Dem aufmerksamen Leser mag auffallen, daß relativ viele Beiträge hier mit Sexualität, wenn auch nicht sehr explizit, zu tun haben. Mir zumindest fällt es auf. Unter den letzten zwanzig Posts haben immerhin sieben einen sexuellen Bezug. Da kann man ja schon mal fragen, warum das so ist. Naheliegende Begründungen wären sicher meine eigene, nennen wir es mal, emotionale Verbundenheit mit dem Thema. Oder auch einfach nur, daß ein Blick in Google Analytics mir gesagt hat, daß solche Stichworte mir am ehesten Leser auf mein Blog bringen. Da einem bei solchen Unterstellungen aber ohnehin nichts anderes als ein völliges Eingeständnis geglaubt wird, lohnt es sich nicht, sich dazu zu äußern. Ich möchte aber doch zu bedenken geben, daß es noch einen weiteren Grund gibt, über Sex zu reden: Sex ist eine weitere ausgesprochen widersprüchliche Angelegenheit des Lebens. Dabei will ich gar nicht auf die Widersprüche hinaus, die sich aus dem eigentlichen Geschehen im Bett ergeben, obwohl es auch dazu einiges zu sagen gäbe. Aber vieleicht ein andermal, wenn ich meine, noch einige Leser auf mein Blog locken zu müssen. Jetzt bleiben wir mal bei dem Widerspruch auf rein gesellschaftlicher Ebene. Der ergibt sich, weil Sex als etwas ausgesprochen Privates betrachtet wird. Diese Einstellung mag sich zwar auch durch die Zeiten verändern, und hier und jetzt würde sich vieleicht schon eine Umfrage lohnen, wer unter den Lesern noch kein privates Sexvideo auf YouPorn oder wo auch immer hochgeladen hat. Aber selbst wenn es jemand tut, so wird er doch kaum den entsprechenden Link gleich an seine Eltern und Kollegen schicken. Trotz allem bleibt Sex etwas sehr Privates.
Auf der anderen Seite steht eine ganz erstaunliche gesellschaftliche Regelungswut dagegen, sei es durch Religionen, Ideologien, oder durch das Strafrecht. Trotz der verschämten Privatheit des Liebesaktes glaubt die Allgemeinheit mit den unterschiedlichsten Rechtfertigungen, sich in seinen Vollzug einmischen zu dürfen, oder gar zu müssen. Das schönste Beispiel, denn hier stehen Harmlosigkeit und Grad der Einmischung in einem besonders krassen Gegensatz, ist die Homosexualität. Religionen wie u.a. die christliche lehnen sie die Jahrtausende hindurch ab, belegen sie mitunter gar mit der Todesstrafe, denn sie sei "Gott ein Greuel". Und selbst das Strafrecht in Deutschland war noch vor gar nicht mal so langer Zeit in dieser Hinsicht alles andere als liberal. Aber weitere Beispiele gibt es zu Hauf: Sexuelle Praktiken mit Tieren gehören schleunigst verboten, wo sie es nicht schon sind. Hier beruft man sich aber lieber auf den Tierschutz als auf Gottes Gebot. Auch die Prostitution gehört ja im Grunde verboten, sei es als Kampf gegen die Sünde vor dem Herrn, sei es aus feministischer Sicht. Schließlich kann eine Frau sich per Ideologie nicht freiwillig prostituieren. Da muß ma sie vor Ausbeutung schützen. (Freiwillig die Bahnhofsklos putzen kann eine Frau übrigens auch aus feministischer Sicht wohl schon?) Und was haben wir da noch alles? Drei Kinder von drei Männern? Nicht verboten, leider, aber doch asozial. Sex mit Kindern? Zu recht verboten. Aber gerade in dem Nebeneffekt der Kinderpornographie in jüngster Zeit mit solcher Hysterie behandelt, daß man wohl am liebsten gleich das ganze Internet verboten hätte. Oder nehmen wir das Inzestverbot...
Offenbar gibt es beim Thema so tiefe Emotionen, daß die meisten Menschen glauben, sich in das Liebesleben ihrer Mitmenschen einmischen zu müssen. Und Religion war da schon immer das beste Mittel zur Rechtfertigung jeder Einmischung. Hat mein ein dumpfes Gefühl, das man rational nicht begründen kann, dann behautet es sich leicht, Gott wolle es nun mal so. Das funktioniert bei dem Verbot, jemanden zu ermorden, und bei schwulem Sex. Wo aber die Berufung auf Gottes Wille in der modernen Gesellschaft allzu lächerlich klänge, da bleibt immernoch der Feminismus, der Tierschutz, oder was auch immer.
Aber vieleicht zeigt sich beim Thema Sexualität hier nur besonders deutlich, was dem menschlichen Wesen zutiefst zueigen ist, und was sträflich übersehen wird: Hat ein Mensch ein starkes Gefühl in einer bestimmten Hinsicht, so wird er immer auch gute Gründe finden, sein Gefühl scheinbar objektiv zu rechtfertigen. Will es etwas haben, findet er immer Gründe, warum er es braucht. Hat er Angst vor etwas, findet er immer Gründe, warum er es nicht will oder warum es falsch wäre. Selbst wenn er aus Gier Steuern hinterzieht, findet er noch Gründe, warum es ja letztlich, jetzt aber mal wirklich völlig objektiv betrachtet, schon in Ordnung ist. Dabei weiß der Mensch oftmals gar nicht, daß seine scheinbar rationalen Gedanken nur seinen Gefühlen hinterher laufen, und er will es auch gar nicht wissen. Dabei ist es gefährlich, dies zu ignorieren. Hier erscheint nämlich vernünftig, was irrational ist. Hier liegt der wirklich gefährliche Aberglaube, den es in Schach zu halten gilt. Und daher lohnt es sich auch, unter anderem über Sex immer wieder und wieder zu reden.
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