Sonntag, 22. Februar 2015

A Spanish Lullaby

Es ist nicht gut, aber es läßt sich nicht ändern. Ich kann die Kommentare und Berichte zur Entwicklung in der Ukraine einfach nicht mehr lesen, gescheite denn kommentieren. Die Propaganda bemüht sich nicht einmal mehr um Originalität. Man hat sich in seinem schlichten Schwarz-Weiß-Denkmuster eingerichtet und wiederholt einfach bis zum Exzess die immer gleichen Erzählungen in verschiedenen Varianten. Und es ist auf Dauer nicht zu ertragen, auf immer gleiche Behauptungen die immer gleichen Antworten zu geben. Insofern wird die Propaganda gewinnen. Und auch das Gekreische nach militärischer "Stärke" gegenüber Russland scheint jede Schamgrenze überschritten zu haben. Vielleicht nur ein paar Kostproben aus den letzten Wochen, um zu verdeutlichen, was ich meine:
"Wann immer die russische Regierung diplomatisch Entgegenkommen signalisiert oder einen Friedensplan präsentiert, werden die prorussischen Truppen aufgerüstet oder rücken vor. Das ist das Muster. […] Das ist einer der wichtigsten Bestandteile des hybriden Krieges, den Russland in der Ukraine führt. […] Während die prorussischen Truppen auf dem Landweg Richtung Krim Territorien erobern, reihen die Außenminister Europas ihre Deeply-Concerned-Sätze aneinander wie Perlen auf einer Kette, die kein Ende hat. […] Er fragte dann noch, ob diese europäischen Freiheitswerte – Demokratie, Völkerrecht und Menschenrechte – nicht genauso oder viel mehr in der Ukraine verteidigt werden müssten?"
Zeit, 25.1.2015
"Klar, wer prinzipiell gegen Waffenlieferungen ist, egal wo, wird auch diesmal dagegen sein. Diese Haltung funktioniert aber nur so lange, wie man sich keine konkreten Gedanken macht. […] Die Gewaltspirale entsteht aus dem aktuellen militärischen Ungleichgewicht. Wenn das Ziel ist, in der Ukraine eine politische Lösung zu finden, kann der Weg dahin nicht darin bestehen, dass eine Seite – die Milizen im Osten – permanent von Moskau aufgerüstet wird, die andere – die legitime Regierung – aber ohne Hilfe dasteht. Dieser Weg führt nicht zu einer politischen Lösung, sondern begünstigt die militärische Eskalation, die die Separatisten erklärtermaßen anstreben. […] Eine politische Lösung in der Ostukraine wird erst möglich, wenn den bewaffneten Gruppen der militärische Weg versperrt bleibt – also wenn die Streitkräfte der Ukraine stark genug sind, jeden Angriff im Keim abzuwehren."
taz, 6.2.2015
"Wie hegt man eine aggressive und expansive Macht ein, die die Grundprinzipien der europäischen Friedensordnung missachtet, zur Durchsetzung ihrer Interessen militärische Mittel anwendet und dabei eine Politik des „brinkmanship“ verfolgt, die den Kontinent an den Rand eines großen Krieges führen könnte? Die Antwort ist unangenehm, aber unausweichlich: mit Abschreckung, und zwar bis hinauf zu ihrer höchsten Stufe. […] Nach Putins Triumphen in der Ukraine, die den Westen schwach erscheinen ließen, muss auch die Nato an der Glaubwürdigkeit ihrer Abschreckungsstrategie arbeiten. Sie muss dem Kreml verdeutlichen, dass er bei einer Verletzung des Bündnisgebiets mit militärischen Reaktionen zu rechnen hätte - und mit der Bereitschaft des Westens, auf der Eskalationsleiter mit nach oben zu steigen, im schlimmsten Fall auch schneller als die Russen."
FAZ, 11.2.2015
"Putin hat in jedem Moment die Möglichkeit, seine Eskalation zu beenden. Eine dauerhafte diplomatische Lösung gelingt nur, wenn der Westen seine Bereitschaft zur Verteidigung gegenüber Putin durch Aufbau ernster militärischer Abschreckung glaubhaft macht. Je eher, desto besser."
NZZ, 17.2.2015

Egal ob FAZ oder taz, von überall tönt einem der Ruf nach "Abschreckung" und "Abwehr" entgegen - je eher und je stärker, desto besser. Was soll man da noch sagen, wenn selbst Politiker gegen Zeitungskommentatoren wie Friedenstauben wirken? Heute aber schreibt Herr Buch in der FAZ einen Propagandaartikel, der mich noch einmal aufhorchen ließ:
"Ein anderer Vergleich dagegen ergibt durchaus einen Sinn: Das Schicksal der Ukraine, die von den Westmächten im Stich gelassen wird, weil niemand einen Krieg mit Russland riskieren will und kann - auch nicht das Weiße Haus! -, das Schicksal der Ukraine erinnert an den Spanischen Bürgerkrieg"
Ob gleich das ganze Schicksal der Ukraine an den Spanischen Bürgerkrieg erinnert, weiß ich nicht. Aber die Situation tut es. Denn wie ein durchaus weitsichtiger Mensch, der selbst im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Faschisten kämpfte, nach seinem Einsatz schrieb:
"One of the most horrible features of war is that all the war-propaganda, all the screaming and lies and hatred, comes invariably from people who are not fighting. […] The people who write that kind of stuff never fight; possibly they believe that to write it is a substitute for fighting. It is the same in all wars; the soldiers do the fighting, the journalists do the shouting"
George Orwell: Homage to Catalonia (1938)

Und das Kriegsgeschrei, das stimmen die Journalisten zum Kämpfen und Sterben in der Ukraine so gewaltig an wie selten zuvor...

3 Kommentare:

  1. Traurig finde ich in diesem Zusammenhang vor allem, dass du nicht mit einem Wort erwähnst, dass es in allen genannten Zeitungen auch genau gegenteilige Stimmen gibt. Das könnte man durchaus auch als Propaganda bezeichnen. Vermutlich ist es aber nur Ausdruck deiner selektiven Wahrnehmung des Themas.

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    1. Um etwas in Deinem Sinne zu selektieren, muß man die Augenklappen schon sehr weit zudrücken - eigendlich schon fast schließen.

      Wenn alle paar Wochen mal in einem Gastkommentar der Leitmedien Differenziertes es von sich gegeben wird, dann schreien die Leser in den Foren (so es sie noch gibt) erfreut, erleichtert und begeistert auf: "Endlich, endlich - ...hoffe das ihr nun zum Journalismus zurückgefunden habt ... weiter so! usw.

      Aber es war dann eben doch nur der übliche Gast-Alibi-Artikel, versteckt im Feuilleton oder unter "Meinung" - und das war's dann wieder für die nächsten Wochen oder Monate.

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  2. Oh ja, die gegenteiligen Stimmen gibt es auch. Es ist aber die Dosis, die das Gift macht. Und dabei geht es nicht um meine selektive Wahrnehmung, denke ich.
    Wenn man beispielsweise nach den Begriffen Krim und Annexion/keine Annexion googelt, dann finde zumindest ich unter den ersten Seiten zwei Artikel, die ziemlich klar darlegen, warum es sich bei der Krim nicht um eine Annexion handelt. Einer vom Juristen Reinhard Merkel ist aus der FAZ und schon vom April 2014. Der andere vom Januar bespricht einen Vortrag der Völkerrechtlerin Anne Peters und stammt aus dem Community-Teil des Freitag. Der Rest ist sowas wie "Krim-Annexion: Wie Putin den Westen austrickste", "Putins Offenbarungseid: Wie Russland die Krim annektierte", "Putin nennt Annexion der Krim 'Meilenstein der Geschichte'" usw. usf.
    Da fällt es mir schwer, meinen Blick nicht selektiv auf die ewig gleiche und unreflektierte Erzählung von der "Annexion" fallen zu lassen...

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