Dienstag, 3. April 2012

Wenn's nach dem Tod erst richtig losgeht

Legt Schwachstellen der Revolution offen: Zombiefilm

Fast eine Woche lang habe ich hier schon nichts mehr geschrieben! Aber heute Morgen, da bin ich aufgewacht und ich dachte gleich: Mensch, heute schreibst du aber mal was richtig Gutes für dein Blog! Mal so was Intellektuelles, nicht wieder das übliche Geplapper. Da muß mal so richtig Content in das vom großen bösen Google gepowerte Blog geblasen werden!
Und dann viel mir den ganzen Tag lang nichts ein, worüber mir etwas zu schreiben eingefallen wäre. Heute Abend wollte ich mir dann frustriert durch die Angst vorm leeren Bildschirm zur Entspannung noch mal das Ende der zweiten Staffel von The Walking Dead ansehen. Doch gerade als Hershel die großen Wummen und ich das zweite Bier hervor holen, und die Spannung des bevorstehenden großen Zombiemassakers förmlich zwischen den Bildschirm-LEDs knistert, da meint meine Frau zu mir: "Ich glaube, ich werde nie verstehen, was du an diesem primitiven, hirnlosen Zombiekram findest." Da war natürlich sofort klar, worum es im intelligenten Content gehen muß - um Zombiefilme! Es wird höchste Zeit, mit den Vorurteilen über diese Filme aufzuräumen! Etwa, daß sie hirnlos seien (Haha, Hirn gibt's da jede Menge!), daß sie alle gleich wären (Quatsch, oder vielmehr, natürlich sind sie das, aber dann sind es Liebesfilme auch. Nicht umsonst faßt man so was ja zu einem Genre zusammen.) und daß sie nur als Hintergrund für widerliche Splatter- und Gore-Effekte dienen (Klar. Aber mal ehrlich, wenn nur genug Zombies in die Story eingebaut worden wären, dann hätte man sich selbst einen Film wie Pretty Woman mit Spaß ansehen können!). Nun aber los, blicken wir mal ganz ernsthaft, am vergeistigt Brillenbügel kauend auf die kulturgeschichtlichen Kontexte es modernen Zombiefilms!
So viel mehr als nur derangierte Organe: Der Schrecken
 der Zombies.
Das erste Mal erhob sich der moderne Zombie 1968 in George Romeros Film Night of the Living Dead von seinem Untotenbett. Waren Zombies zuvor einzelne, willenlose Individuen, so wurden sie hier erstmals zur vom primitiven Verlangen nach Menschenfleisch angetriebenen Horden von Untoten. Und schon das Erwachen der Zombiemassen in gesellschaftlich bewegten Jahren scheint die Standardinterpretation des Zombiefilms zu bestätigen. Die Horrorfigur des Zombies bildet demnach gewissermaßen das lumpenproletarische Gegenstück zum aristokratischen Vampir. Während der adlige Vampir als charismatisches, unabhängiges Individuum der Gesellschaft als byronscher Held gegenübersteht, so bilden die Zombies eine verwahrloste, nur auf die Befriedigung elementarer Bedürfnisse ausgerichtete anonyme Masse. Ihnen gegenüber stehen die letzten überlebenden Menschen, in Dawn of the Dead symbolträchtigen Überfluß eines Einkaufzentrums verschanzt. Doch es ist klar, daß deren abgeschottete, privilegierte materielle Situation der gegen den Ansturm der darbenden Masse keinen Bestand haben kann. Gegen die verwahrloste Masse läßt sich der Wohlstand weniger nicht verteidigen, und früher oder später werden sie Zombiehorden auch die letzten Bastionen des Luxus mit sich in den Abgrund reißen. Bei einer solchen sozial- und kapitalismuskritischen Betrachtungsweise wird auch klar, worin der Grund für das langsame Voranschreiten der Revolution der Zombies liegt. Wären sie nur intelligenter, sich ihrer Lage bewußter - eben ein organisiertes Proletariat anstatt dieses Lumpenproletariats, sie könnten durch planvolleres, gezielteres Handeln aufgrund ihrer großen Zahl alle Widerstände im Handumdrehen ausräumen. Hier zeigen Zombiefilm die Mißstände der Weltrevolution auf!
