Montag, 1. September 2014

Die Invasion aus dem All (2)

Also die erste Abbildung aus der NATO-Präsentation lässt mir ja keine Ruhe. Vor allem wegen ihrer merkwürdigen Perspektive aus dem Norden. Daher versuche ich mich mal an einem genaueren Blick auf diese eine Abbildung, die russische Konvois in der Ukraine am 21. August zeigen soll. Das wird ein bisschen technisch, aber vielleicht interessiert es ja wen. Und ich schreibe das mal so aus der hohlen Hand. Kritik und Anregungen sind ausdrücklich erwünscht.
Zunächst einmal lässt sich die Abbildung recht schnell bei Google Earth finden. Hier ist die NATO-Aufnahme, so gedreht, daß Norden oben und Westen links ist:
Dieses Bild zeigt die Gegend am nordwestlichen Rand des Dorfes Sukhodilsk in der Ukraine, um 48o22' Nord, 39o43' Ost:
Was auffällt, ist die starke Stauchung der NATO-Aufnahme in Nord-Süd-Richtung. Dies ist eine Folge der Perspektive: Die Aufnahme wurde schräg von oben aus nördlicher Richtung gemacht. Daher scheinen Strecken in Nord-Süd-Richtung gegenüber der Ost-West-Richtung verkürzt. (Man stelle sich einfach ein Kreuz mit gleich langen Balken auf einem Blatt Papier vor. Sieht man senkrecht darauf, sehen beide Balken gleich lang aus. Dreht man das Blatt entlang einer der Balken, dann ändert sich die Länge des Balkens entlang der Drehachse nicht, die senkrecht dazu wird aber perspektivisch verkürzt. Und zwar mit dem Kosinus des Kippwinkels zur Senkrechten.) Wenn wir die perspektivische Verkürzung der Nord-Süd- relativ zur Ost-West-Richtung im NATO-Bild messen können, dann können wir daraus den Aufnahmewinkel über dem Horizont ermitteln.

Um die perspektivische Verzerrung zu ermitteln, müssen wir möglichst viele eindeutige Punkte in der NATO-Abbildung und bei Google Earth identifizieren. Dann legen wir ein Liniennetz über die Abbildung, das diese Punkte miteinander verbindet. Auf die Schnelle waren "möglichst viele" bei mir sechs. Aber das reicht schon für eine akzeptable Schätzung. Hier ist das Netz in die NATO-Aufnahme eingetragen:
Als leicht zu identifizierende Fixpunkte dienen Häuserecken, Straßenkreuzungen und markante Gewässergrenzen. Jetzt messen wir die Längen aller 15 Strecken in beliebigen Bildkoordinaten (ich habe mal die Länge der Nord-Süd-Kante des Bildes auf "1" gesetzt, aber das spielt keine Rolle). Dann messen wir die Länge aller Strecken mit den Google-Earth-Tools entlang der Erdoberfläche, sowie ihren Winkel zur Ost-West-Richtung (ich hoffe, Google Earth macht das zuverlässig…).
Ohne perspektivische Verzerrung sollten die Verhältnisse aller Längen in Bildkoordinaten und am Erdboden die gleichen sein. Kommt es durch die schräge Ansicht zu einer Verzerrung der Nord-Süd-Richtung, dann sollte das Verhältnis von Bildlänge zu Länge am Erdboden mit steigendem Winkel der Strecke bezüglich der Ost-West-Richtung abnehmen. Und das tut es auch deutlich. Hier sind die Längenverhältnisse aller 15 Strecken aus dem obigen Bild gegen ihre Winkel zur Ost-West-Richtung aufgetragen:
Man erkennt deutlich, wie das Verhältnis (hier "Bildskala" genannt) von Bildkoordinaten zur wahren Länge (hier in km) abnimmt, je steiler eine Strecke zur Ost-West-Richtung steht. Nun müssen wir nur noch nachsehen, wie sehr die Länge der Strecke im Bild in N-S-Richtung gegenüber der O-W-Richtung gestreckt werden muß, damit diese Verkürzung verschwindet. Dieser Streckfaktor ist dann Eins geteilt durch den Kosinus zum Quadrat des Blickwinkels relativ zur Zenitrichtung. Für diesen Winkel findet sich der Wert von 56.6o. So sehen zum Vergleich die Verhältnisse der mit 56.6 Grad zum Zenit "entzerrten"Streckenlängen zur den wirklichen Längen aus (rote Punkte):
Also steht der Beobachter ziemlich niedrig über über dem Horizont, nämlich nur 33.4 Grad in nördlicher Richtung. (Die Pixelskala der Abbildung bekommt man daraus noch als Nebenprodukt: 1.843 Meter pro Pixel.)

