Montag, 12. Oktober 2015

Kommunistische Konterrevolutionäre

Der Spanische Bürgerkrieg ist wieder angesagt. Wer uns den Einstieg ins 21. Jahrhundert erklären will, der verweist - so er denn seinen Durchblick und seine denkerische Kraft unter Beweis stellen will - auf den Spanischen Bürgerkrieg. Und der ist für Menschen mit Durchblick und denkerischer Kraft, wie ja alle Bürgerkriege, erstaunlich einfach.
Für besonders flache Geister wie Matthias Matussek im Weihrauchrausch war er einfach nur die "roten Terror-Jahre". Christoph Buch sieht in der FAZ die Parallelen zum Bürgerkrieg in der Ukraine:
"Das Schicksal der Ukraine erinnert an den Spanischen Bürgerkrieg, der rückblickend als Generalprobe für den Zweiten Weltkrieg erscheint.
Washington, Paris und London ließen den Sonntagsreden von Freiheit und Demokratie keine Taten folgen, nur Stalin schickte Waffen und Militärberater, die er mit Goldreserven bezahlen ließ und die Spaniens junge Republik durch Säuberungen nach Moskauer Vorbild schwächten."
Immerhin, die westlichen Demokratien haben sich für ihn durch Untätigkeit mitschuldig gemacht. Schlimmer war aber natürlich Stalin.
Heute rotzt Georg Diez bei SpOn noch einen drauf, wenn er an Syrien denkt:
"Der syrische Bürgerkrieg ist für das 21. Jahrhundert, was der spanische Bürgerkrieg für das 20. Jahrhundert war: Ein Übungsterrain für Verrat, ein Trainingsfeld für trügerische Diplomatie, der Vorhof der Hölle für die Menschen.
Damals wurden die freiheitlichen Kräfte zwischen Faschisten und Kommunisten zerrieben, es war ein Stellvertreterkrieg zwischen Deutschland und Russland, die ihren Krieg später in die ganze Welt trugen."
Und hier kann man das dümmliche Geschwätz der Welterklärer wirklich nicht mehr aushalten. Denn Russland hat nicht "seinen Krieg mit Deutschland" und die Welt getragen, Deutschland hat seinen Krieg gegen die Welt in diese getragen. Und weiter nein, die "freiheitlichen Kräfte" - er meint wohl das bürgerlich-liberale Lager - wurde in Spanien mitnichten zwischen Faschisten und Kommunisten zerrieben, so wenig wie der Spanischen Bürgerkrieg ein simples Faschisten gegen Kommunisten oder Deutschland gegen Russland (was wohl Sowjetunion meint) war.

Nach dem Militärputsch gegen die Regierung der Spanischen Republik 1936 stellten zunächst die in der CNT, der Confederación Nacional del Trabajo, organisierten revolutionären Anarchisten und die Marxisten der POUM, der Partido Obrero de Unificación Marxista, das militärische Rückgrad der republikanischen Kräfte. Ihre Mitglieder bewaffneten sich und bildeten Milizen, die die Front gegen die Putschisten stabilisierten. In ihrem Machbereich, insbesondere in Katalonien, setzten sie ihrer politischen Überzeugung entsprechend auch sozialrevolutionäre Schritte in Gang.
Die Sowjetunion begann, die republikanischen Kräfte gegen die Faschisten zu unterstützen, und dabei kam es zu der für den oberflächlichen Betrachter überraschen Situation, daß die moskautreuen Kommunisten gegen die revolutionären Marxisten und Anarchisten in Spanien kämpften. Und das kam so:

