Donnerstag, 8. Oktober 2015

Die Auflösung

Es ist ja schon ein Elend mit Russia Today. Hin und wieder wird man auf einen Beitrag aufmerksam und denkt "Hey, ist ja schon interessant". Und dann kann man sich sicher sein, kurz darauf bringen sie irgendwas von einer so erlesenen Blödheit, daß sie alles aufkeimende Interesse gleich wieder mit dem Arsch einreissen. Ein aktuelles Beispiel für Letzteres ist ein kurzer Artikel mit dem Titel
und dem spannend klingenden Inhalt:
"Auch die Qualität der US-Satellitenaufnahmen aus Syrien im Vergleich zur Ukraine lässt einen verwundert innehalten. Während von dem Luftwaffenstützpunkt in Latakia US-Satelliten hochaufgelöste, glasklare Bilder von russischen Kampffliegern liefern, konnten dieselben Satelliten in der Ukraine nur stark verpixelte und unscharfe Schwarzweißaufnahmen von der angeblichen russischen Invasion liefern."
Das ist natürlich von vorne herein völliger Quatsch, die Bildqualität der von westlichen Institutionen (NATO, Stratfor, etc.) veröffentlichten Satellitenbilder aus der Ukraine und aus Syrien ist genau dieselbe. Da gibt es nichts, was einen innehalten lassen könnte. Man muß sich nur einmal Details wie z.B. Lastwagen in Bildern aus den beiden Ländern ansehen, man erkennt immer in etwa dasselbe Maß an Strukturen. Der einzige offensichtliche Unterschied ist, daß die aktuellen Bilder aus Syrien schön farbig daher kommen, die aus der Ukraine aber in Schwarzweiß gehalten waren. Allerdings ist das kein Merkmal von Qualität, die intuitive Faustregel "farbig = neu und gut, schwarzweiß = alt und schlecht (oder Arthouse!)" gilt da nicht.
Mit Schwarzweiß-Aufnahmen (bzw. korrekt "panchromatischen Bildern") erreicht man eine deutlich höhere Auflösung als mit Farbaufnahmen (bzw. korrekt "Multispektralbildern"). Wenn man doch ein hochaufgelöstes Farbbild haben möchte, dann überträgt man die Farben aus niedrig aufgelösten Farbbildern auf ein hochaufgelöstes Schwarzweißbild. Für diese Farbübertragung gibt es eine ganze Reihe von z.T. Jahrzehnte alten Verfahren; wer im Detail wissen will wie etwa der Satellitenbetreiber DigitalGlobe das macht, oder zumindest ein paar Beispielbilder sehen möchte, der guckt hier. Letztlich liegt auch den hochaufgelösten Farbbildern immer ein hochaufgelöstes Schwarzweißbild zugrunde und das Einfärben ist nur eine erweiterte Bearbeitung zum Aufhübschen wo es aufs hübsch aussehen ankommt (z.B. bei Google Earth). Es ist aber kein eigentliches Qualitätsmerkmal des Bildmaterials.

Guckt man sich allerdings die von Russia Today ausgesuchten Beispielbilder aus Syrien näher an, dann findet man eine kleine Überraschung, die die nähere Analyse der Bilder dann doch ganz spaßig werden läßt (in dem bei DWüdW ja nicht unüblichen, erweiterten Sinne von "Spaß")! Also mal los!