Nun wird man einwenden wollen, daß die Masse der Zombies als Horrorfigur kaum als Gegenstand proletarischer Identifikation taugt. Doch auch dieses Mißverhältnis wird dadurch aufgelöst, daß die Überlebenden der Zombieapokalypse nie strahlende Helden sind, im Gegenteil oft sogar ausgesprochen unsympathische Charaktere (man denke nur an die Wachleute in Dawn of the Dead, den versoffenen Filmprofessor in Diary of the Dead, und so fort). Sie handeln nur zu oft selbstsüchtig, gierig und unsozial und sind damit moralisch den Zombies keinesfalls überlegen. Im Gegenteil, die aus ihrer, der Masse gegenüber privilegierte Position folgende Möglichkeit moralischer Einsicht macht ihr Handeln ethisch verwerflicher als das der Zombiemassen.
Doch kann eine solche sozialkritische Interpretation den Zombiefilm erschöpfend ausleuchten? Mitnichten! Eine ganze Dimension der Zombieapokalypse bleibt bisher vollkommen unberücksichtigt. Denn George Romeros Werk stellt nicht die Erfindung, sondern allenfalls die Wiederentdeckung der Zombieapokalypse dar. Blicken wir zurück zu den frühesten Anfängen der Weltliteratur. Als im Gilgameschepos die Göttin Ischtar mit ihrem Rungebagger beim Helden Gilgamesch übel abblitzt, verlangt sie als Werkzeug ihrer Rache als verschmähte Geliebte den Himmelstier. Und um ihrer Forderung ihrem Vater gegenüber auch gleich Nachdruck zu verleihen, droht sie:
Schaffst du mir aber den Himmelsstier nicht,
So zerschlag ich die Türen der Unterwelt,
Zerschmeiß' ich die Pfosten, laß die Tore weit offenstehn,
Laß ich auferstehn die Toten, daß sie fressen die Lebenden,
Der Toten werden mehr sein denn der Lebendigen!
Das Motiv der Zombieapokalypse findet sich also bereits im ersten Großepos der Weltgeschichte! Somit kann man vermuten, daß wir es hier mit menschlichen Urängsten zu tun haben, die weit über die Sozialkritik des 20. Jahrhunderts hinaus reichen. Und da verwundert es auch nicht, daß wir alle zum tieferen Verständnis des modernen Zombiefilms benötigten Begrifflichkeiten bereits fast zwei Jahrzehnte vor dessen Entstehung ausgearbeitet vorfinden - in Elias Canettis 1960 erschienenen Werk Masse und Macht.
Im Zombiefilm finden wir die grundlegenden Elemente menschlichen Masseverhaltens, wie es Canetti beschreibt, geradezu prototypisch vorgeführt. Die große Masse bilden hier natürlich die Zombies. Die vier Merkmale der Masse, sie alle finden sich klar bei ihnen wieder. Der Hang, als Masse zu wachsen, bis sie die gesamte verbliebene Menschheit umfaßt. Den Hang zur Dichte, wenn sich die Zombies um ihre Opfer zusammendrängen. Den Hang zur Gleichheit, denn unter Zombies ist jede Individualität bis zur völligen Gleichheit ausgelöscht. Und die Notwendigkeit einer Richtung der Masse, die durch die Jagd auf die letzten verbliebenen Nichtmitglieder der Masse besteht. Die Zombiemasse wird zum Prototypen der Hetzmasse bei Canetti. Und als solche Masse zeigen die Horden der Zombies auch den für die typischen Drang, alle nicht zur Masse Gehörenden entweder zu assimilieren oder zu vernichten. Denn es sind die verbliebenen Individuen, die der Masse Alternativen aufzeigen und sie dadurch in ihrer