Anlässlich der Verleihung des Hegel-Preises für die Mißachtung der Logik 2010
von Thomas Steinschneider
Meine Damen, meine Herren, liebe Freunde,
heute haben wir uns aus einem sehr besonderen Anlass heraus zusammen gefunden. Heute wollen wir einen Menschen ehren, der für uns, für alle seine Mitmenschen und für alle kommenden Generationen Außergewöhnliches geleistet hat. Ich spreche natürlich von Herrn Christoph Maria Michael Hugo Damian Peter Adalbert Kardinal Schönborn. In den Fußstapfen seines Herrn Jesus Christus wandelnd, entschied sich dieser Hirte für ein karges Leben voller Demut und Bescheidenheit, um die unsterblichen Seelen seiner Schafe vor der zweifellos verdienten ewigen Verdammnis zu bewahren. Doch seine entbehrungsreiche Existenz zwischen Audi-Limosinen, Bischofspalais und Fernsehstudio schien seinen ihm von Gott selbst eingeblasenen und so ruhelosen Verstand nur zu beflügeln. Denn nicht nur gefiel es dem Herrn im Himmel, ihn mit unbestreitbaren Argumenten gegen naturwissenschaftliche Verblendungen wie der Evolutionstheorie zu wappnen. Nein, es gelang diesem Hunde des Herrn sogar, in Verteidigung der Lehren seines Brötchengebers vollkommen neue Wege der logischen Argumentation für die gesamte Menschheit zu erschließen! Und dieser letzten, vieleicht seine bisher größte Tat, wollen wir heute zumindest einen kleinen Teil der Anerkennung zukommen lassen, die ihr gebührt. Lassen Sie mich zunächst noch einmal seine ausgezeichnete und wegweisende Äußerung zitieren:
“Wenn er der Zölibat Schuld [am sexuellen Mißbrauch] hätte, dann dürfte es in den Familien keinen Missbrauch geben.”
Wir wollen hier und jetzt, in diesem feierlichen Rahmen, gar nicht den schmutzigen Anlass betrachten, dem wir diesen Durchbruch im menschlichen Denken verdanken – jene verdammenswerte antikirchliche Schmutzkampagne einiger linker Medien gegen eine Institution, der die Menschheit nichts weniger verdankt als die Moral schlechthin! Schließlich weiß auch der letzte oberbayrische Katholik aus der göttlichen Tiefe seines Herzens heraus mit Gewissheit, daß heidnische und atheistische Kulturen die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch an Weihnachten ihre Kinder zu verspeisen pflegten, die durch Liebe ermöglichte wechselseitige Immanenz von Gott-Vater und Gott-Sohn nicht erkannten, und im Fernsehen nichts als Titten und Reklame für blähbauchreduzierenden Joghurt brachten. Und nun ist es das Verdienst von Kardinal Schönborn, daß wir dem Christentum von heute an nicht nur die Moral verdanken, sondern auch einen der größten Fortschritte in der ehrwürdigen Wissenschaft der Logik seit der Analytica Priora des Aristoteles.
Lassen Sie mich etwas näher auf des Herrn Kardinals Leistung eingehen. Zunächst einmal müssen wir festhalten, daß sich hinter dem “Schuld haben” in seiner Aussage eigentlich die negative Formulierung einer Ursache verbirgt. Wenn der Zölibat Ursache von sexuellem Mißbrauch wäre, dann dürfte es in den Familien einen sexuellen Mißbrauch geben, so heisst es. Manch einer wird jetzt einwenden wollen, daß der hochlobenswürdige Preisträger doch nur “vergisst”, daß es für einen Sachverhalt verschiedene Ursachen geben kann. Und solch kleine “vergessene” Details zum Wohle des Seelenheils der Schäfchen sind in der katholischen Kirche ja gar nicht so ungewöhnlich. Wo also sollte hier ausgerechnet die Mißachtung der Logik liegen, für die Kardinal Schönborn ausgezeichnet wird? Um das zu sehen, müssen wir ein wenig tiefer in die richtungweisenden Aussagen des Preisträgers vordringen. Um die ausgezeichnete Aussage vollends würdigen zu können, wollen wir versuchen, sie logisch zu formalisieren. Da es offensichtlich nicht möglich ist, Sachverhalte logisch zu verbinden, sondern nur Sätze, müssen wir zunächst die Sachverhalte, “daß A”, durch den korrespondierenden Satz, “A”, ersetzen. Haben wir dies einmal getan, so müssen wir zunächst das “Ursache sein von” logisch formalisieren, z.B. indem wir das Konzept der Minimalen Theorie verwenden: Ein Faktor A ist genau dann kausal relevant für einen anderen Faktor B, wenn er im Antezedenz der Minimalen Theorie von B enthalten ist. (Natürlich handelt es sich dabei nur um die Bedingung für direkte kausale Relevanz. Mit Hinblick auf die fortgeschrittene Stunde sei mir diese Einschränkung hier aber gestattet.) Rufen wir uns in Erinnerung, was eine Minimale Theorie von B ist. Eine Minimale Theorie von B ist ein Doppelkonditional mit einer minimal notwendigen Disjunktion minimal hinreichender Bedingungen von B im Antezedenz, und B im Konsequenz, so daß jeder Faktor im Antezedenz von B bei jeder Erweiterung des Doppelkonditionals darin erhalten bleibt. Zur logischen Formalisierung ist es nun nur noch ein kleiner Schritt. Alles, was zu tun bleibt, ist, das Doppelkonditional formal niederzuschreiben:
[(AX ∨ Y) ∧ F → B] ∧ [B → (AX ∨ Y) ∧ F]
Dies drückt nichts weiter aus, als daß A kausal relevant für B ist. Oder, wenn A die zölibatäre Lebensweise ist, und B der sexuelle Mißbrauch, dann haben wir nun die formale Niederschrift von Kardinal Schönborns Prämisse “Wenn der Zölibat Schuld hätte...”.
Nun müssen wir uns noch an die Schlußfolgerung machen. “Es gibt keinen Mißbrauch in den Familien” ist nun nichts weiter als
¬[¬(AX ∧ F) ∧ B]
Die gesamte logische Schlußfolgerung des Preisträgers lautet also
{ [(AX ∨ Y) ∧ F → B] ∧ [B → (AX ∨ Y) ∧ F] } → { ¬[¬(AX ∧ F) ∧ B] }
Nun formen wir unter Verwendung der Beziehung (Q → P) ≡ ¬(Q ∧ ¬P) noch die Schlußfolgerung um:
{ [(AX ∨ Y) ∧ F → B] ∧ [B → (AX ∨ Y) ∧ F] } → { B → (AX ∧ F) }
Und jetzt erst offenbart sich die ganze Tiefe, die ganze Weitsicht des Laureaten! Das “klassische” “∨Y” ist eliminiert! Wir stehen vor einer Schlußweise, wie sie nur ein besonderes Genie auffinden konnte. Und zugleich steht die Wissenschaft hier vor einer Herausforderung. Den die Leistung des Kardinals, sie ist auch zugleich Aufruf und Aufgabe. Brauchen wir wirklich die gesamten Prämissen für diesen Schluß? Können wir gar direkt von einem X → (Y ∨ Z) auf X →Y vereinfachen? Noch lange nach uns werden die größten Geister der kommenden Generationen mit dieser Frage beschäftigt sein. Und noch lange nach uns werden die Menschen mit den intellektuellen Herausforderungen eines ausgezeichneten Katholen wie Herrn Kardinal Schönborn ringen. Wir selber aber sind gezwungen, uns heute mit einem kurzen Blick auf dieses weite Feld zu begnügen. Doch wir dürfen dankbar sein. Dankbar, daß es uns vergönnt war, dabei zu sein, als dieses weite Feld von einer herausragenden intellektuellen Persönlichkeit wie Herrn Kardinal Schönborn für die Menschheit eröffnet wurde. Und mit diesem Schlußgedanken liegt es nun an mir, das Buffet zu eröffnen. Selbstverständlich werden dazu auch Alkoholika serviert werden. Denn Alkohol, das ist jetzt genau das, wonach es dem einfachen Geist nun verlangt. Vielen Dank. (Hieran schlossen sich dann noch 17 min 23 sec ununterbrochenen Beifalls an.)
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