"Daher wäre ein langer Prozess genau das, was sie [die Diktatoren] sich wünschen, was aber auf keinen Fall geschehen sollte. Denn viele Menschen lassen sich von grausamen Verführern beeindrucken, solange in ihnen noch das kleine Kind lebt, das den schlagenden Vater immer sowohl fürchtete als auch bewunderte und liebte."Schon da war man verführt, die Argumentation einfach mal umzudrehen und zu fragen, welches Problem die Analytikerin denn mit ihrem eigenen Vater hatte, daß das kleine Kind in ihr ihn gar nicht schnell und oft genug stellvertretend töten kann?
Wenn es jetzt um religiöse Beschneidungen von Jungen geht, dann erklären einem die Hobbyanalytiker, das Beschneidungsgegner insgeheim von Kastrationsängsten getrieben würden. Z.B. in der Süddeutschen:
"Kritik an ritueller Beschneidung: Im Hintergrund schwelen Kastrationsängste"oder der Wiener Zeitung:
"Es wird Zeit, dass jene Atheisten, die wissenschaftliche Erkenntnisse wichtiger finden als Kastrationsängste, klar und deutlich für die Verteidigung der Religionsfreiheit eintreten, um der weiteren Diabolisierung von muslimischen und jüdischen Eltern etwas entgegenzusetzen."Und was, wenn man hier stattdessen umgekehrt einfach fragt, was man denn so rein psychoanalytisch von einer Religion halten soll, deren Mitglieder nur dann von ihrem Gott akzeptiert werden, wenn sie sich vor ihm symbolisch kastrieren? Der kleine Hobbyanalytiker in mir klatscht da auf jeden Fall vor Freude in die Hände!
Das ist das Tolle der psychoanalytischen Argumentation - sie kommt immer so aufgeklärt und gebildet daher. Und was ihre Stoßrichtung angeht, kann sie im Argumentenraum frei um jede Achse gedreht werden!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen