Basics
- Einheit und Alleinvertretung
Bevor sie ihre Kampagne groß rausbringen, müssen Sie sicherstellen, daß Sie nach außen Ihre Einheit und Ihren Alleinvertretungsanspruch in ihrem Anliegen zur Schau tragen. Keinesfalls darf der Eindruck entstehen, es könne vielleicht andere, gleichermaßen Betroffene geben, die ihre eigene Position nicht teilen! Immer gut ist der Slogan "Wir sind (der/die/das)...": "Wir sind Opel", "Wir sind Kirche", "Wir sind die Urheber". Eingestaubt? Vielleicht. Doch wenn man mit "Wir sind das Volk" einen Staat hinwegraffen konnte, dann wird's ein "Wir sind die Anwohner!" schon für/gegen einen geplanten Kinderspielplatz tun.
- Alle einbeziehen
Haben Sie sich als Alleinvertreter aller unmittelbar Betroffenen etabliert, müssen natürlich alle, wirklich alle in das Problem einbezogen werden. Nicht, daß noch jemand glaubt, Ihr Anliegen könne ihm egal sein! Hier kann es natürlich ein bisschen knifflig werden. Aber im Zweifel tut einfach die Behauptung, es "schützt uns alle". Auf sachliche Argumente kommt es bei einer ordentlichen Kampagne letztlich ohnehin nicht an.
- Die Welt geht unter
Sind alle einbezogen, heißt es, die Bedrohung möglichst groß darzustellen. Anderensfalls könnte der ein oder andere unter "allen" denken, er hätte wahrlich größere Sorgen als gerade Ihr Anliegen. Und an dieser Stelle heißt es, alle Hemmungen fallen zu lassen! Die Bedrohung kann einfach gar nicht groß genug sein: Ohne Karstadt stirbt die Innenstadt, der Versandhandel mit Medikamenten läßt die Gesundheitsversorgung zusammenbrechen, ohne Verschärfung des bestehenden Urheberrechts fallen wir alle wieder der Lehnsknechtschaft anheim. Keine Sorge, sollten Ihnen ihre eigenen absurden Szenarien lächerlich erscheinen. Aufgrund irgendeines psychologischen Mechanismus wird man ihre Übertreibungen nicht als die stupide Panikmache interpretieren, die sie nun mal ist, sondern als zwar etwas weitgehende, aber dennoch ehrliche Sorge um das Allgemeinwohl interpretieren.
Feintuning
- Der Scheingegner
Nun heißt es, einige gefährliche Klippen zu umschiffen. Oft wird Ihr individuelles Anliegen gerade den Interessen der Mehrheit zuwiderlaufen, an die sich Ihre Kampagne richtet. Eine Aufhebung des Ladenschlusses mag Ihnen z.B. nicht in den Kram passen, der Mehrheit der Bevölkerung wird aber mehr Annehmlichkeiten bringen. Sie wollen keine Musikdownloads, alle anderen schon. Hier muß unbedingt verdeckt werden, daß Sie eigentlich gegen die Interessen der Adressaten Ihrer Kampagne agieren! Ein großer, böser Scheingegner schafft hier leicht Abhilfe. Konzerne sind die erste Wahl. Ein jeder weiß, daß das kleine, inhabergeführte Unternehmen an der Ecke jeder amoralischen oder gar hinterhältigen Verhaltensweise unfähig ist, sich liebevoll um das Wohl der Angestellten kümmert und überhaupt nur existiert, damit die Welt ein besserer Ort wird. Konzerne dagegen sind kriminelle Organisationen, die tatsächlich nur existieren, um Gewinn zu erwirtschaften. Konzerne sind als vermeintlicher Gegner super, Energiekonzerne, Chemie-, Atom- oder Pharmakonzerne sind besser. Internetkonzerne aber sind die Königsklasse der Bösewichte! Setzen sie noch ein "global agierend" hinzu, denn Globalisierung ist sowieso das Böse schlechthin. Als Beispiel kann hier die vorbildliche Warnung vor den "global tätigen Internetkonzernen" sein, wie sie die für sympathische kleine Familienunternehmen wie Bertelsmann oder Springer werkelnden Urheber verbreitet hatte.
- Das Gesicht
Denken Sie darüber nach, welches Gesicht ihre Kampagne in der Öffentlichkeit repräsentieren soll! Als Erstes mag man an Prominente denken, doch hier drohen unkalkulierbare Risiken. Am Ende rechnet womöglich irgendwer die CO2-Bilanz für deren Ferrarisammlung aus. Oder ein Unfall bringt ans Licht, daß Ihr Aushängeschild für den Tierschutz in Botswana Elefanten abknallt. Sicherer und nicht weniger erfolgreich dagegen ist die Wahl einer hübschen jungen Frau. Blicken wir nur wieder nach Osten! Wieviel mediale Aufmerksamkeit hätte Julia Timoschenkos Schicksal wohl erfahren, wenn statt ihrer hübschen jungen Tochter ein untersetzter Sohn mit schiefer Nase im Westen für ihre Anliegen herumgezogen wäre? Hübsche junge Frauen wirken frisch, modern und weltoffen. Schöne junge Frauen fotografiert man gerne, interviewt man gerne, und das Beste: Beim Interviewer setzt mit Sicherheit jede höhere Hirnaktivität aus! Nur eine hübsche junge Frau garantiert maximale mediale Aufmerksamkeit bei gleichzeitig minimaler sachlich-kritischer Auseinandersetzung mit Ihrer Kampagne! Vermutlich wäre selbst der Arabische Frühling weltweit deutlich mehr beachtet worden, wären die engagierten jungen Frauen in enger Jeans und ohne diese abtörnenden Köpftücher für ein paar schöne Symbolbilder vor die internationalen Fotojournalisten getreten.
