Dienstag, 25. Februar 2014

Natur pur

Naturgesetzliche Abläufe haben kein Ziel und Zweck, sie laufen einfach so ab, weil die Naturgesetze nun mal so sind, wie sie sind. Das klingt banal, dennoch haben erstaunlich viele Menschen erstaunlich große Schwierigkeiten, dies wirklich, jenseits eines Lippenbekenntnisses, zu akzeptieren - spätestens, wenn es um die belebte Natur geht.
Nehmen wir die darwinsche Evolution. Diese Theorie beschreibt rein mechanisch die Prozesse, unter deren Wirkung sich Lebewesen über Generationen hinweg entwickeln. Anzunehmen, der Evolution wohnten irgendwelche Ziele oder Absichten inne, ist völlig absurd. So ist es nicht Ziel oder Aufgabe eines Individuums oder auch der Art als Ganzes, durch das Verhalten oder durch körperliche Fähigkeiten den Fortbestand zu sichern. Ein jedes Individuum ist, wie es ist, und daraus mag folgen, was immer daraus folgt. Alle anderen Annahmen sind so unsinnig, als würde man unterstellen, der Zweck der Schwerkraft sei es, dafür zu sorgen, daß ein Stein zu Boden fällt.

Und dann kommen Menschen wie Herr Matussek und Gleichgesinnte, die Homosexualität, wie auch Fehlsichtigkeit und Erbkrankheiten, für einen Fehler der Natur halten. Einen Fehler kann aber nur machen, wer mit seinem Wirken eine Absicht verfolgt, ein Ziel erreichen will. Wer einfach nur ziel- und zweckfrei vor sich hinwirkt, der kann auch keinen Fehler machen. Die Natur kann keine Fehler machen. Egal ob sexuelle Präferenzen oder schwere Erbkrankheiten, sie als "Fehler der Natur" zu betrachten ist so absurd, als würde man es als Fehler der Natur ansehen, sollte ein fallender Stein einmal nicht auf dem Boden, sondern auf einem Tisch landen. Weil es ja der Zweck der Schwerkraft sei, daß Steine zu Boden fallen? Was immer die Natur hervorbringt, es ist allenfalls eine Abweichung von der Norm - im wertfreiesten nur möglichen Sinne.
Eine Abweichung von der Norm wird erst zu einem "Fehler", wenn ein Mensch seine eigene wertebeladene Vorstellung davon, wie die Natur zu sein habe, in diese hineinprojiziert. Fehlsichtigkeit wird erst zu einem "Fehler der Natur" unter der Vorstellung des Menschen, wie die Natur das Sehen einzurichten habe. Erbkrankheiten durch die Vorstellung des Menschen vom "richtigen Menschen" zu einem "Fehler der Natur".

Und damit sind wir bei Heiko Wernings Kommentar zu Matusseks Geschwätz von der Homosexualität als Fehler der Natur. Der stellt ganz richtig fest, daß Matussek mit seinem "Vulgärdarwinismus" "eine alte Argumentationslinie reanimierte, die hochgefährlich ist." Und doch geht er selbst Matussek auf den Leim. Denn er beginnt selbst, biologisch zu argumentieren, mit Bienen und Genpool und schwulen Bonobos. Damit hat er die von vornherein falsche und potentiell ausgesprochen gefährliche Argumentationslinie des Herrn Matussek im Grunde selbst übergenommen. Doch die gesellschaftliche Haltung der Homosexualität gegenüber ist nicht nur keine Frage des Vulgärdarwinismus, sie ist auch keine Frage des Darwinismus, ja, ist überhaupt keine Frage der Naturwissenschaft. Um die Absurdität dieser Herangehensweise voll zu erfassen, muß man nur einmal eines der bunten Beispiele Wernings aus der Welt der Biologie hernehmen und sich fragen, ob die Rolle der Homosexuellen in der Gesellschaft von der wissenschaftlich zu beantwortenden Frage abhängen kann, ob sich Delfinweibchen von ihren Freundinnen die Flosse in die Muschi stecken lassen oder nicht?

Wie schön wäre es doch gewesen, wäre Matusseks biologische Fehlerphantastereien entgegen gehalten worden, daß Natur und Biologie völlig egal sind, wenn es um die Rechte von Schwulen und Lesben in der Gesellschaft geht. Und daß ausnahmslos, immer und überall, wo jemand sich auf die Natur beruft, um ein Werturteil zu rechtfertigen, letztlich nur ein objektives Deckmäntelchen für die eigenen Ressentiments gesucht wird.

4 Kommentare:

  1. Es wundert mich ein wenig, dass dieser Artikel schon so lange ein unkommentiertes Dasein fristet. Vielleicht liegt es daran, dass ihm einfach nicht viel hinzuzufügen ist, außer einem Dank dafür, dass er diese sog. Debatte auf den Punkt bringt:

    "Wie schön wäre es doch gewesen, wäre Matusseks biologische Fehlerphantastereien entgegen gehalten worden, daß Natur und Biologie völlig egal sind, wenn es um die Rechte von Schwulen und Lesben in der Gesellschaft geht."

    Eben. Wer mit irgendwelchen "Natur"-Argumenten kommt, soll sich bitteschön in eine Höhle oder auf 'nen Baum hocken.

    Und noch eine Sache. Auch wenn ich mir gerne einbilde, möglichst aufmerksam gegenüber dem Problem zu sein, Begriffe aus dem menschlichen Alltag auf abstraktere Felder anzuwenden, ist mir die Tatsache

    "Anzunehmen, der Evolution wohnten irgendwelche Ziele oder Absichten inne, ist völlig absurd."

    bisher (zumindest bewusst) noch nicht aufgefallen. Danke dafür! Ich habe gestern lange darüber nachgedacht. Du weist damit auf (mindestens) zwei grundsätzlich wichtige Verhaltensweisen hin.

    Einmal auf die Unfähigkeit, Naturphänomene so zu akzeptieren, wie sie sind, ohne sie in einen sinnbehafteten Überbau zu zwingen.

    Und zum zweiten auf die Problematik, einen Begriffes oder eine Idee aus dem menschlichen Alltag auf allgemeinere Zusammenhänge zu projizieren. Dies ist so fundamental und weitreichend, dass ich nicht verstehe, warum es nicht häufiger thematisiert wird:

    "Sinn des Lebens", "Heiliger Vater", "Wirtschaftswachstum", die Annahme, der "freien Marktwirtschaft" wohne irgendein "Wille" inne usw. usf.

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    1. Danke! Lange über ihn nachgedacht zu haben ist ja so ziemlich das größte Kompliment, das man einem Text machen kann!

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  2. Danke. Ein Standpunkt, den ich nur zustimmen kann. Danke.

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  3. Matussek ist Katholik. Da ist es schwer, eine zweckfreie Natur anzunehmen.

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