Es geht um zwei Bilder von DigitalGlobe vom 23. September 2015, das Erste ist ein Ausschnitt vom Bassel Al-Assad-Flughafen bei Latakia an der syrischen Mittelmeerküste:
Das zweite Bild zeigt die Militärbasis Istamo, ebenfalls in der Nähe von Latakia:
Wenn man die beiden Bilder genau betrachtet, dann fällt auf: man sieht keine Schatten. Also, wirklich gar keine Schatten, nirgends. Offensichtlich ist der Himmel völlig wolkenlos, und trotzdem wirft kein Flugzeug, kein Haus, nichts einen Schatten. Und die einzige Möglichkeit, vom Himmel auf die Erde zu blicken und nirgends einen Schatten zu sehen, ist, direkt aus Richtung der Sonne zu blicken. Denn ein Schatten ist ja gerade ein Schatten, weil er von der Sonne aus verdeckt ist, und also auch für einen Beobachter vor der Sonne verdeckt. Der Satellit, der diese Aufnahmen gemacht hat, muß also von der Gegend um Latakia aus gesehen am 23. September am Himmel vor oder zumindest sehr nahe bei der Sonne gestanden haben. Und damit wird die Analyse der Bilder ziemlich einfach. Man muß nur alle sich z.Z. im Betrieb befindlichen Satelliten der Firma DigitalGlobe durchgehen und gucken (z.B. hier), welcher am 23. September 2015 dicht an der Sonne vorbei gelaufen ist. Die infrage kommenden Satelliten sind WorldView 1 bis 3 und GeoEye 1, und das Sonnenkriterium ist so stark, da kommt nur ein einziger in Frage, GeoEye 1. Der ist von Latakia aus gesehen ganz nahe an der Sonne vorbeigelaufen, und zwar um 8:19 (UT). Hier ist die Bahn in eine Himmelskarte eingetragen (Norden ist oben, Osten links, das Zenit in der Mitte, die Position der Sonne ist mit dem, nun ja, Sonnensymbol gekennzeichnet):
Und so sieht die Bahn von GeoEye 1 am Vormittag des 23. September über der Erdoberfläche aus:
Damit ist der Ursprung der beiden Bilder auch schon geklärt! Es handelt sich um zwei Ausschnitte eines Aufnahme, die vom Satelliten GeoEye 1 am 23. September 2015 um 8:19 (UT) gemacht wurde. Auch die ungefähre Position am Himmel während der Aufnahme ist klar, man muß nur nachsehen, wo die Sonne an diesem Tag um diese Uhrzeit und an diesem Ort stand. Das war bei einem Azimutwinkel von 152o (gemessen entlang des Horizonts von Norden über Osten, also hier in Richtung SSO) und einer Höhe von 51o über dem Horizont.

Damit wären wir eigentlich fertig. Wobei, vielleicht wollen wir ja doch noch die Auflösung der Bilder wissen, wo sie RT schon innehalten lässt? Und zugleich wäre dies ein guter Beispielfall, um die in vorherigen Posts schon benutzte Methode der Positionsbestimmung des Satelliten aus der geometrischen Bildverzerrung zu testen. Wo wir die Position am Himmel doch allein aus dem fehlenden Schatten kennen, da haben wir doch eine Referenz…
Also doch noch ein bisschen weiter:

