Irgendwie bekam ich in den letzten Tagen den Eindruck, Satellitenbilder könnten ganz schön mißverstanden sein, bei den selbsterklärten Investigativjournalisten von Bellingcat, bei den übrigen Journalisten sowieso, und überhaupt. Es scheint, als stellten sich diese Leute ein Satellitenbild vor wie ein Bild aus dem Fotoapparat. Das ist es aber nicht. Daher, einfach mal so, ein paar Hinweise zu den Unterschieden und was die mit Bildmanipulation zu tun haben - mit praktischen Übungen zum nachmachen!
Zuerst mal, einfacher aber sehr wichtiger Unterschied zwischen Satellitenbildern und den Fotos aus dem heimischen Fotoapparat ist: Satellitenbilder sind groß, sehr groß sogar. Für den von Digital Globe, einem Betreiber von kommerziellen Erdbeobachtungssatelliten, unterhaltenen Satelliten World View 2, einer beliebten Quelle öffentlicher Aufnahmen, ist die angegebene kleinste angebotene Aufnahmeeinheit ein Bild mit einer Kantenlänge von 16.4 km × 16.4 km - bei einer Auflösung von 40 cm pro Bildpunkt. Auch im Default-Angebot sind Aufnahmen der Abmessung 16.4 km × 360 km und 112 km × 136 km. Solche Bilder sind wirklich riesig! Das hat ja auch gute Gründe, einer der Vorteile von Satellitenaufklärung ist ja gerade die Fähigkeit, große Gebiete auf einmal zu beobachten. Allerdings bedeutet das auch, daß man ein komplettes Satellitenbild, so wie es geliefert wird, gar nicht wiedergeben kann. Man müsste schon eine große Fototapete daraus drucken und mit der Lupe suchen gehen. Wann immer man also ein Satellitenbild hoher Auflösung gezeigt bekommt, sieht man nie das ganze Bild, unvermeidlich muß derjenige, der das Bild präsentiert, vorher einen kleinen Bildausschnitt auswählen. Das Konzept, das ganze Bild zu sehen, wie bei einem normalen Foto, macht bei hochauflösenden Satellitenbildern allein schon aufgrund der schieren Größe keinen Sinn. Die Regel ist also einfach:
Wann immer man ein hochaufgelöstes Satellitenbild gezeigt bekommt, sieht man immer nur einen kleinen Ausschnitt. Die Forderung, das ganze Bild sehen so wollen, ist nicht umsetzbar.
Das sollte man im Hinterkopf behalten, gerade wenn das Bild dazu dient, eine politische Botschaft zu untermauern. Denn man kennt ja von Alltagsfotos den Effekt, durch geschickte Auswahl eines Bildbereichs einen ganz anderen Eindruck zu vermitteln, als ihn das vollständige Bild vermittelt. Wahrscheinlich müsste man nur mal beim Bildblog im Archiv suchen, um Beispiele dafür aus den Medien zu finden. Bei Satellitenbildern kann die Wahl des Bildausschnitts natürlich ebenfalls ganz harmlos sein oder zur Manipulation des Betrachters dienen. Dazu ein kleines Beispiel aus freier Wildbahn:
Am 10. April 2014 stellte die NATO der Presse Satellitenbilder vor, die einen Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine belegen sollten. Darunter war auch dieses Bild einer russischen Luftwaffenbasis am Asowschen Meer:
Man sieht einen Bildausschnitt mit einer Reihe von 8 Kampfflugzeugen auf dem Flugfeld und ein paar Hubschrauber, mehr weiß der Betrachter nicht. Um das Bild einzuordnen kann man auch auf Google Earth nachgucken. Dort gibt es Bilder vom 28. August 2007, dem 15. August 2013 und dem 30. September 2014. Hier ist ein kleiner Überblick über das gesamte Flugfeld zu den drei Daten:
Offenbar stehen auf diesem Stützpunkt immer viele Flugzeuge in einer Reihe, selbst vor dem Ausbruch der Krise in der Ukraine. Tatsächlich kann man also anhand des kleinen von der NATO präsentierten Ausschnitts gar nicht beurteilen, ob im März 2014 dort mehr Flugzeuge als üblich stationiert waren oder vielleicht sogar weniger. Über einen Aufmarsch russischer Truppen sagt der präsentierte Bildausschnitt rein gar nichts aus. Durch den gewählten kleinen Ausschnitt, die fehlende zeitliche Einordnung des Inhalts und den Kontext, in dem das Bild präsentiert wurde - Aufmarsch russischer Truppen - wird beim Betrachter aber der Eindruck einer militärischen Bedrohung erzeugt.
