Mittwoch, 23. Dezember 2015

Jahresrückblick (3): Totaler Krieg des Jahres

Ob irgendwo auf geheimen Bilderberger-Konferenzen Hölzchen gezogen werden, wer im nächsten Jahr intellektuelles Harakiri begehen und einen Text veröffentlichen muß, der so grotesk und wahnsinnig ist, daß niemand den Verfasser je wieder wird ernst nehmen können? Falls ja, dann hat 2015 das frühere litauische Staatsoberhaupt und ehemalige Parlamentspräsident Vytautas Landsbergis den Kürzeren gezogen und darauf hin einen Gastbeitrag für die Zeit geschrieben mit dem klangvollen Titel


Nun sind antirussische Propagandaartikel bei der Zeit ja keine Seltenheit (alleine Andreas Umland, Mitarbeiter des "Instituts für  Euroatlantische Kooperation" in Kiew, durfte bisher 12 Gastbeiträge für die Zeit schreiben, um eine knallharte anti-russische Position im Konflikt in der Ukraine zu verbreiten!), der Beitrag von Herrn Landsbergis ist aber so durchgeknallt, daß es selbst seine Veröffentlichung in der Zeit erstaunlich ist. Denn hat man als Chefredakteur nicht auch eine gewisse Verantwortung gegenüber seinen Autoren? Herr Landsbergis ist schon über 80, sollte man da nicht die Veröffentlichung eines Gastbeitrags im Interesse des Autors ablehnen, wenn eine einsetzende geistige Umnachtung nicht zu übersehen ist? Die Zeit hat den Text jedenfalls trotzdem veröffentlicht. Und natürlich bietet er all die Verdrehungen und Halbwahrheiten, die andere Propagandatext auch auszeichnen. Z.B. sowas wie
"Denn obwohl in der Ukraine mehr als 5.000 Menschen getötet worden sind, spricht man immer noch nicht von einem Krieg in Europa."
Ein ziemlich drolliger Vorwurf, wenn selbst die Regierung in Kiew sich bis heute weigert, von einem Krieg in ihrem Land zu sprechen, sondern lieber von einer "Anti-Terror-Operation" faselt.
Oder auch
"Es war Russland, das sich geweigert hat, ein guter Nachbar zu sein. Russland hat die Teilnahme am EU-Nachbarschaftsprogramm abgelehnt."
Was an sich schon stimmt. Nur hatte Russland es lediglich abgelehnt, sich gemeinsam mit Ländern wie Moldawien und Algerien in ein gemeinsames Programm für EU-Juniorpartner einzureihen und stattdessen auf eigene Verhandlungen zu einer Partnerschaft bestanden. Und es hat diese auch bekommen.

Aber wir wollen jetzt nicht jeden Satz durchgehen, Landsbergis' Beitrag hat viel mehr zu bieten als solche Standardphrasen. Nämlich klare Lösungsvorschläge. So soll seiner Meinung nach Russland vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten werden. Und aus den Vereinten Nationen ausgeschlossen. Daß ersteres ökonomischer und politischer Wahnsinn wäre und das Zweite nur möglich wäre, falls Russland als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats seinem eigenen Ausschluss zustimmt - geschenkt! Und das sind auch nur die soften Maßnahmen! Denn eigentlich brauchen wir Krieg, so ganz klassisch mit totschießen und so, nicht nur so eine Weicheierscheiße von Handelskrieg. Und erst wenn dieser Krieg gewonnen ist, dann kommen alle anderen Reformen in der Ukraine. Denn:
"Alle anderen sogenannten Prioritäten sind Heuchelei."
Klar, selbst einem Landsbergis ist es bewusst, daß mehr Aufrüstung auf der einen Seite zu mehr Aufrüstung auf der anderen Seite führt, was zu noch mehr Aufrüstung auf der einen Seite führt und in letzter Konsequenz in einen Krieg zwischen zwei Mächten mündet, die zusammen auf 9000 einsatzfähigen Atomsprengköpfen sitzen. Aber so ein Atomkrieg ist ja laut Herrn Landsbergis auch überbewertet. Denn:
"Was die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes von Nuklearwaffen betrifft: Sie werden bereits jetzt eingesetzt, denn allein die Drohung damit ist ebenso verbrecherisch wie der tatsächliche Einsatz."
Vielleicht verliert der Gedanke an den Weltuntergang ja jenseits des 80sten Geburtstags seinen Schrecken. Ich selber aber sehe doch einen wirklich großen Unterschied zwischen der Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen und dem tatsächlichen Einsatz von Atomwaffen. Und ich würde diese Unterscheidung auch nur sehr ungern verwischt sehen.

Und damit nähern wir uns auch schon dem Höhepunkt unserer kleinen Tour durch den Wahnsinn der Kriegstreiberei. Denn neben der Zerstörung der russischen Wirtschaft, dem Zerlegen der Vereinten Nationen und einem kurzen Ausflug in die faszinierende Welt des Atomkriegs sollten wir auch die russischen Opposition ein bisschen motivieren. Man will ja letztlich nur der Freiheit und Demokratie dienen. Und das ginge zum Beispiel durch Visa-Erleichternungen für russische Dissidenten:
"Außerdem könnte man die Visa-Vergabe erleichtern, allerdings unter der Bedingung, dass keine Russen in abzeichenlosen, grünen Uniformen kommen und Regierungsgebäude besetzen."
Denn - hach, jetzt kommt meine absolute Lieblingsstelle aller Propaganda 2015! -
"Zu gegebener Zeit könnten Männer in Grün überall auftauchen: in Paris, London, Berlin, vor allem dann, wenn gleichzeitig radikale Studentenunruhen oder islamistische Terroranschläge stattfinden."
Russische Soldaten reisen inkognito mit Touristenvisa nach Berlin, warten da auf radikale Studentenunruhen um dann den Reichstag zu besetzen! Gott, was wäre das doch ein grandioser Plot für einen neuen RTL-Fernsehfilm! Vielleicht mit Oliver Kalkofe als radikaler Student, Serdar Somuncu als russischer Invasor und Daniela Katzenberger als zwei Reichstagskuppeln… Ich kann's fast vor mir sehen!

Jetzt wird man das Machwerk des Herrn Landsbergis schnell als den Unsinn beerdigen, der es ist, und zurück bleibt nur eine leichte innere Unruhe, daß so etwas diese Tage überhaupt veröffentlicht werden konnte. Ein Verdienst bleibt Herrn Landsbergis aber doch. Selten hat jemand so gelungen in einem einzigen Satz zusammen gefasst wie im zuletzt Zitierten, was einem alten weißen Mann heute Angst macht: Der Russe, der Moslem und die Jugend. Fehlen eigentlich nur noch Frauen in Hosen, um den Horrorreigen komplett zu machen. Und so erinnerte uns Herr Landsbergis 2015 daran, daß die Vergangenheit nie so tot ist, wie sie sein sollte. Das ist mehr als nichts...

1 Kommentar:

  1. Ich lese gerade Sorokins "Telluria" (bin ca. halb durch) und weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. (Auf jeden Fall deutlich mehr als vom "Schneesturm", ziemlicher Mist!) Aber die Philippika von Landsbergis erinnert mich irgendwie an das Buch. Vor allem: Bevor es besser wird, wird es erstmal sehr viel schlechter werden.

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