja nicht um Ockhams Messer oder den gesunden Menschenverstand. Gläubige glauben, weil die dies wollen, und sie scheinen bereit, Logik und den kompletten gesunden Menschenverstand über Bord zu werfen, bevor sie ihren Glauben aufgeben. Und in einem solchen Fall sind alle Argumente natürlich machtlos.

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