Dienstag, 10. November 2015

Wenn es doch nur Unsinn wäre

Ups, nach längerer Abstinenz habe ich doch wieder den Fehler gemacht, einen Text von Jan Fleischhauer zu lesen - den heutigen zum Fall Pirinçci. Herr Fleischhauer ärgert sich über einen (vermeintlichen?) Boykott von Prinçcis Büchern durch den deutschen Buchhandel und stellt fest:
"Amazon ist so weit gegangen, jeglichen Hinweis auf den Autoren zu tilgen."
und
"Bei Amazon sind alle Bücher von Pirinçci gesperrt, 'Mein Kampf' hingegen kann man über die amerikanische Seite problemlos beziehen. Will man im Ernst sagen, dass ein Katzenroman von Akif Pirinçci gefährlicher ist als das zentrale Buch von Adolf Hitler?"
Nein. Auf der amerikanischen Seite sind Pirinçcis Bücher aber auch alle problemlos zu haben, und sogar billiger als Mein Kampf. Aber auch wenn ich gerade jetzt zu amazon.de gehe und "Akif" in das Suchfeld eingebe, dann schlägt mir die Suche "Pirincci" zur Vervollständigung vor und nach dem Akzeptieren will Amazon mir seine Bücher von Drittanbietern verkaufen, Katzenkrimis - und "Deutschland von Sinnen" darf ich mir von Amazon sogar als Hörbuch gratis zur Probe runter laden. Man darf Leuten wie Fleischhauer wirklich nichts glauben! Aber das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist ein Missverständnis, dem nicht nur Fleischhauer aufsitzt, sondern fast die gesamte Aufregung um Pirinçcis Dresdener Rede. In Fleischhauers Worten:
"Pirinçci hat sinngemäß gesagt, Politiker würden sich Gegner ihrer Asylpolitik ins KZ wünschen, ein hanebüchener Unsinn, für den er entsprechend Prügel bezog. Aber mit solchem Unsinn steht er nicht allein, die Inanspruchnahme des Holocaust zu rhetorischen Zwecken kommt in Deutschland leider öfter vor."
Und mit dem letzten Teilsatz zeigt er, daß er das Problem komplett mißverstanden hat! Das Problem mit Priniçci ist nicht, daß er Unsinn geredet und einen geschmacklosen Nazivergleich gezogen hat. Das Problem ist viel ernster und größer. Vielleicht sollte man hier etwas früher ansetzen...

Die Angst vor den Muslimen, ihrer Zuwanderung und Vermehrung, ist wahrlich nicht neu. Pirinçci hat sie nicht erfunden. Vor ihm warnte schon Sarrazin vor der Fruchtbarkeit der Kopftuchmädchen. Und schon sechs Jahre vor Sarrzin durfte die besorgte italienische Christin Oriana Fallaci im Cicero, dem "Magazin für politische Kultur", ihre Sorgen ausbreiten, Muslime würden sich "wie die Ratten vermehren" - garniert mit statistischen Zahlen und der Prognose des Endes von Europa. Oder nehmen wir Bernard Lewis, der drei Jahre danach in der Welt etwas von einer "dritten Angriffswelle" der Muslime gegen Europa fabulieren durfte. Diese dritte historische Angriffswelle (nach den Mauren und Türken), sie würde gerade jetzt mit den Waffen des Terrorismus und der Einwanderung geführt.
Und all diese Leute, sie glauben den Unsinn, den sie erzählen, ja wirklich. Und wenn man ein Jahrzehnt warnt, und das, wie diese Leute finden, mit richtigen Argumenten, und die Politik alle Warnungen vor dem Untergang ignoriert, dann kommt man zu einem naheliegenden Schluß. Nicht, daß man Unsinn redet, nein. Zu dem Schluß, daß "die da oben" zu denen gehören! Zu dem Schluß, daß die eigenen politischen Eliten eine muslimische Immigration als Waffe gegen das eigene Volk wenden.
Das klingt nur für normale Menschen idiotisch. Der norwegische Blogger Fjordman schrieb zu diesem Thema 2008:
"José Manuel Barroso, the leader of the unaccountable government for half a billion people, has stated that the EU is an empire."
Und genau genommen nein, Herr Barroso hat nicht behauptet, die EU sei ein Imperium. Das ist genauso falsch wie Fleischhauers Behauptung über die Beseitigung von Pirinçcis Spuren bei Amazon.  Man darf solchen Leuten wirklich gar nichts glauben! Eigentlich hat Herr Barroso zur politischen Organisation der EU das Gegenteil ausgeführt und dann gelächelt, auf seinen akademischen Hintergrund verwiesen und gesagt:
"Sometimes I like to compare the European Union as a creation to the organization of empires. Empires. And äh… Because we have the dimension of empires. But there is a great difference: […]"
[Hier das Video]. Aber weiter schreibt Fjordman:
"If the EU is an empire, this means that a war is being waged against somebody. And it is: A cultural and demographic war waged by mass immigration against native Europeans. Whereas empires are normally created by waging a war against other peoples, the EU is the first empire in history created by leaders allowing other peoples to wage a war against their own."
Und diese Geschichte vom Krieg gegen das europäische Volk, die meinen diese Leute ernst! Zitiert habe ich Fjordman nicht nach seinem Blog, sondern nach dem Pamphlet "2083 - A European Deklaration of Independence" des Anders Breivik. Der meinte das todernst und beging einen Massenmord, um die Welt auf diese Thesen aufmerksam zu machen. Und er mordete nicht Muslime in einer Moschee, sondern griff die norwegische Regierung und den Nachwuchs der Sozialdemokraten an, da diese den Krieg gegen die eingeborenen Europäer unterstützen würden.

Dies alles ist die Tradition, in der Akif Pirinçcis Bemerkung, die Regierung wolle das eigene Volk ins KZ stecken, steht. Und es ist die Tradition, an die er mit seinem angekündigten nächsten Buch mit dem Titel "Umvolkung" anknüpft.
Und diese Gedanken breiten sich immer weiter aus. Anders Breivik hätte man noch beinahe für im medizinischen Sinne geisteskrank erklärt. Heute beklatschen Zehntausende in Dresden solche Theorien. Und im geschätzten Nachbarblog Fliegende Bretter hinterließen Kommentatoren kürzlich Sätze wie:
"Fast man diese und noch einige weitere Punkte zusammen, ist klar, dass wir nicht überrannt werden, sondern das die Ansiedlung Fremder bewusst gefördert wird. Wer noch nicht verstanden hat, das der größte Feind der Deutschen der eigenen Staat ist, dem ist echt nicht zu helfen."
oder verlinkten auf Pegida-nahe Texte wie diesen, in dem es heißt:
"Es gibt zweifellos mehr oder minder kranke Gehirne, die mit dem Gedanken, Migration als Waffe einzusetzen, spielen.
[…]
Insgesamt ist die Wirkung der Migration, ob nun als Waffe genutzt oder nicht, die Destabilisierung Europas. Das kann erwünscht sein, um endlich die Nationalstaaten aufzulösen und in einem Kraftakt eine europäische Zentraldiktatur zu errichten, mit dem Feigenblatt eines impotenten EU-Parlaments vor der Blöße.
[…]
Es kann aber auch erwünscht sein, um diese EU, bevor sie wirklich zu einem Machtfaktor zusammenwächst, im Mark zu treffen und ihre Auflösung zu beschleunigen."
Ja, es ist so grotesk, daß es fast schon wieder komisch ist, diese Migration als Waffe wahlweise um Europa zu einer Diktatur zusammen zu schweißen oder um Europa zu vernichten. Aber diese Menschen glauben diesen Unsinn wirklich. Und das ist das eigentliche Problem mit Pirinçci und Pegida und ihren Freunden: Es geht nicht einfach nur um Unsinn reden. Hier wächst ein wahnhaftes Weltbild heran, daß sehr viel gefährlicher ist als ein hanebüchenen Unsinn redender Katzenbuchautor mit geschmacklosen Nazivergleichen. Manchen Wahn sollte man ernst nehmen. Und bekämpfen, solange er noch klein ist.

6 Kommentare:

  1. Filterbubbles, sich selbst verstärkende Systeme, Echokammern. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Das passiert alles nicht zufällig. Wir werden von finsteren Mächten abgeschafft. Wir sind Opfer. Die Pharmaindustrie bringt uns um mit Impfungen. Opfer! Da glaubt man dann auch bereitwillig wohlfeile Lügen wie die von Pirincci und Amazon - Fakten stören da nur. Ich bin eigentlich nicht als Kulturpessimist bekannt, aber manchmal kann ich z.B. Frau Burrini sehr gut verstehen...

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    1. Und diese Lügen können eine beeindruckende Dynamik entwickeln. Irgendwann demonstrieren auch tausende besorgte Eltern gegen einen Lehrplan, nach dem schon Viertklässler lernen sollten, wie Analverkehr geht und daß eigentlich alle schwul sind. Und der Einwand, so etwas hätte niemand irgendwo vor, geht komplett ins Leere. Hätte man halt irgendwo gehört, und sowieso, finstere Mächte wollen uns ja abschaffen…
      Aber Kulturpessimist bin ich trotzdem nicht. Ich bin einfach nur ein kleiner, großer Misanthrop!

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  2. Seltsame Ideen von Menschen, die keine Fakten brauchen, um ihre eigenen Gedanken zu glauben, gab es schon immer. Aber mit diesem Internet ist es einfacher denn je, diese Gedanken zu verbreiten und eine Gemeinde zu finden. Und Journalisten, die Recherche eher lästig finden und ungeprüften Unsinn in die Welt blasen (wie Jan Fleischhauer in diesem Fall), machen's nicht besser.
    Aber ist das Regierungshandeln so viel intelligenter? Teils aus eigener Beschränktheit, teils aus Angst vor den eigenen Wählern wird keine langfristige Politik betrieben, sondern immer nur ad hoc. Bei Leuten wie Seehofer bin ich mir nie sicher, ob er versucht, besonders listig zu sein, oder ob er den Unsinn wirklich glaubt, den er von sich gibt. Und sich damit von den Paranoikern vom rechten Rand nicht wirklich unterscheidet.
    Gruß, Achim

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    1. Ja, das stimmt. Und ich will auch gar nicht abstreiten, daß das Flüchtlingsthema politisch missbraucht wird, und zwar kräftig! Um so dringender wäre es nötig, an den Fakten zu bleiben und sich nicht in irgendwelche Wahnvorstellungen hinein zu steigern oder ihnen auch nur Futter zu geben.

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  3. Nun habe ich mich schon gefreut endlich mal Argumente gegen Aussagen und Meinungen von Leuten wie diesen Katzenkrimischreiber zu lesen, wieder nichts. Nur die ewig gleiche Leier über die Form. Dazu dann noch ein Exotenbeispiel von irgendeiner Type Anno 2008 hoch im Norden , das war's. In diesem Kontext ist es übrigens nichts weiter als Denunziation da sich die Typen nicht aufeinander beziehen und vermutlich nicht mal kennen.

    Sarrazin kann man so natürlich nicht angreifen. Zu langweilig sachlich. Also bauscht man Nebensächlichkeiten und Irrtümer auf als wäre es die Kernaussagen.

    Was ist mit euch los? Seid ihr alle so "verschwult" das ihr Form und Inhalt nicht trennen könnt? Müsst ihr wirklich Begriffe wie Angst und Extremformulierungen weniger von Typen die nur ihre Bücher an den Mann bringen wollen nutzen um die Aussagen zu ignorieren? Wer lebt da in einer Filterbubble?

    Mir fällt zu deren Aussagen übrigens wenig ein da ich in einer Großstadt lebe in der das was Sarrazin beschreibt selbst beobachten kann.

    Wer im übrigen welchen Unsinn glaubt wird sich noch herausstellen. Vor den von dsog. rechten beschriebenen Szenarien hab ich übrigens keine Angst. Hat doch für mich als von den derzeitigen Zuständen nur Nachteile habenden Mann jede Menge Vorteile, oder?

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