Existenz bedrohen. Erst durch diesen massetypischen Drang zur Vernichtung abweichenden Verhaltens wird das ansonsten unverständliche Verhalten der Zombies begreifbar. Etwa, daß Zombies nur selten Aggressivität gegen Tiere an den Tag legen (In Dawn of the Dead wird gar ein Hund als Bote eingesetzt, da die Zombies keinerlei Interesse an ihm zeigen), und niemals gegen andere Zombies. Und auch die Tatsache, daß Zombies die verbliebenen Menschen fressen wollen, obwohl Menschen ansonsten nicht zum menschlichen Speiseplan gehören, wird verständlich. Das Verspeisen seiner Widersacher stellt die grundlegendste, endgültigste Form der Vernichtung dar, weshalb Kannibalen ihre Feinde ritualisiert verzehrten. Die Zähne, typischerweise die einzige Waffe der Zombies, beschreibt Canetti in ihrer Härte und Regelmäßigkeit als das furchteinflößendste Symbol menschlicher Macht.
Die Überlebenden der Zombieapokalypse auf der anderen Seite dagegen stellen keine Masse dar, sondern das, was Canetti als "Meute" bezeichnet. Sie sind eine Gruppe von vielleicht einem Dutzend Individuen, denen das wichtigste Merkmal einer Masse verwehrt beleibt: die Möglichkeit zu wachsen. Sie haben keine Chance, Zombies zurück auf ihre Seite zu ziehen und sehen sie so ständig von der Auslöschung bedroht.
Die Bedrohung der Meute von Überlebenden erfolgt dabei von zwei Seiten. Zum einen durch die Masse der Zombies, die nach ihrer physischen Auslöschung durch Zerreißen und Verspeisen trachtet. Doch zum anderen auch durch den einzelnen Zombie, der nicht als Teil der Masse auftritt, sondern im Schatten lauert, aus dem Gebüsch hervorspringt und unvermittelt ein Mitglied der Horde angreift. Dieser Angriff erfolgt typischerweise gerade dann, wenn ein Mitglied der Meute für sich alleine ist. Zwar kann dieser Angriff in der Regel aufgrund des primitiven Verhaltens des Zombies abgewehrt werden, doch kann der Zombie mit einem Biß einen Überlebenden selbst zum Zombie verwandeln. Hier steht der Einzelne, wenn er alleine ist, vor der Gefahr, gegen seinen Willen dem Sog der Masse nicht widerstehen zu können und unweigerlich ein Teil von ihr zu werden. Für die Horde als Ganzes repräsentiert er die Bedrohung, die Eigenen an die Masse der Anderen zu verlieren, selber geschwächt zu werden und die Anderen gleichzeitig zu stärken. Die Ethnologie hat gesehen, daß Meuten angesichts des unvermeidbaren Verlusts eines Mitglieds an die Toten den Sterbenden zu besänftigen versuchen, indem sie ihn so lange wie möglich bei ihnen behält und möglichst heftig beklagt. Auf diese Weise soll sei Totengeist gutmütig gestimmt werden, auf das er als einer der Anderen den Überlebenden nicht schaden möge. Durch den Verlust jeder Individualität ist ein solches Besänftigen eines künftigen Zombies sinnlos. Daher ist es nur folgerichtig, daß das Verhalten der Meute einem Zombieinfizierten gegenüber die ganze Bandbreite möglichen Verhaltens abdeckt - vom langen nicht hergeben wollen (man denke nur an Andrea und Amy in The Walking Dead) bis hin zum sofortigen Eliminieren (z.B. Selena und Mark in 28 Days Later).
Man sieht also, Zombiefilme beschreiben detailliert und konsistent grundsätzliche menschliche Phänomene. Bleibt als offener Punkt noch allein die brutale Gewalt und ausgeprägte Körperlichkeit des Zombiefilms. Doch wenn wir ehrlich sind, ohne den perversen Folterapparat wäre Kafkas In der Strafkolonie auch nur halb so prickelnd!