Der zweite wichtigen Punkt: die ursprünglichen Satellitenbilder sind nicht nur sehr viel größer als die gezeigten Ausschnitte, sie sind auch sehr viel detailreicher. Die öffentlich gemachten Ausschnitte sind üblicherweise verlustbehaftete jpeg-Dateien mit 8 bit an Information pro Farbkanal (d.h. die bieten 28 = 256 Helligkeitsstufen pro Farbkanal). Die Originalbilder sind in einem verlustfreien Format abgespeichert und haben für kommerzielle Satelliten typischerweise 11 bit pro Farbkanal (d.h. 211 = 2048 Helligkeitsstufen). Das spielt eine Rolle, wenn man ein Bild manipulieren will: Man würde die Manipulation niemals im jpeg-Bild aus der Präsentation durch führen, sondern immer im Originalmaterial. In diesem Fall erhält man sehr viel bessere Ergebnisse. Nahliegender Weise gibt es dazu kein Beispiel aus der freien Wildbahn zur Illustration, man bekommt ja immer nur die jpeg-Bilder zu sehen. Wir müssen uns schon ein Beispiel selber bauen. Ich hab' da mal was vorbereitet…
Zuerst brauchen wir ein Satellitenbild, so wie es der Nutzer direkt vom Satellitenbetreiber geliefert bekommt. Ich habe mal ein Bild von New York (was sonst?) genommen, aufgenommen am 22. März 2005 vom kommerziellen Erdbeobachtunssatelliten Orbview-3 (Details gibt's hier). Das Bild ist vollständig und, obwohl keiner als World View 2-Bilder, immer noch riesig: Es hat eine Abmessung von 8336 × 26739 Pixeln mit 11 Bits pro Pixel und nimmt 425MB auf der Platte weg. Der Einfachheit halber nehme ich mal ein Schwarzweiss-Bild (genauer, ein "panchromatisches" Bild), die Auflösung ist 1m pro Pixel. Nur die grundlegenden Kalibrationsschritte wurden vom Anbieter durchgeführt (d.h. genau gesagt, das Bild ist in der Kalibrationsstufe "1Gst").
Wie gesagt, kann ich das Bild einfach nicht in seiner ganzen Pracht zeigen, dafür ist es zu groß. Ich habe mal ein stark komprimiertes jpeg daraus gemacht und die Helligkeitsstufen auf sie Schnelle von 11 auf 8 Bit skaliert, nur um einen groben Eindruck zu vermitteln:
Man sieht den Hudson River oben, den East River unten und den Central Park vage als Rechteck im Zentrum. Um das Bild schöner aussehen zu lassen, hätte ich mir sehr viel mehr Mühe beim Editieren geben müssen. Das ist aber gar nicht nötig, denn uns interessiert ohnehin nur ein kleiner Ausschnitt unten an der Mündung des East River. Dort erkennt man im Bild deutlich, wie gerade ein russisches Schnellboot irakische Massenvernichtungswaffen an in Manhattan untergetauchte ostukrainische Separatisten liefern will, hier, wir zoomen mal rein:
Das Schnellboot sieht man noch nicht, aber Moment, es müsste gleich unten ins Bild kommen! Da ist es:
Wobei, vielleicht habe ich das Boot ja gar nicht ins zweite Bild hinzugefügt, sondern aus dem ersten Bild entfernt? Wer kann das schon sagen? Anhand der Bilder wird man das nicht feststellen können. Denn ich habe die Manipulation gar nicht am hier gezeigten jpeg-Bild durchgeführt, sondern am Originalbild. Dort habe ich die Helligkeitswerte Pixel für Pixel liebevoll per Hand einzeln nachjustiert, bis das Boot samt Kielwasser da war. Erst dann habe ich den Ausschnitt gewählt, die Helligkeitsskala und die Auflösung angepasst und die jpeg-Komprimierung durchgeführt. Man wird ein keinem der beiden gezeigten Bilder Anzeichen einer Manipulation finden, weil es schlicht keine Manipulation in den Bildern gibt. Die fand ausschließlich auf einer früheren, tiefer liegenden Ebene statt.
Natürlich ist das nur eine kleine Änderung am Bild, aber mehr ist auch nicht nötig, wenn man in Bildern wie diesen
einen Raketenwerfer auf einem Kasernenhof verschwinden oder auftauchen lassen will. Hat man Zugriff auf die Originaldaten des Satelliten, dann sind Manipulationen am Bild möglich, dagegen ist die Vorstellung, ein rechteckiges Bildstückchen sei mit Photoshop ersetzt worden… Buhahaha - Heuer doch bei Bellingcat an!
Daher halte ich Satellitenbilder dieser Art grundsätzlich für ein ganz schlechtes Beweismittel. Und die Suche nach Anzeichen einer Manipulation im jpeg-Bild aus einer Präsentation wie sie Bellingcat versucht hat, grundsätzlich für aussichtslos. Auf diese Weise kann man vielleicht die ein oder andere Photoshop-Manipulation durch einen gelangweilten Amateur aufdecken. Von einer Manipulation der Ausgangsdaten durch Geheimdienste oder Militär wird man aber keine Spuren entdecken.
Besser finde ich daher, Bildeigenschaften im Blick zu haben, die sich kaum manipulieren lassen. Die Perspektive des Bildes etwa. Wollte man die nachträglich ändern, man müsste Dinge, die gar nicht im Bild sind (verdeckte Hausseiten etwa) sichtbar machen. Oder den Schattenwurf, den im ganzen Bild zu ändern dürfte bei einem strukturreichen Bild auch kaum machbar sein. Aber was man mit der Perspektive und Schattenwürfen anfangen kann, hatte ich ja schon an anderer Stelle vorgeführt...
Ich muss mal sagen: Ich habe von dem ganzem Kram ueberhaupt gar keinen Plan. So gar nicht.
AntwortenLöschenFinde es aber super interessant wenn du das hier so deppensicher erklaerst, immer wieder faszinierened!
Danke!
LöschenEs ist ja doppelt schön, wenn jemand, der sonst nicht so am Thema dran ist, es interessant und verständlich findet!
:)
Dem schließe ich mich gleich mal an. Hochinteressant das ganze!
LöschenUnd eine kleine, ahem, kritische Anmerkung darf natürlich nicht fehlen:
Die Forderung, das ganze Bild sehen so wollen, ist nicht umsetzbar.
Naja, man kann riesige Bilder durchaus in einem Stück verfügbar machen. Der Kollege von xkcd macht das hier sehr schön vor: http://xkcd.com/1110/ Da kann der Betrachter dann auf eigene Faust durch das Riesenbild irren...
Ja, im Prinzip ist es schon möglich, riesige Bilder zu zeigen. Dann wird's aber nichts mehr mit Powerpoint, Printmedien, etc. Und im Fall von Satellitenbildern kommt erschwerend noch die große Farbtiefe hinzu. Die Wahl der Helligkeits- bzw. Farbskala müsste man dann auch noch dem Nutzer überlassen, was für den Gelegenheitsnutzer ziemlich kompliziert sein dürfte…?
LöschenAch was, alles Ausreden ;)
LöschenAber hast natürlich recht. Schon in dem xkcd-Bild ist es eher schwierig eine bestimmte Stelle wiederzufinden, und das ist nur schwarzweiß gezeichnet...
Also, wenn ich das richtig verstehe, ist diese ganze Satellitenbildspielerei so, als wenn ich per google street view zwei Bilder von deinem Haus hätte, eins von Ende Februar und eins von Anfang April.
AntwortenLöschenJetzt ist im März ca. 30 km von deinem Wohnort entfernt eine Person ermordet worden.
Woraus ich schlußfolgere: Du, lieber Autor, bist der Mörder! Denn du hast ein Auto, notwendig für lange Fahrten, und das Auto wurde im Mord-Zeitraum irgendwie irgendwann bewegt.
Der rauchende Colt! Unterwachtmeister, führen sie den Mann ab.
Tja, hm, also… Ja, darauf läuft's am Ende irgendwie hinaus...
LöschenAlso ihre Kritik an "NATO-Luftbildern" so ganz allgemein kann ich nicht teilen. War doch eine Kritik oder? Achten sie bitte darauf was für Flugzeuge genau da wann in welchen Stückzahlen und in welcher Situation dokumentiert wurden. Setzen sie sich mit der Belegungshistorie von diesem Flugplatz auseinander. Sie werden zum gleichen Ergebnis wie die NATO kommen!
AntwortenLöschenJa, das war in der Tat Kritik, allerdings nicht an NATO-Luftbildern ganz allgemein, sondern ganz konkret an einem einzelnen Bild. Was genau ist mir denn in Hinblick auf die Beweiskraft dieses Bildes entgangen?
LöschenWenn sie sich ausschließlich auf EIN Bild konzentrieren und es bewerten dann können sie das gerne - wie jeder andere auch - so machen. Die Aussage der NATO zu diesem Bild ändert das trotzdem nicht. Die haben das halt pauschalisiert damit man es verstehen kann. Es ist mit gewissen Aufwand möglich anhand öffentlicher Quellen die Aussage der NATO zu beweisen. Hab das ja schon angeführt. Andererseits, es liegt wohl auch im Auge des Betrachters wie exakt oder pauschal, somit richtig oder falsch, die betreffende Aussage zu einem konkreten Bild ausfällt.
AntwortenLöschen"Die haben das halt pauschalisiert damit man es verstehen kann."
Löschen"[…], es liegt wohl auch im Auge des Betrachters wie exakt oder pauschal, somit richtig oder falsch, die betreffende Aussage zu einem konkreten Bild ausfällt."
Ja, genau, das ist das Problem. Oder in anderen Worten ausgedrückt:
"Über einen Aufmarsch russischer Truppen sagt der präsentierte Bildausschnitt rein gar nichts aus."
Also ich habe das "Problem" nicht :-)
AntwortenLöschenDenn ich weiß ja das es stimmt. Die Aussage ist zutreffend. Die Art wie es mitgeteilt wurde kann man natürlich bemängeln. Man kann aber auch aus einer Mücke einen Elefanten machen. Ich halte ihren Blog mal im Auge, auch wenn es teilweise, die Bilder betreffend, recht wissenschaftlich zugeht. Lernen kann man bestimmt noch was.