Nachdem wir den Blickwinkel kennen, können wir auch die Aufnahmezeit viel genauer bestimmen als im letzten Post hier. Denn da wir die perspektivische Verkürzung der N-S-Richtung gegenüber der O-W-Richtung kennen, müssen wir die Richtung des Schattenwurfs nicht mehr nur über den Daumen peilen, sondern können ihn gut messen. Dazu müssen wir annehmen, daß die Fläche unter dem Schatten in der Horizontalen liegt. Da alle Schattenrichtungen über das gesamte Bild ganz gut übereinstimmen, scheint mir diese Annahme vertretbar. Zur Messung der Schattenrichtung nehmen wir, wieder auf die Schnelle, den großen Masten einer Überlandleitung in der Box oben rechts. Ohne Verzerrung ist das Verhältnis der Schattenrichtung in Nord- und Westrichtung 0.233. Mit der vorher ermittelten perspektivischen Verkürzung der N-S-Richtung um cos(56.6o) ergibt sich das wahre Verhältnis zu 0.423. Damit ergibt sich ein Schattenwinkel von 22.9 Grad nördlich von West. Die Sonne stand zum Aufnahmezeitpunkt also 22.9 Grad südlich von Ost. Ein Blick in den Sonnenverlauf vom 21. August zeigt, daß die Sonne um 9:01 Ortszeit aus dieser Richtung schien, bei einem Winkel von 34.6 Grad über dem Horizont.

Damit haben wir aus dem kleinen Bild eine Menge Informationen herausgekitzelt: Es wurde aus Richtung Nord aus einer Höhe von 33.4 Grad über dem Horizont aufgenommen, und wenn das angegebene Aufnahmedatum 21. August stimmt, dann wurde die Beobachtung um 9:01 Ortszeit (UTC+3) gemacht.

Damit gilt also umso mehr, was schon im letzten Post gefolgert wurde (siehe ggf. dort): Diese von der NATO präsentierte Aufnahme stammt mit Sicherheit nicht wie behauptet von DigitalGlobe.

[Ergänzung 2.9.: Vielleicht sollte ich hier noch etwas mehr zur Erläuterung anfügen, da ich diese Frage zweimal gestellt bekommen habe.
Das Problem für dieses Bild ist nicht nur, daß die Aufnahmezeit nicht mit einem der DigitalGlobe-Satelliten in Verbindung gebracht werden kann. Dieses Problem könnte man, wenn man unbedingt wollte, durch falsche Bahnberechnungen wegzudiskutieren versuchen. Bei der dritten von der NATO präsentierten Aufnahme wäre eine solche Argumentation im Prinzip möglich, nicht aber bei der ersten, in diesem Post diskutieren Aufnahme. Denn das größere Problem ist hier die Nord-Perspektive.
Die fraglichen Satelliten bewegen sich auf Umlaufbahnen, die sehr steil zum Erdäquator stehen. Dies muß man nicht einfach nur der Datenbank glauben, es hat einen einleuchtenden Grund. Soll ein Erderkundungssatellit (nahezu) die ganze Erdoberfläche beobachten können, dann kommt nur eine solche Umlaufbahn in Frage. Denn nur bei einer Umlaufbahn, die (im Extremfall) 90 Grad zum Äquator steht, zieht der Satellit im Laufe der Zeit über jeden Punkt der Erdoberfläche hinweg. Ein solcher Satellit bewegt sich aber damit zwangsläufig mit nur geringen Abweichungen in Nord-Süd-Richtung über den Himmel. Wenn ein solcher Satellit nun eine Region nicht direkt überfliegt und dabei mehr oder weniger senkrecht auf die hinabblickt, dann verfehlt er sie immer in östlicher oder westlicher Richtung, aber nie in nördlicher. Da die diskutierte Aufnahme eindeutig aus Norden aufgenommen ist, kommen zivile Erdbeobachtungsatelliten auch bei noch so großzügiger Fehlerbetrachtung nicht als Quelle des Bildes in Frage.]

Daraus folgt natürlich nichts mit Bezug auf die Interpretation der Aufnahme. Nur macht die NATO von sich aus nur sehr, sehr spärliche Angaben zu den von ihnen präsentierten Beweisbildern für eine russische Militärintervention in der Ukraine. Und von diesen spärlichen Angaben sind zumindest manche eindeutig falsch. Da sollte man sich schon selber fragen, wieviel Vertrauen man den Verlautbarungen der NATO insgesamt entgegen bringen will.


Nachtrag 4.9.:
An manchen Tagen will man ja alles lieber machen als das, was man eigentlich tun müßte… Also habe ich heute eine kleine Animation gemacht, die die Analyse des Bildes etwas anschaulicher macht.
Im ersten Schritt zeigt die Animation, wie durch kippen des Blickwinkels nach Norden sich die Verzerrung der Linien in Nord-Süd-Richtung gegenüber der Ost-West-Richtung ändert. Die rote Raute im Bild soll dies illustrieren. Die blaue Linie könnte etwa der Strommast aus dem unten gezeigten Ausschnitt sein.
Wenn die Verzerrung richtig ermittelt ist, kann der Schattenverlauf für den Aufnahmetag aus dieser Perspektive simuliert werden. Die rote Linie gibt den beobachteten Schattenverlauf wieder. Um ca. 9:20 stimmen Länge und Richtung des simulierten Schattens mit dem beobachteten Schatten überein.


Diese Zeit ist etwas später als die zuvor angegebene, aber ich habe versucht, nicht nur Richtung, sondern auch Länge des Schattens richtig zu treffen. Die Abweichung von ca. 20 min in der Aufnahmezeit entspricht einer Winkelungenauigkeit von um die drei Grad und gibt ein Gefühl für die Unsicherheiten in der simplen Abschätzung hier. Allerdings weist die problemlose Übereinstimmung von Richtung und Länge des Schattens darauf hin, daß die Satellitenaufnahme wirklich vom 21.8. stammen kann. In Frage kämen bei der Unsicherheit hier auch einige Tage um den 21.8., herum, sowie die letzte Aprilwoche (die Sonne hat im späten Frühjahr einen analogen Verlauf zum späten Sommer). Das Jahr der Aufnahme kann aber nicht ermittelt werden.

1 Kommentar:

  1. Ich bin ja kein direkter Freund von Verschwörungstheorien, aber ist es nicht seltsam, dass gestern vor sehr genauen 75 Jahren jemand behauptete, dass nun zurückgeschossen würde? Derjenige benutzte damals noch keine Satellitenbilder, er verließ sich eher auf handfeste Argumente und ein wenig (haha!) Radioaktivität. Zumindest an einem Sender. Wäre ich Schwabe, würde ich folgern: "I fänd des Gleiwitz ig, wenn do no an Angriffsplan draus entschtänd. Senn ja olles Barbar-Rossa do drääbe..."

    Aber man will es ja nicht beschreien.

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