Samstag, 26. September 2015

Via lliure a la República Catalana

Morgen finden Regionalwahlen in Katalonien statt und für Regionalwahlen irgendwo in Europa haben diese eine beachtliche Wucht: Wenn das überparteiliche Bündnis Junts pel Sí eine absolute Mehrheit erringt, dann will es binnen anderthalb Jahren eine unabhängige Republik Katalonien ausrufen. So begegnen einem auch immer mehr Artikel zum Thema und alle scheinen sich auf die dringendsten Fragen der Deutschen zur Außenpolitik zu konzentrieren: 1) Kann ich da noch Urlaub machen? 2) Was sagen denn die Märkte dazu? 3) Was wird aus dem FC Barcelona? Darüber hinaus gibt es nur noch ordentlich Misstrauen bis Ablehnung angesichts einer "nationalistischen Kleinstaaterei" in Europa, und das war's. Da komme ich doch nicht umhin, auch mal meine Meinung zum Thema auszubreiten, dafür wurde dieses Internet ja schließlich erfunden!

Einigkeit und Recht auf Dumpfheit für das Deutsche Vaterland


Als erstes verwundert mich die geringe deutsche Anteilnahme an den Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien und anderen Regionen in Europa. Deutschland legt so viel Wert auf seine nationale Einheit, besingt sie in seiner Hymne, feiert sie am Nationalfeiertag. Deutschland hat das historische Trauma, ständig in zu vielen, zu kleinen Staaten zu existierten, mit der Einheit 1991 endlich überwunden und scheint nun zu glauben, Europa sei damit fertig. Ist es aber nicht. Andere in Europa leiden am historischen Trauma, ständig in zu wenigen, zu großen Staaten zu leben. Wenn deutsche Kommentatoren den Katalanen hinwerfen, eine Rückkehr zur Kleinstaaterei sei kein Weg, so wie heute in der Welt geschehen [1], dann ist das ungefähr so angemessen, als hätten Katalanen Deutschland 1990 vorgehalten, eine Rückkehr zur Großstaaterei sei kein Weg. Es würde Deutschland gut zu Gesicht stehen, mehr Verständnis für nationale Befindlichkeiten anderer Völker zu zeigen, wo es seine eigenen nationalen Befindlichkeiten stets so wichtig nahm.

Als zweites verwundert mich das undifferenzierte deutsche Bild von Spanien. Wobei, vielleicht ist das gar nicht so verwunderlich. Für den Deutschen war ein Moslem ein Moslem und erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, daß es für Moslems mitunter einen ziemlichen Unterschied bedeuten kann, ob jemand dem sunnitischen oder schiitischen Islam zuzurechnen ist. Mit der Wahrnehmung von Spanien ist es ähnlich: alles Eins - Olivenöl, Paella und Hotelklötze am Meer. Nur richtet sich das Selbstbild anderer Menschen nicht nach der Wahrnehmung deutscher Touristen oder Kolumnisten und Spanier haben eine deutlich differenzierte Selbstwahrnehmung. Spanien hat sich nie als kulturell homogen wahrgenommen, sondern immer aus ein Zusammenschluss von Nationen. Es würde Deutschland gut zu Gesicht stehen, etwas mehr Sensibilität und Differenziertheit in solchen Fragen zu entwickeln.

Parlem Català


Was Spanien angeht, so ist ein Blick in die Spanische Verfassung ein guter Ausgangspunkt für einen differenzierteren Blick. Dort heißt es (Vortitel, Artikel 3), Kastilisch ist die offizielle Staatssprache: El castellano es la lengua española oficial del Estado. Dieser Satz macht zwei Dinge deutlich. Er zeigt, daß das, was wir Spanisch nennen, in Spanien Kastilisch heißt und nur eine der in Spanien gesprochenen Sprachen ist. Und er macht die kastilische Dominanz über ganz Spanien deutlich. Weitere Sprachen gelten in spanischen Regionen als zweite Amtssprache, etwa Galicisch, Baskisch und Katalanisch. Und im Verhältnis von Katalanisch zur kastilischen Sprache kristallisiert sich auch der ganze Konflikt der Katalanen mit dem spanischen Staat.
Die katalanische Sprache ist der Kern der katalanischen Identität und ihre Verwendung richtet sich gegen eine kastilische Dominanz. Tatsächlich wurde das Katalanische bis zum Ende des Franco-Faschismus in Spanien aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Dies hat tiefe Spuren um katalanischen Bewusstsein hinterlassen und es erklärt, weshalb kein Gespräch mit einem katalanischen Separatisten ohne den Hinweis auf die Unterdrückung der katalanischen Sprache aus kommt, etwa kürzlich in der Zeit [2]. Diese Unterdrückung existiert allerdings längst nicht mehr. Katalanisch ist verpflichtende Unterrichtssprache in öffentlichen Kindergärten und Schulen, es gibt katalanischsprachige Fernseh- und Radiostationen und Printmedien, Hollywoodfilme werden katalanisch synchronisiert (obwohl diese Sprache gerade gute 7 Millionen Sprecher hat), Doktorarbeiten in Katalonien erhalten einen finanziellen Zuschuss wenn sie auf katalanisch abgefasst werden und von der Autonomen Region Katalonien finanzierte Veranstaltung müssen auf Katalanisch stattfinden, auch wenn alle Teilnehmer Kastilisch bevorzugen. Von der Unterdrückung ist das Pendel inzwischen umgeschlagen zu einer gesetzlichen Bevorzugung des Katalanischen, die selbst schon in Spannungen mit der spanischen Verfassung gerät, die allen spanischen Bürgern das Recht auf den Gebrauch der kastilischen Sprache zusichert.

Nationalismus auf undeutsch


Man sollte also die Wehklagen der Katalanen über die Unterdrückung ihrer Sprache nicht all zu ernst nehmen, die Sprache und die Rolle, die sie für die Katalanen spielt, dagegen sehr. Aber ist das, was sie und den Separatismus befeuert, ein katalanischer Nationalismus? Technisch betrachtet mag dieser Terminus zutreffen. Allerdings sind die Assoziationen, die man insbesondere als Deutscher mit diesem Begriff verbindet, höchst unangemessen. Die implizierte Selbstüberhöhung des Nationalisten und die aggressive Abwertung des Anderen fehlt dem katalanischen Nationalismus völlig. Ein Nationalgefühl ohne auf andere hinabzublicken, das ist eine sehr undeutsche Angelegenheit. Und doch sind die selbst von Kritikern des katalanischen Separatismus bemerke Weltoffenheit und Zuwendung zu Europa ehrlich gemeint und tief verwurzelt. Selbst im Separatismus zeigt sich noch die Offenheit der Unabhänigkeitsbewegung: Beim Referendum zur Katalanischen Unabhängigkeit 2014 waren alle volljährigen Menschen stimmberechtigt, die mindestens ein Jahr legal in Katalonien gelebt haben. Und das völlig unabhängig von deren Staatsbürgerschaft. Das heißt, Menschen, die in Deutschland nicht einmal über den Bezirksbürgermeister mit abstimmen dürften, waren in Katalonien aufgerufen, mit über die politische Zukunft des Landes zu entscheiden. Selbst unter einer Mitte-Rechts-Regierung herrschen in Katalonien Zustände von einer Liberalität, bei der einem deutschen CDU-Mitglied das Hirn explodieren müsste. Wenn man also von katalanischen Nationalismus spricht, dann nur im Sinne abgeschwächten Sinne des "inklusiven Nationalismus", als Gefühl, eine eigenständige Nation zu sein. Um Missverständnisse zu vermeiden wäre es aber vielleicht besser, den Begriff "Nationalismus" ganz zu vermeiden und einfach von katalanischer Identität und Separatismus zu sprechen.

Ist's arg schlimm?


