Samstag, 26. Juli 2014

Der Berg so hoch, die See so weit

Wer kann, vermeidet es ja, am frühen Nachmittag, in der größten, unerträglich schwülen Hitze, in der einem die Kleider schon nach einer Minute durchnässt an der Haut kleben, ins Freie zu gehen. Die Einheimischen auf jeden Fall können und tun es. Kein Wunder, daß die Straßen beinahe ausgestorben wirken. Höchstens Touristen sind so verrückt, freiwillig durch die Gegend und in Richtung Hitzschlag zu laufen. Daß die beiden jungen Damen, die mir entgegen kommen, Touristinnen sind, ist sehr offensichtlich. Allein schon die engen, ihrem spezifischen Körperbau, sagen wir mal: nicht hundertprozentig schmeichelnden Spagettitops mit freiem Blick auf blasse, erste Anzeichen von Sonnenrötung zeigende Schultern sind in dieser Hinsicht genauso gut wie ein blickendes "Vorsicht Touri"-Schild um den Hals. An der Kreuzung treffen wir uns und eine der Beiden spricht mich an:
"Schulligung, wir wollen zum Meer. Ist das noch weit?"
"Kommt darauf an, zu welchem Meer Sie wollen!"
Mein müder Scherz zündet überhaupt nicht, das sehe ich an ihrem deutlich irritierten Gesichtsausdruck. Also will ich es kurz machen:
"Da müssen Sie da runter, ist so ein knapper Kilometer vielleicht…"
Ihr Gesichtsausdruck wird noch irritierter:
"Müssen wir nicht eher da lang?", fragt sie und streckt ihren Zeigefinger in die entgegengesetzte Richtung. Ich frage mich, ob jetzt bei mir ein Scherz nicht so ganz zündet und bleibe vorsichtig: "Darunter geht es bergab und da lang geht es deutlich bergauf. In welcher Richtung würden Sie nach einem Meer suchen?"
Ich sehe schon, sie versteht wieder nicht, worauf ich hinaus will. Die Beiden müssen sich schon sehr verloren vorkommen, daß sie noch mit mir weiter reden. Sie versuchen es anders:
"Laut der Karte…" - an dieser Stelle hebt ihre Begleiterin triumphierend ein Smartphone hoch - "…müssen wir aber da lang!"
Die Zweite der Damen hält mir ihr Handydisplay mit irgendeinem Kartendienst drauf unter die Nase. Ihr Finger kreist über den kleinen Bildschirm, ihr Blick über die Landschaft und sie meint:
"Also wir sind jetzt irgendwo hier und dann müssen wir doch jetzt irgendwie nach da…"
Mein Gefühl sagt mir, daß die Zwei mich ohnehin schon für ein komplettes Arschloch halten, da treibe ich es mit dem Klugscheißen noch ein bisschen weiter:
"Wir sind auf der Nordhalbkugel. Da geht die Sonne im Osten auf und macht einen Bogen über Süden bis sie im Westen untergeht. Jetzt ist es kurz nach zwei und die Sonne steht da. Und das heißt, Sie sollten die Karte… - darf ich mal?"
Ich strecke meine Hand nach dem Handy aus und widerwillig, wirklich sehr, sehr widerwillig, gibt sie es mir.
"Das heißt, Sie sollten die Karte besser so rum halten."
Ich drehe das Telefon und gebe es ihr zurück. Ok. Gut. Das ist mein Fehler jetzt, keine Frage. Wo ich selbst gar kein Telefon besitze, ist es mir nicht immer gegenwärtig, daß diese Smartphones irgendwie immer wissen, wie rum sie gerade gehalten werden. Die Dame blickt erst auf die für sie völlig unveränderte Karte auf dem umgedrehten Handy und dann in mein Gesicht. Da weiß ich, sie hält mich nicht für ein komplettes Arschloch. Sie hält mich für einen kompletten Irren, bei dem sie sich noch unsicher ist, ob er gefährlich ist oder nicht. Ich versuche es versöhnlich:
"Sie müssen das Handy einfach schnell genug im Kreis drehen. Und dabei in diese Richtung gehen."
"Gut, ja, tschüss!"
Die Beiden laufen tatsächlich über die Straße in die von mir angezeigte Richtung. Zu meiner Enttäuschung tun sie das aber nur, weil sie auf der anderen Seite noch einen anderen Passanten entdeckt haben, auf den sie erleichtert direkt zusteuern. Das ist ja sowieso meine Richtung, da gehe ich gleich hinterher und bekomme so noch ein paar Gesprächsfetzen mit:
"Wir suchen das Meer, wissen Sie, wo wir da lang müssen?"
"Äh, also, ich bin auch nicht von hier. Aber ich glaube, da müsst Ihr da lang."
Er zeigt den Berg hinauf.

Als ich mich kurz darauf noch mal umdrehe, sehe ich Beiden beschwingt den Anstieg in Angriff nehmen.

An manchen Tagen frage ich mich schon, woher meine Kommunikationsprobleme mit meiner Umwelt eigentlich kommen.

7 Kommentare:

  1. Es könnte sich ja um ein Bergmeer handeln. ;-)

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  2. Nette Geschichte!
    Ausgedacht, oder tatsächlich so passiert (so blöd wie die Beiden kann doch eigentlich keiner sein. Obwohl...) ?

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    1. Vor sehr sehr SEHR viele Jahren, war sicherlich auch auf dem Berg mal Meer...
      Wenn man sich mal längeren Diskussionen mit amerikanschen Kreationisten widmet, wundert ein' garnichts mehr... aber das man sowas auch in Deutschland erlebt.. ts ts ;)

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  3. @Volker Birg:
    Die sind vielleicht einfach nur zu spät dran. Schließlich findet man ja auch auf der Zugspitze noch versteinerte Muscheln…! :)

    @Der Duderich:
    Nennen wir es mal "basierend auf einer wahren Begebenheit"…! ;)

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  4. Noch ein bisschen globale Erwärmung, die Meeresspiegel steigen, und das Meer ist dann auch da oben ;-)
    Hilfsmittel zur Orientierung sind toll, aber man muss sie auch benutzen können UND dabei den Kopf nicht ganz ausschalten (oder überhaupt erst mal einschalten).

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  5. Vielleicht wollten sie zum Ruhe finden zum Mare Tranquillitatis? Dann müssten sie wahrlich bergauf.

    Eine ganze Weile sogar.

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