Sonntag, 29. Mai 2011

Professoraler Unterdruck

Im China vergangener Tage pflegte man noch den guten, alten Brauch des Kotau: Der sozial Niedrigstehende wirft sich vor dem Hochstehenden auf die Knie, berührt mit der Stirn den Boden, und wartet dann in demütiger Haltung, ob es dem anderen gefällt, sich kurz mit ihm abzugeben. Nachdem die elenden Kommunisten damit Schluß gemacht haben, wird diese schöne, die sozialen Strukturen klärende Umgangsform heutzutage leider nur noch gegenüber deutschen Professoren gepflegt. Dort dafür aber umso intensiver. Dumm ist es nur, wenn man mit der korrekten Ausführung dieses Rituals nicht so recht vertraut ist - oder vertraut sein will. Nehmen wir etwa mal folgende Beispielsituation an, rein hypothetisch, versteht sich. Nehmen wir an, man müsse einen kurzen Text, wenige Seiten lang, an eine Reihe von Professoren in ganz Europa verschicken, mit der Bitte um Rückmeldungen und Kommentare. Der Preis für die schnellste Antwort ginge vielleicht in die Niederlande, mit einer umfangreichen Liste sinnvoller Kommentare in gerade mal fünf Stunden. Der europaweite Durchschnitt für die Zeit bis zur Antwort läge vielleicht bei 3,3 Tagen. Wenn man dann nach gut einem Monat beim einzigen deutschen Professor in der Empfängerliste nachfragt, warum man von ihm noch keine Kommentare bekommen hätte, ja, dann erlebt man Interessantes: Ob man denn auch nur eine vage Vorstellung habe, wieviel er zu tun habe? Und wie unwichtig das eigene Anliegen doch sei? Natürlich würde er diese Angelegenheit trotz ihrer erschütternden Unwichtigkeit einer Antwort würdigen, aber erst, wenn er dazu die Zeit fände. Also irgendwann einmal. Und so lange müsse man sich halt schon gedulden. Kurzum, man bekommt eine Antwort, wie man sie vielleicht von einem nicht allzu gütigen Gott erwarten würde, wenn man ihn in seiner das ganze Universum zusammenhaltenden Allmacht mit solch lächerlichen persönlichen Problemen behelligt, wie etwa die Heilung seiner Leukämie.
Wer jetzt auf explosive Extremsituationen steht, der würde wiederum eine Antwort-E-Mail schreiben, in der er höflich formuliert, was er wirklich denkt. Nämlich, daß es ihm vollkommen egal ist, wieviel dieser zu tun hätte, und das es nicht nur um ihn allein ginge und überhaupt, daß er innerhalb einer Woche seine Rückmeldung zum Text schicken solle, oder er eben mit dem Leben müsse, was dort stehe. Für die Sekunden, die diese E-Mail bis in den Posteingang des Empfängers benötigt, herrscht dieselbe Ruhe wie in den Nanosekunden, die der elektrische Impuls des Zünders bis in die Primärladung einer Atombombe braucht. Doch diese Provokation ließe sich höchstens noch durch das Aufführen eines Schwulenpornos auf der Weihnachtsfeier des Katholischen Frauen- und Müttervereins toppen. Und so bricht kurz darauf unweigerlich die Hölle los! Wie unvorstellbar unverschämt, ihm eine Frist zu setzen! Wo man doch selber kein Professor, sondern ein Garnichts ist, allenfalls ausgestattet mit einem mittelmäßigen Examen, oder, wenn's ganz Hoch kommt, mit einem Doktortitel, und das auch nur Dank der Gnade, die einem ein Professor erwiesen hätte! So müsse man ihm nie wieder begegnen!
Man hat dem Kaiser von China ins Gesicht gespuckt, und in der Reaktion spiegelt sich die pure Ohnmacht wider angesichts der Tatsache, daß Vierteilen keine realistische Option ist.