Vor einem Schreckgespenst Nationalismus muß man sich bei den Katalanen nicht fürchten. Noch viel mehr Schreckgespenster werden allerdings für die Katalanen aufgebaut. So wird immer wieder darauf verwiesen, ein unabhängiges Katalonien sein nicht mehr Mitglied irgendwelcher internationalen Organisationen und müsse bei Null anfangen. Keine Reisefreiheit, Zölle, die Abwanderung von Wirtschaft - der Niedergang sei unvermeidlich. Manche weisen nur auf die Schwierigkeiten hin, andere Kommentatoren wie die von der Welt fordern gar ausdrücklich eine Isolation und wirtschaftliche Zerstörung Kataloniens, sollte es sich von Spanien trennen. Solche Drohungen haben schon in Schottland Wirkung gezeigt und die Bevölkerung eingeschüchtert, sie sind der Versuch, durch die Drohung der wirtschaftlichen und politischen Vernichtung den demokratischen Willen in Teilen Europas zu brechen. Und natürlich wären die Aufgaben im Falle einer Unabhängigkeit Kataloniens gewaltig. Ein wirkliches Problem müssten diese allerdings nicht sein. Die europäische Politik müsste dabei allerdings etwas wirklich Ungeheuerliches, gerade für Deutsche kaum mehr Vorstellbares tun: Sie müsste nicht mehr länger als verbissene Verteidigerin des Status Quo und Vollstreckerin des Unvermeidlichen agieren, sondern die europäische Entwicklung mit gestalten! Die Europäische Union böte ideale Strukturen um all die schwierigen Konsequenzen einer Unabhängigkeitserklärung abzufedern - Freizügigkeit, Rechtssicherheit, Zollfreiheit und was auch immer nötig sein sollte. Würde sich die EU auf ihre eigentlichen Aufgaben - die Förderung von Frieden, Demokratie und Wohlstand in Europa - besinnen, sie müsste im Interesse aller Betroffenen auf die schnellstmögliche Anerkennung und Aufnahme Kataloniens in die EU hinarbeiten. Dagegen wirken die Drohungen eines isolierten neuen Staats wie ein Bademeister, der ruft: Wer quer schwimmt, den lass' ich ersaufen! Leider hat der Fall von Griechenland gezeigt, daß diese EU tatsächlich fähig ist, ein Land ersaufen zu lassen. Ob dies im Ernstfall auch mit Katalonien der Fall wäre, sei allerdings dahingestellt. Zum einen wäre die Isolation eines unabhängiges Katalonien, ein Land, das wirtschaftlich in einer Liga mit Finnland und Irland spielt, Sitz internationaler Organisationen ist und intensiv mit der EU verwoben, auch für die EU schwierig und schmerzhaft. Zum anderen besteht die EU nicht nur aus deutscher Ignoranz und britischer Angst vor einem Referenzfall. Sondern auch aus Estland, Lettland und Litauen, die ihre Unabhängigkeit aus der Sowjetunion durchsetzten. Aus Malta und der Republik Zypern, die erst vor wenigen Jahrzehnten vom Britischen Empire unabhängig wurden. Aus Tschechien und der Slowakei, die sich einvernehmlich trennten, und aus Kroatien und Slowenien, die ihre Unabhängigkeit aus Jugoslawien erkämpften. Kurzum, die EU schliesst viele kleine Staaten ein, die ihre Souveränität vor relativ kurzer Zeit aus größeren Nationen durchsetzen mussten. Vielleicht ist da das Verständnis für den katalanischen Wunsch Unabhängigkeit innerhalb der EU am Ende gar nicht so gering wie es die Welt und die FAZ suggerieren wollen.

Independència?


Bleibt zum Schluß noch ein Wort zur großen Frage: Wird Katalonien innerhalb der nächsten anderthalb Jahre ein neuer Staat in Europa? Nein.

Gut, vielleicht doch noch ein paar Worte mehr. Eine Unabhängigkeit Kataloniens ist schlicht nicht mehrheitsfähig. Dies zeichnete sich bereits mit dem Referendum zur Unabhängigkeit im November 2014 ab, welches durch massiven Druck aus Richtung Madrid zu einer unverbindlichen "Volksbefragung" wurde. Es gelang der Unabhängigkeitsbewegung unter sehr schwierigen Umständen, eine landesweite Abstimmung durchzuführen. Es durften keine Wahlregister verwendet werden, die katalanische Regierung und ihre Organe mußten sich aus der Organisation zurückziehen, die spanische Post weigerte sich sogar, Wahlbenachrichtigungen zuzustellen. Dennoch konnten alle Wahllokale mit freiwilligen Helfern besetzt werden, am Tag vor der Abstimmung hingen in allen Hauseingängen Informationen zum zuständigen Wahllokal, es war einer der vielen Demonstrationen der beeindruckenden Organisation und Entschlossenheit der Separatisten. Und es war von Anfang an klar, daß diejenigen, die unter diesen Umständen an der Befragung teilnehmen würden, sich mit großer Mehrheit für eine Unabhängigkeit aussprechen würden. Die bedeutendere Frage sollte die nach der Wahlbeteiligung sein - wie viele Menschen können für eine Abstimmung über eine Unabhängigkeit mobilisiert werden? Am Ende stimmten dann auch gut 80% der Teilnehmer für eine vollständige Unabhängigkeit Kataloniens, was als großes Symbol verkauft wurde. Dabei lang die Wahlbeteiligung bei gerade mal einem Drittel der Stimmberechtigten (eine exakte Zahl ist wegen der fehlenden Wählerverzeichnisse nicht verfügbar). Und dies ist eine krachende Niederlage für die Separatisten. Von mindestens 5,5 Millionen stimmberechtigten Bürgern konnten sie gerade einmal 1,9 Millionen Stimmen für eine Unabhängigkeit einsammeln, und es ist sehr zweifelhaft, daß unter den Nichtwählern eine Mehrheit eine Unabhängigkeit unterstützt.

Neben der Volksbefragung 2014 demonstriert die Unabhängigkeitsbewegung ihre Stärke am katalanischen Nationalfeiertag, dem Diada am 11. September. Dort schafft sie es nicht nur, gewaltige Menschenmassen auf die Strasse zu bringen, sondern beeindruckt mit Großaktionen. 2013 organisierte sie eine 400 km lange Menschenkette mit 1,6 Millionen Teilnehmern quer durch Katalonien. 2014 brachte sie 1,8 Millionen Menschen in die Strassen Barcelonas und ließ diese durch verschiedenfarbige Kleidung die katalanische Flagge in V-Form durch die Strassen formen. 2015 sollte laut Organisatoren ein neuer Höhepunkt werden und ein Fanal vor der Regionalwahl. Die Avinguda Meridiana, eine Verkehrsachse Barcelonas, wurde von einer weiß gekleideten Menschenmasse erfüllt, die mit Pappschildern eine Choreographie aus farbigen Wellen aufführte. Und auch wenn so beeindruckende Bilder zustande kamen, das Ziel der Veranstalter wurde verfehlt. Mit 1,4 Millionen Teilnehmern kamen nicht mehr, sondern deutlich weniger Teilnehmer als im Vorjahr zur Veranstaltung.
Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung konnte 2014 also bis zu 1,8 Millionen Menschen auf die Straße bringen und 1,9 Millionen Stimmen einsammeln. Damit scheint sie ihr Potential aber bereits voll ausgeschöpft zu haben. Aufbauen konnte sie darauf seitdem nicht weiter. Es scheint einen harten und bestens organisierten Kern von vielleicht 2 Millionen Menschen zu geben, die die Unabhängigkeit durchsetzten wollen. Von einer absoluten Mehrheit unter den 5,5 Millionen Wahlberechtigten sind sie damit aber deutlich entfernt. Deshalb glaube ich es auch nicht, daß Junts pel Sí in der Regionalwahl morgen eine absolute Mehrheit der Stimmet und damit die selbstgeforderte Legitimation erhält, ein unabhängiges Katalonien auszurufen. Und ich finde das auch kein kleinen bisschen schade. Eine Unabhängigkeitserklärung Kataloniens würde Europa kräftig durcheinander wirbeln. Und in diesen sedierten, bleiernen Zeiten ist fast alles, was durcheinander wirbelt, gut.

Der Präsident der autonomen Region Katalonien, Artur Mas, mag ein Typ Politiker sein, für den man keinerlei Sympathie aufbringen will und muß. Aber gestern formulierte er treffsicher. Die Frage nach der Unabhängigkeit Kataloniens werde nicht von den Märkten und nicht von der Nationalbank entschieden. Sie werde nicht von Obama und nicht nicht von Merkel und nicht vom spanischen Präsidenten Rajoy entschieden. Diese Frage werde morgen alleine vom katalanischen Volk entschieden. In diesem Sinne:

So if you meet me
Have some courtesy
Have some sympathy,
and some taste.
Woo woo!

1 Kommentar:

  1. Sehr interessante Analyse. So differenzierte Gedanken habe ich zu Kataloniens möglicher Unabhängigkeit noch nicht gelesen (und mir selbst auch nicht gemacht). Danke!

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