Dienstag, 31. August 2010

Geistlose Geister

Der aufrechte, gottesfürchtige Christenmensch fürchtet sich vor Geistern. Und daß das umgehende Gespenst des Kommunismus niedergerungen wurde, ist noch lange kein Grund, sich beruhigt zurückzulehnen. Denn es gibt noch einen weiteren, viel gefährlicheren Geist, und der ist schon allgegenwärtig: der Zeitgeist. Gar nicht genug danken und ihr für seinen Mut bewundern kann man daher das Forum Deutscher Katholiken, wenn es vor zwei Tagen beherzt forderte: "Geht nicht konform mit dem Geist dieser Zeit!". Originell mag diese Forderung ja nicht sein, hat doch schon der abberufene Papst JP2 selbst gefordert: "Zugleich aber bitte ich Euch, Eure Priester und Gläubigen immer wieder zu ermutigen, sich nicht dem Zeitgeist anzupassen." Aber wer sollte den Mut infrage stellen, den es braucht, so unbequeme Notwendigkeiten erneut laut auszusprechen? Wobei - wo genau sehen denn die Katholen eigentlich den Zeitgeist am Felsen Petri nagen? Schließlich folgt die Gemeinschaft der Heiligen mit einem beachtlichen Sicherheitsabstand jeder modernen Erkenntnis. Man denke nur mal an das kopernikanische Weltbild! 1822 hat die Kirche das erste Mal die Druckerlaubnis für ein Buch erteilt, daß diese Weltsicht als real annimmt, und nicht betont, daß es sich dabei lediglich um eine mathematische Vereinfachung handelt! Da hat man sich also immerhin 279 Jahre seit dem Tode Galileis gegönnt, um nicht in den Verdacht zu geraten, dem Zeitgeist nachzulaufen. Auch mit dem 1859 erschienenen "Der Ursprung der Arten" von Charles Darwin überstürzt man nichts. Noch 1950 betonte Papst Pius XII, daß die Kirche zwar dem katholischen Wissenschaftler die Freiheit einräumt, die Evolutionslehre in Betracht zu ziehen. Aber: "Einige überschreiten nun verwegen diese Freiheit der Meinungsäußerung, da sie so tun, als sei der Ursprung des menschlichen Körpers aus einer bereits bestehenden und lebenden Materie durch bis jetzt gefundene Hinweise und durch Schlussfolgerungen aus diesen bereits mit vollständiger Sicherheit bewiesen." Die Evolutiontheorie ist eben nach 91 Jahren eben noch lange nicht reif, mehr als eine nützliche Hypothese zu sein. Auch hier sollte man mindestens 279 Jahre lang betonen, daß Evolution nur eine Annahme ist. Vieleicht vergeht diese Mode in der Zwischenzeit ja von alleine wieder.
Gut, das recht, sagen wir mal, kritische Verhältnis der Mutter Kirche zur Naturwissenschaft ist ja gemeinhin bekannt. Aber nicht nur dort zeigt sich ihre lobenswerte Unanfälligkeit gegen modische Erkenntnisse. So ist denn auch das ständige Preisen und das Berufen auf die Gedanken des Thomas von Aquin, eines Denkers des 13. Jahrhunderts, keineswegs nur Tradition, sondern zeigt den wahren philosophischen Horizont der Kirche auf: "Sie [=die Kirche] weiß ja nach einer Erfahrung von Jahrhunderten gut, dass die Methode des Aquinaten sich vor andern bewährt, sowohl im Unterricht wie auch in der Suche nach verborgenen Wahrheiten; dass seine Lehre fernerhin in Harmonie mit der göttlichen Offenbarung steht und in wirkungsvoller Weise sichere Fundamente des Glaubens legt, wie auch mit Nutzen und Sicherheit die Früchte eines gesunden Fortschritts bringt." Wie konsequent daran festgehalten wird, sieht man etwa an der Frage, ob Existenz ein logisches Prädikat sei. Die Verneinung dieser Frage findet man schon in Kants Transzendentaler Dialektik, erschienen 1781: "Sein ist offenbar kein reales Prädikat, d.i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne." (Kritik der reinen Vernunft, A598, B626). Aber das schrieb er ja auch in einer Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises, und so hat die Kirche ganz recht entschieden, als sie dieses Buch Kants in den Index der verbotenen Bücher aufgenommen hat. Denn die Schafe Gottes müssen vor Satans Einflüsterungen im Zeitgeist geschützt werden, sollen ihre Seelen nicht zur Hölle hinabsteigen. Leider, leider hat sich diese spezielle Einstellung hinsichtich des Charakters der Existenz dann aber doch immer weiter verbreitet. In der Begriffsschrift Gottlob Freges (was für ein unverschämter Name für einen Ketzer!), erschienen 1879, fand er dann Eingang in die moderne Logik, wo in allen Ausprägungen bis heute Existenz nicht als Prädikat, sondern als Quantor dargestellt wird. Nur die Kirche leistet auch heute, im Jahre 131 der modernen Logik, noch immer und als Letztes erfolgreichen Widerstand. Zwar bedienen sich inzwischen auch Theologen dieser Logik, doch schreiben sie einfach Existenz außer als Quantor zusätzlich auch als Prädikat mit rein. Respekt für diesen Mut!
Also, eigentlich könnten die katholischen Schafe Gottes ganz beruhigt sein. Bevor eine Idee oder Erkenntnis ihren zweihundertsten Geburtstag gefeiert hat, hat sie keine Chance, ernsthaft Einzug in die kirchliche Welt zu halten. Ein Aufspringen auf den Zeitgeist muß man also nicht befürchten. Und diese Langsamkeit ist auch nur vernünftig. Sagt doch selbst die Wikipedia, Zeitgeist sei "die Denk- und Fühlweise eines Zeitalters". Und das Zeitalter, das durch die Denkweise von Menschen wie Galileo, Kant, Darwin, Frege geprägt ist, das ist ja wohl die sogenannte Neuzeit. Aber man muß ihren Verlockungen nur widerstehen, irgendwann wird dieses Zeitalter mit seinen Moden wie Wissenschaftlichkeit, Vernunft, Ausgang aus der Unmündigkeit und so, schon wieder vorbeigehen. Und dann geht es für alle wieder dahin zurück, wo die katholische Kirche schon immer stand und steht: ins Mittelalter!

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