Nun kann ein anspruchsvolles Qualitätsblog wie dieses sich nicht mit der Beschreibung eines Phänomens begnügen, nein, es schuldet seinen Lesern auch eine Analyse der Ursachen und Hintergründe. Und die wird mit der folgenden "Luftballon-Theorie" geliefert - oder, um mich auch für Professoren verständlich auszudrücken, der "Pneumopolymerkavitätsheorie". Die zentrale Annahme dieser Theorie ist, daß das menschliche Ego zum unbegrenzten Expandieren neigt, und das auf Kosten der Substanzdichte. Um ein obszönes Aufblähen eines Egos zu vermeiden, ist ein gewisser äußerer Gegendruck nötig. Und den bekommt der Mensch seinen Lebensweg hindurch, vom Kindergarten bis zur Habilitation, aus der Umwelt geliefert. Jeder Mensch bekommt im Zweifelsfall von übergeordneten Mitmenschen zu hören, daß das, was er gerade getan hat, vielleicht nicht so toll war. Diese Kritik von außen ist, in richtiger Dosierung, versteht sich, unbedingt notwendig, um ein stabiles und gesundes Verhältnis von Größe und Substanz des Egos sicherzustellen. Nur für den deutschen Professor fällt, kaum daß ihn der Ruf ereilt hat, jede nennenswerte Kritik von außen weg. Seine Anstellung, seine Rente, sein Lehrauftrag, all das ist unerschütterlich sicher, vollkommen egal, was er tut oder nicht tut. In seiner Rolle als Rechthabender wird er komplett kritikresistent. Und so ergeht es seinem Ego wie einem Luftballon, den man plötzlich in einen Raum starken Unterdrucks bringt: Es beginnt, sich zwangsläufig zu ungeheuren Größen aufzublähen, und dabei immer dünner und überspannter zu werden. Ein Endzustand, in dem sich der Betreffende für mindestens gottgleich hält, ist dabei kaum zu vermeiden. Allein das kleine bisschen Restdruck, daß die Sorge um die Einschätzung durch Fachkollegen mit eigener Professur erzeugt, hindert das Ego an der kompletten Verpuffung in unendliche Sphären. Nur bei einigen Wenigen, ihre Namen mögen an dieser Stelle gnädigerweise unerwähnt bleiben, reicht dieser Restdruck aus der Sorge um den Ruf nicht zur Stabilisierung des Egos aus. Diese Professoren findet man dann, z.B. Skalarwellengeräte vertreibend, bei EsoWatch wieder.
Aus dieser Erklärung wird deutlich: Der deutsche Professor ist ein Opfer der Umstände, unter denen zu Leben ihn das System zwingt - Umstände, die einen Schaden an der Persönlichkeit nicht nur in Kauf nehmen, sondern notwendig mit sich bringen. Letztlich verlangen der Professor und seine Lebensumstände unser Mitgefühl und unsere Geduld. Doch wie bei anderen psychisch Erkrankten und Persönlichkeitsgestörten auch dürfen wir uns von seiner selbstsicher vorgetragenen Uneinsichtigkeit in seinen belastenden Zustand nicht täuschen lassen; ist die Selbstsicherheit und Uneinsichtigkeit doch Teil des Problems. Und wie immer wir den Betroffenen helfen wollen, die Stabilisierung ihres Egos auf angemessenem Niveau wird für die Professoren wie für die Angehörigen in ihren Arbeitsgruppen ein langwieriger und schmerzhafter Prozess werden.
Das hier beschriebene Luftballonmodell kann wunderbar den Normalfall deutscher Professorenschaft beschreiben, wie auch einige ihrer seltenen pathologischen Auswüchse. Der Ehrlichkeit halber muß aber eingestanden sein, daß es keine Erklärung für den seltenen, aber durchaus existierenden Sonderfall derjenigen Professoren bietet, die trotz ihres krankmachenden und unmenschlichen Arbeitsumfeldes in der Lage sind, ein gesundes Verhältnis zwischen sich selbst und der Realität aufrechtzuerhalten. Ich bin sicher, ein Studium dieser Persönlichkeiten wäre sehr interessant, sind es doch meist die seltenen Ausnahmen, von denen man mehr über ein Phänomen zu lernen vermag, als aus den zahlreichen Regelfällen...

1 Kommentar:

  1. Sehr guter Artikel aber nächstes mal bitte in Blocksatz mit 1,5 Zeilen Zeilenabstand bitte XD

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