Durch die Erfolge der Faschisten in Europa beunruhigt, kehrte die Sowjetunion von der Leitlinie, gegen bürgerliche und sozialdemokratische Kräfte zu kämpfen, ab, und befürwortete gemeinsame Fronten gegen die Faschisten. In Spanien setzte sie dieses Programm um, und hier kam wohl noch eine weitere, geostrategische Erwägung hinzu. Die Sowjetunion fühlte sich (zurecht, wie man im Nachhinein weiß) militärisch vom Deutschen Reich bedroht und suchte ein Bündnis mit Frankreich. 1935 schloss sie ein Beistandsabkommen mit Paris mit der Absicht, Verbündete hinter dem Feind zu haben (was nicht viel nutzte, wie man im Nachhinein weiß). Und in dieser Situation hatte Moskau die Sorge, daß eine Revolution in Spanien eine antifaschistische Allianz mit Westeuropa gefährden könnte. Denn eine Revolution im Nachbarland hätte auch in Frankreich und Westeuropa Wirkung entfaltet und es aus Angst vor dem Kommunismus womöglich dem Faschismus entgegen getrieben. Also setzte die Sowjetunion unter dem Motto "Revolution ja, aber ein andermals" alles daran, eine Revolution in Spanien zu unterdrücken und das bürgerlich-liberale Lager in den republikanischen Kräften zu stärken. Dabei stützte ich die Sowjetunion auf die PCE, die Partido Comunista de España, und damit auf Kommunisten, die keinesfalls Kommunismus wollten. Diese und die Internationalen Brigaden wurden durch militärische Unterstützung der Sowjetunion immer stärker und konnten die unabhängigen Marxisten und Anarchisten schließlich gewaltsam entmachten. Im Mai 1937 kam es in Barcelona, der Hauptstadt der republikanischen Kräfte, zu Straßenkämpfen zwischen den moskautreuen Kommunisten und bürgerlichen Parteien auf der einen und den revolutionären Marxisten und Anarchisten auf der anderen Seite. Die Revolutionäre verloren an Macht und kurz darauf wurde die POUM verboten und kommunistische Säuberungswellen gegen die revolutionären Kräfte der Republik und zur Stützung des bürgerlichen Lagers setzten ein.

Es waren also die Stalinisten, die all den kleinen Buchs und Diez' jener Tage ihr bourgeoises Leben in Barcelona oder Valencia gegen die Revolution der Arbeiterklasse verteidigten. Eine solch komplexe Verwicklung passt aber natürlich nicht in das einfache Erklärmuster eines Feuilletonisten, wenn es wieder mal Gut gegen Böse, Wir gegen Die geht. Außerdem hätte man, um all das wissen zu können, den ganzen Wikipedia-Artikel zum Spanischen Bürgerkrieg lesen müssen, und der ist ja wirklich ziemlich lang*. So darf man gespannt sein, bei welchen Konflikten mit Russland die Experten noch überall Parallelen zum Spanischen Bürgerkrieg entdecken werden. Denn der Spanische Bürgerkrieg, der ist ja angesagt im bürgerlichen Lager zur Erklärung des Weltgeschehens...


* Eine interessante Alternative zu Wikipedia ist auch George Orwell's Hommage to Catalonia. Orwell kämpfte als Freiwilliger in der Miliz der POUM und war bei all den erwähnten Ereignissen dabei, in diesem Buch beschreibt er sie aus persönlicher Sicht.

2 Kommentare:

  1. Ja. Einerseits. Andererseits aber: Die Passage, in der Herr Matussek die (allerdings sehr undifferenzierte) Formulierung von den "roten Terror-Jahren" gebraucht, handelt von Erschießungen von Geistlichen durch republikanische Kräfte, und die hat es gegeben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der faschistische Terror deutlich mehr Menschenleben gekostet hat.

    Man muss den Matussek nicht mögen (und sein beseeltes Geschreibsel ist schwer erträglich), aber man darf die Zitate nicht aus dem Kontext reißen.

    Achim

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    1. Ich finde nicht, daß ich Herrn Matusseks Worte unzulässig aus dem Zusammenhang gerissen habe. Ja, er hat sich nur für die Ermordung Geistlicher während des Spanischen Bürgerkriegs interessiert, und ein Geistlicher im Spanischen Bürgerkrieg mag die Zeit vielleicht tatsächlich als "rote Terrorjahre" empfunden haben. Dennoch halte ich diesen Begriff für einen Außenstehenden für völlig unzulässig.
      Für ein 14-jähriges Mädchen, daß im Frühjahr 1945 irgendwo in der tiefsten Provinz von einem Rotarmisten vergewaltigt wurde (hat es ja auch tatsächlich gegeben) mag der 2. Weltkrieg auch nur zu einer "Zeit roten Terrors" zusammengeschrumpft sein. Dennoch kann man einen Satz wie "Vergewaltigungen zur Zeit des roten Terrors" nicht schreiben, wenn man "Vergewaltigungen in der Endphase des 2. Weltkriegs" meint. Genauso wenig kann Matussek "rote Terrorjahre" sagen, wenn er "Spanischer Bürgerkrieg" meint. Im besten Falle zeugt dies von einer gefährlichen Ignoranz (was ich Matussek mal unterstelle), im schlimmsten Fall wäre es gefährlicher Geschichtsrevisionismus (was ich annehmen würde, wenn es ein intelligenterer Mensch als Herr Matussek geschrieben hätte).

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