Als Testfall eigent sich das zweite Bild, das von der Militärbasis Istamo. Denn dort erkennt man eine Menge Strukturen, die sich mit Aufnahmen aus Google Earth vergleichen lassen. Zuerst müssen wir also den genauen Ort der Aufnahme finden. Erledigt: 35o 28' 17" N, 35o 55' 9" O. Die letzten Google Earth-Bilder sind von 2014 und seitdem hat sich da einiges getan. Allerdings erkennt man deutlich die großen Gebäude wieder und wir können die Ecken von Gebäuden als feststehende Referenzpunkte verwenden. Das geht genauso wie schon früher beschrieben, daher nur knapp:
Ich habe 16 solcher im Satellitenbild und bei Google Earth identifizierbaren Punkte rausgesucht und ihre Koordinaten im Bild (in Pixeln relativ zu einer Ecke) ausgemessen. Bei Google Earth habe ich die Abstände zwischen all diesen Punkten (in Metern) und die Richtungen der Verbindungslinien relativ zur Nordrichtung ausgemessen. Jetzt können wir die Abstände zwischen den Referenzpunkten in Metern durch die jeweiligen Abstände im Bild in Pixeln teilen und wir erhalten den Abbildungsmaßstab in Metern pro Pixel (betrachten wir das mal etwas salopp als die Auflösung des Bildes). Diesen Abbildungsmaßstab können wir jetzt für die verschiedenen Verbindungslinien zwischen allen Referenzpunkten gegen ihren Winkel zur Nord-Süd-Richtung auftragen. Würden wir senkrecht von oben auf die Welt blicken, dann sollte der Abbildungsmaßstab in allen Richtungen gleich sein. Gucken wir allerdings schräg, dann ist er unterschiedlich: Entlang der Blickrichtung ist er verzerrt, denn  in dieser Richtung ist eine Linie vom Betrachter weggekippt. Senkrecht zur Blickrichtung bleibt dagegen alles gleich. Wir können also der Kurve der Abbildungsmaßstäbe gegen Richtung die Position des Beobachters am Himmel ableiten: Die Richtung des maximalen Abbildungsmaßstabes ist der Azimut des Beobachters, der minimale Abbildungsmaßstab die Auflösung des Instruments und aus dem Unterschied zwischen minimalen und maximalen Abbildungsmaßstab ergibt sie die Höhe des Beobachters, d.h. des Satelliten, über dem Horizont. Gucken wir uns diese Kurve für das Satellitenbild von Istamo an, dann sollten wir in etwa den Azimut und die Höhe der Sonne für den Satelliten finden, und eine minimale Bildauflösung in der Nähe des Wertes von GeoEye 1 (das ist laut Betreiber 41 cm pro Pixel beim Blick senkrecht nach unten).

So sieht die Kurve aus. Die schwarzen Punkte sind die Werte für die Verbindungslinien zwischen allen Referenzpunkten und die rote Linie ein angepasstes einfaches geometrisches Modell, um die optimalen Werte für Azimut, Höhe über dem Horizont und Abbildungsmaßstab zu finden.
Sieht voll Scheiße aus, gell? Es gibt schon eine Variation des Abbildungsmaßstabs mit dem Winkel zur Nord-Süd-Richtung, das Bild ist also nicht schon für geometrische Effekte korrigiert. Aber die Variation ist ziemlich klein und die Werte für die einzelnen Verbindungslinien streuen enorm. Außerdem ist der Abbildungsmaßstab sehr klein, im Minimum gerade einmal 16.7 cm pro Pixel! Auch die aus dieser Abbildung abgeleitete Position des Satelliten am Himmel ist Müll: Das Azimut ist bei 89o und die Höhe über dem Horizont 74o, weit weg von der Sonne. Irgendwas stimmt da überhaupt nicht!

Sehen wir erst einmal nach, welche Werte wir für den Abbildungsmaßstab erwarten sollten. Das können wir, wenn wir annehmen, daß der Satellit vor der Sonne stand. Wenn wir die Bahnhöhe von GeoEye 1 (im Mittel 678.5 km) benutzten und außerdem den Erdradius kennen (6371 km), dann können wir den Abstand zwischen Satellit und Istamo ausrechnen, dazu braucht's nur den Kosinussatz. Dieser Abstand ist 847.1 km. Laut des Datenblatts von DigitalGlobe hat GeoEye 1in 681 km Höhe senkrecht nach unten eine Auflösung von 41 cm pro Pixel. Also sollte die Auflösung in 847.1 km Entfernung auf 51 cm pro Bildpunkt abgenommen haben. Dies ist der minimale Abbildungsmaßstab, den wir - senkrecht zu der Blickrichtung - in der obigen Kurve hätten erwarten sollen. Der maximale Abstand ergibt sich daraus mit der Höhe des Beobachters über dem Horizont zu 66 cm pro Pixel.