Laufender Betrieb
- Gesprächsbereitschaft signalisieren
Ist Ihrer Kampagne erst einmal angelaufen, gilt unbedingt: Betonen Sie Ihre Gesprächsbereitschaft! Denken Sie nur an Pro-NRW oder die Salafisten! Dank deren zur Schau getragener Kompromisslosigkeit erkennt jeder auf den ersten Blick deren Dumpfbackigkeit. Der geschickte Kampagnentreiber, sei es für die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken, die Privilegien der Kirchen in Deutschland oder irgendeine beliebige Umgehungsstraße, signalisiert ständig seine Gesprächs-, oder besser noch, Dialogbereitschaft. Das wirkt offen, vernünftig, zivilisiert. Und keine Sorge, was die Ergebnisse eines "Dialogs" angeht. Die eine Hälfte des Dialogs führen Sie einfach mit Menschen, die eh' der gleichen Meinung sind. Und in der anderen Hälfte bleiben Sie mit Ihren Forderungen einfach so weit in Wolkenkuckucksheim, daß niemand ernsthaft darauf eingehen kann. Wenn jetzt noch in der Zeit, die sie mit "Dialogen" vertrödeln, hintenrum Tatsachen in Ihrer Sache schaffen können, dann haben sie das Optimum rausgeholt.
- Den Gegner diffamieren
Nicht zu unterschätzen sind die Erfolge, die sich durch dumpfes Diffamieren Ihrer Gegenposition herausholen können! Die Grünen wollen 5 Euro für den Liter Benzin, die Piraten wollen das Urheberrecht abschaffen, den Klimawandel gibt's gar nicht. Praktischerweise ist es dabei völlig egal, ob ihre Vorwürfe stimmen oder nicht. Allein die mühsamen, differenzierten Antworten, die ihre schlichten, knackigen Behauptungen verlangen, sind viel zu unsexy. Und Gier, Geiz und "die Gesundheit unserer Kinder riskieren" geht zur Not als Unterstellung eigentlich immer. Und irgendwas bleibt schon hängen, wenn Sie die Diffamierungen nur genug wiederholen!
Der Turbo
- Kinder und Tiere gehen immer
Sollte Ihre Kampagne trotz aller Bemühungen einfach nicht in die Gänge kommen, so stehen Ihnen immer noch einige Nachbrenner zur Verfügung. Kinder und Tiere beispielsweise auch bei einer Kampagne immer. Ein kleines Balg mit großen Kulleraugen die Parole auf die Bäckchen gemalt, ein Poster mit einem verblutenden Robbenbaby drauf, und schon hat man einen Fuß in der Tür der Seele. Denn es stimmt nun mal, der Mensch weint beim Tod von Bambis Mutter mehr, als beim Auslöschen ganzer Dörfer mittels Napalmbomben.
- Titten gehen immer
Nicht nur süße Babys und knuddelige Hundewelpen, auch Titten bringen garantierte Aufmerksamkeit. Man denke nur an Peta! Niemand würde diesen Spinnerverein kennen, würden sie nicht bei ihren Eßt-keine-Bockwürstchen-Aktionen regelmäßig nackte Frauen zur Fleischbeschau auslegen. Egal ob schlechte Studienbedingungen oder widerliche Ferkelkastrationen, ein paar Studentinnen, die nur auf einen guten Zweck warten, um ihre Möpse korrekt in die Kamera halten zu können, werden sich schon finden lassen. Und eine Klickstrecke beim Stern ist Ihnen damit sicher!
- Werden Sie drastisch
Urheber mit herausgerissen Herzen, blutverschmierte nackte Frauen in Frischfleischverpackung - wenn Sie mit Ihren Anliegen bei der dumpfen Masse einfach nicht durchdringen können, setzten Sie auf Splatter! Widerliche, drastische Bilder haben diesen Autounfalleffekt - der Betrachter kann einfach nicht wegsehen. Und Sie pflanzen Ihre Kampagne in die Erinnerung des Betrachters ein!
- Nazivergleiche
Die Ultima Ratio der Aufmerksamkeitsbeschaffung ist und bleibt immer noch der Nazivergleich. Doch Vorsicht, hier begibt man sich auf sehr dünnes Eis! Gebaut ist ein Nazivergleich recht schnell, vergleichen Sie halt irgendwas aus ihrem Anliegen mit irgendwas von den Nazis: Der Flughafenaufbau wird geplant wie der Autobahnbau der Nazis, die Occupy-Aktivisten benehmen sich wie ein SA-Trupp, Vanilleeis hat Hitler schon gerne gegessen. Sofort werden Sie die übliche Dynamik in Gang setzten. Erst kommt der Ruf "So was geht ja gar nicht", den parieren Sie mit einem "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen" und Sie stilisieren sich als Opfer. Schon stehen Sie mitten im Holocaust an der Backtheke. Doch nur allzu leicht kommt mit der Aufmerksamkeit auch die Abneigung gehen Ihre Kampagne. Greifen Sie daher nur zum Nazivergleich, wenn Sie alle anderen Mittel bereits ausgeschöpft haben!
Befolgen Sie diese kleinen Tipps, so werden Sie eine erfolgreiche Kampagne auf der Höhe der aktuellen Diskussionskultur laufen! Doch für den Fall, daß Sie sich mit Ihrem Anliegen am Ende nicht durchsetzen können, behalten Sie unbedingt die wichtigste aller Regeln im Sinn:
Fange niemals an, Deinen eigenen Parolen zu glauben!
Gibts eigentlich immer noch die Aufregung um "ACTA"? War beim Lesen des Artikels das erste, woran ich spontan denken mußte.
AntwortenLöschenWas ACTA angeht, kann man sich's gerade aussuchen
Löschen:)