Bevor ich nun aber das verdiente dritte Bier hervor hole, noch einmal schnell zurück zum Content. Dieser Text verwurstet zwar das die sechste Tafel des Gilgameschepos, übersetzt von Albert Schott und selber auf Vorformen zurück greifend, Masse und Macht von Elias Canetti, jede Menge Wikipedia, das versteht sich ja von selbst, und außerdem noch eine Menge von dem, was ich irgendwann mal irgendwo gelesen oder gehört habe, und dessen Quelle ich beim besten Willen nicht mehr angeben kann. Trotzdem ist dieser Text aber natürlich mein geistiges Eigentum und muß als Sprachwerk geschützt sein. Eine Schutzfrist von 70 Jahren nach meinem Tod scheint mir da schon angemessen. Schließlich will ich ja auch als Zombie auf ein anständiges Auskommen bauen können. Und nicht zu Ernährungszwecken jeder vor mir fliehenden menschlichen Leber hinterher torkeln müssen.

7 Kommentare:

  1. Vielen Dank. Jetzt mag ich Zombiefilme noch mehr als vorher. Ich freu mich schon auf den nächsten Filmabend, an dem das Leben der Privilegierten assimiliert wird.

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  2. Endlich jemand, der sich wie ich um die armen, mußverstandenen Zombies sorgt! In http://weblog.hundeiker.de/item-1148.html habe ich mal darüber geschrieben, und nun finde ich das hier! Wunderbar!

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  3. @StrangeAl:
    Und mit Chips und Bier auf dem Sofa hängen, das macht noch mehr Spaß im Bewußtsein, dabei Weltkultur zu genießen!

    @ulf_der_freak:
    Nun, daß die Intention, verspeißt zu werden, beim potentiellen Abendessen eine gewisse Ablehnung hervorruft, finde ich noch nachvollzieh- und entschuldbar. Und das ungepflegte und unkultivierte äußere Erscheinungsbild der Zombies ist sicherlich nicht geeignet, solche intuitive Abneigungen abzubauen. Um wie viel mehr schmeichelt es einem doch, von Hanibal Lector in Weißwein geköchelt zu werden! Aber da gibt es ja durchaus Möglichkeiten des Kompromisses. Wenn man etwa schon täuschend echt wirkende Bratwürste und Steaks aus Tofu oder so 'nem Zeug herstellen kann, dann sollte eine menschliche Tofubauchspeicheldrüse doch auch im Rahmen des Möglichen liegen. Auf diese Weise könnte man Zombies zu guten Vegetariern machen, was ja auch viel klimafreundlicher wäre...

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  4. Ich plädiere in meinem Artikel ja für Tischsitten.

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    1. Oh ja, Tischsitten sind wichtig! Aber das kann doch nicht alles sein. Beispielsweise sollte man auch in Erwägung ziehen, gelegentlich seine Unterwäsche zu wechseln - auch und gerade, wenn man darin verwest. Wenn man dann noch heraushängende Eingeweide unter der Kleidung trägt und die am schlimmsten verwesten Stellen mit Eau de Cologne betupft, dann wird man unter den Hausbewohnern gleich auf viel weniger Ablehnung stoßen, wenn man sich mit seinen Freunden und einem gesunden Appetit den Weg durch ihre mit Brettern vernagelten Schlafzimmerfenster bahnt...

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    2. War ein pars pro toto. Aber auch die noch richtig Lebenden sollzten den Zombies entgegenkommen!

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    3. Entgegenkommen ja. Aber ich persönlich bestehe auf einem Sicherheitsabstand von mindestens einer Tofubratwurstlänge!

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