Aber jetzt könnte einem etwas auffallen. Der oben bestimmte minimale Abbildungsmaßstab von 16.7 cm pro Pixel, der ist ziemlich genau ein Drittel des zu erwartenden Wertes! Und das Satellitenbild von Istamo (so wie ich es bei RT runtergelassen habe und hier verwende) hat in der horizontalen Richtung eine Abmessung von 3000 Pixel. Da liegt doch die Vermutung nahe, daß dieses Bild um einen Faktor 3 vergrößert wurde. Denn dann käme man gleich zu einem realistischen Wert für die Auflösung des Bildes. Aber was ist mit der vertikalen Bildrichtung? Wenn die auch um einen Faktor 3 vergrößert wäre, denn würde die Position des Satelliten am Himmel immer noch falsch bleiben. Die Bildgröße in vertikaler Richtung muß etwas stärker vergrößert worden sein, wenn des hinkommen soll. Probieren wir es doch einfach mal mit der Annahme eines Faktors 4 in der Vertikalen. So sieht das Ergebnis aus:
Das sieht schon deutlich besser aus! Der minimale und maximale Abbildungsmaßstab sind jetzt 51 und 66 cm pro Pixel, exakt was man erwarten sollte! Die Position des Satelliten ergibt sich jetzt bei einem Azimut von 149o und einer Höhe von 51o über dem Horizont und damit nur 1o am Himmel von der Sonne entfernt! Wenn wir die Position des Satelliten unter der Annahme einer Reskalierung des Satellitenbildes um einen Faktor 3 und 4 in horizontaler und vertikaler Richtung mit in die Himmelskarte eintragen, dann sieht das so aus:
Passt alles hervorragend zusammen!
Bleibt aber noch die Frage, weshalb es zu einer Vergrößerung um die Faktoren 3 und 4 gekommen sein soll. Für die Vergrößerung um einen Faktor 3 gibt es keinen guten Grund, dadurch wird das Bild nur größer, sonst nichts. Aber für den Unterschied in horizontaler und vertikaler Richtung von 3 zu 4 könnte es einen Grund geben - dies ist Umrechnungsfaktor vom 16:9 zum 4:3 Format. Das Originalbild von Istamo ist ein Ausschnitt aus einem größeren Satellitenbild im Format 16:9 gewesen, wobei die längere Bildseite eine Abmessung von um die 1000 Pixel gehabt haben muß. Wenn man von Standardformaten ausgeht, käme 1024 x 576 für den Originalausschnitt in Frage, mit einer Bildauflösung von 51 cm pro Pixel in horizontaler und 66 cm pro Pixel in vertikaler Richtung. Dieser Bildausschnitt wurde ins 4:3 Format umskaliert und auf 3000 x 2250 Pixel Größe aufgeblasen - warum auch immer. Der Ausschnitt in korrekter Perspektive und Auflösung muß so aussehen:
Wenn man die Details in dieser von 3000 x 2250 auf 1000 x 562 Pixel verkleinerten Aufnahme mit dem ersten, großen Bild vergleicht, dann sieht man, daß nichts an Auflösung verloren gegangen ist. Nun sieht allerdings die Schrift komisch aus. Offenbar wurde die Änderung des Seitenverhältnisses vor der Beschriftung durchgeführt.

Eine tatsächliche Bildauflösung von 51 und 66 cm pro Pixel in horizontaler und vertikaler Richtung - da bleibt zum Schluß nur noch die Frage nach der Auflösung in den Bildern aus der Ukraine. Die meisten Bilder erlauben keine genaue Vermessung, da nur kleine Ausschnitte irgendwo auf Feldern, ohne jeden identifizierbaren Bezugspunkt veröffentlicht wurden. Ein besseres Bild, das angebliche russische Truppen in der Ostukraine zeigen soll, hatten wir hier schon einmal vermessen, es war dieses:
Der ermittelte Abbildungsmaßstab war 1.8 m pro Pixel für das Übersichtsbild. Die Detailbilder sind, grob geschätzt, etwa 3.5-fach vergrößert. Also liegt die tatsächliche Auflösung dieses Bildes über den Daumen bei 51 cm pro Pixel. Wie ja schon ganz am Anfang gesagt, die Bildqualität ist in der Ukraine und in Syrien wirklich dieselbe. So plump wie RT das unterstellt sind die Lügen dann auch wieder nicht...

2 Kommentare: