Mittwoch, 30. März 2011

Irdisch, Menschlich, Marsianisch

Jaaa, ich mache nochmal eine Ausnahme für bild.de. Diesmal gibt es zwar nicht so was schönes wie ein "Moonageddon", aber es kommen immerhin gleich zwei Dinge zusammen, die mir, wie der treue Leser schon weiß, gründlich auf die Nerven gehen: Panspermie und das Aufwärmen gefühlt uralter Geschichten. Heute berichtet bild.de in seiner Mystery-Rubrik, daß wir möglicherweise alle vom Mars stammen, und daß amerikanische Forscher dies vor Ort auf dem Mars untersuchen wollen! Und ganz so blöde, wie "Bild Mystery" erst mal vermuten ließe, ist die Sache nun auch wieder nicht. Hier also nun die ganze, erschütternde Geschichte!

Die Idee ist diese: Meteoriten können vom Mars zur Erde gelangen, und umgekehrt. Viel leichter sollten sie aber vom Mars zur Erde gelangen können. Und auf diesen Meteroriten könnten hypothetisch Bakterien von einen auf den anderen Planeten gelangen. Und als vor 3 bis 4 Milliarden Jahren auf der Erde oder auf dem Mars Leben entstanden ist, dann könnte über Meteoriten der eine Planet vom anderen gewissermaßen "infiziert" worden sein. Und es gäbe (oder gab) auf Erde und Mars verwandte Lebensformen.
Soweit, so hypothetisch, und für nichts weiter gut, wie die ganzen Panspermiefantasien. Denn schließlich ist es nicht klar, ob es auf dem Mars überhaupt je Leben, und sei es auch nur in der einfachen Form von Mikroben, gab. Geschweige denn, ob es dieses Leben heute noch gibt.

Dennoch machen einige Wissenschaftler in den USA eifrig Werbung für ihren Plan, vor Ort mit einem von ihnen gerade entwickelten Gerät nach DNS und RNS auf dem Mars zu suchen, und ggf. zu sequenzieren. Durch dieses Experiment soll die These einer Verwandschaft zwischen irdischem und noch unentdecktem marsianischen Leben geprüft werden. Eine solche Werbung ist z.B. die Presseerklärung des Massachusetts Institute of Technology vom 23. März 2011, die auch die Grundlage für den bild.de-Artikel liefert. Das dadurch geweckte Interesse zeigt auch die weitere Berichterstattung, z.B. ein Interview mit dem von bild.de zitierten Christopher Carr auf Space.com vom 25. März. Sowohl die Presseerklärung als auch das Interview traten ihren Weg um die Welt an (z.B. hier, hier, hier), bis zur Bild.

Doch wie schon erwähnt, so richtig neu ist all dies wirklich nicht. So findet sich z.B. vor ziemlich genau zwei Jahren, im durchaus seriösen New Scientist vom 9. April 2009, ein ausführlicher Artikel über das Mars-DNS-Suchvorhaben. Dort werden übrigens auch all die Probleme mit diesem Ansatz angesprochen, die mich wetten lassen würden, daß dieses Experiment nicht, wie von Carr und Freunden gehofft, 2018 mit zum Mars fliegen wird: Daß es nicht einmal klar ist, ob es dort überhaupt Leben gab oder gibt, daß DNS und RNS viel zu unbeständig sind, um als guter Nachweis bereits verstorbenen Lebens dienen zu können, daß die Annahme eines Bakterienaustauschs zwischen Erde und Mars viel zu eng gedacht ist, und so weiter.

Aber ok, Werbung ist alles, und eine neue Presseerklärung, eine Reihe neuer Artikel! Das funktioniert um Weltraum ja öfters. Schön ist aber doch, was bild.de aus dieser dünnen Werbung von Carr und Mitarbeitern so alles gemacht hat:
„Wenn wir auf dem Mars landen, sollten wir nach Lebewesen suchen, die in einer Beziehung zu menschlichen Leben stehen."
Gut, hier ist das "us" in der vermutlich zugrunde liegenden Originalstelle in der Presseerklärung schon mißverständlich:
"So we should at least be looking for life on Mars that's related to us."
Denn das "related" und "us" schlösse letztlich alles irdische Leben ein, nicht nur das Menschliche speziell. Schließlich würde die Verwandschaft sich ja schon vor mehr als 3 Milliarden Jahren auf Mikrobenebene getrennt haben. Es geht aber noch schöner, wenn man konsequent beim "menschlich" statt "irdisch" bleibt:
"Alien-Mikroben, die menschlichen Lebensformen ähneln, könnten Astronauten auf einer Mars-Mission gefährlich werden.“
Vor Alien-Mikroben, die Menschen ähneln, das weiß ich als alter Science-Fiction-Gucker, hätte ich dann auch ganz bestimmt Angst!

Montag, 28. März 2011

Die Meta-Katastrophe

Über die Reaktorkatastrophe von Fukushima wird in deutschen Medien viel berichtet. Und über die Berichte über die Katastrophe wird auch viel berichtet. Da mache ich doch einfach mal mit! Denn als nicht-Kerntechniker bin ich doch ganz sicher in der Zielgruppe der Berichterstattung, und somit zur Selbsterforschung in dieser Hinsicht berechtigt. Und was mir unter all den Medienberichten Sorgen bereitet, das sind gar nicht die Meldungen über die soundso-zigfach erhöhte Strahlung hier oder da, sondern eher das, was als neutrale oder gar gute Nachrichten verkauft wird. Denn zumindest wenn man diese zweimal liest, dann gefällt einem gar nicht mehr, was man da erahnen kann.

Die Tagesschau meinte so z.B.:
"Nachdem die konventionelle Kühlung des Reaktors ausgefallen war, hatte Tepco zumindest vorübergehend auf eine Kühlung mit Meerwasser umgestellt."
Und "vorübergehend" auf eine "unkonventionelle" Kühlung mit Meerwasser "umstellen", das klingt schön sachlich und beherrscht. Allerdings könnte auch dem Laien sofort der Verdacht kommen, daß es schon sehr fern des Benutzerhandbuchs und ein Akt purer Verzweiflung sein muß, Meerwasser in einen Reaktor zu pumpen (und ablaufendes Wasser, wie später bestätigt, direkt ins Meer zurück laufen zu lassen). Zumindest die neuen Berichte von Problemen mit Salzkrusten auf den Brennstäben und hoher Strahlung im Meer überraschen einen da nicht mehr. Sie bestärken einen nur in der Vermutung, daß hinter allen Bemühungen vor Ort kein Konzept steckt, sondern lediglich die Hoffung, durch Improvisieren zumindest bis zum nächsten Morgen durchzuhalten.

Die Tagesschau berichtet auch gerne von "wichtigen Fortschritten":
"Die Situation am schwer beschädigten Atomkraftwerk Fukushima I bleibt kritisch - nach Ansicht der Betreiberfirma Tepco und der japanischen Regierung wurden aber einige wichtige Fortschritte erzielt: So gelang es laut Tepco, ein Starkstromkabel in Reaktorblock 2 zu verlegen. Damit könne der Kontrollraum wieder mit Elektrizität versorgt werden. Die regulären Kühlpumpen könnten derzeit aber noch nicht genutzt werden, da zunächst umfangreiche technische Prüfungen daran vorgenommen werden müssten."
Das klingt gar nicht mal so schlecht. Nur sollte man sich nicht noch Bilder der Kraftwerksanlage ansehen. Denn sonst erscheint einem die beruhigende Nachricht, daß der nur von außen am wenigsten zerstört aussehende Reaktor wieder Strom für den Kontrollraum hat, nur wenig besser als die Meldung, die Kaffeemaschinen würden wieder funktionieren...

Am beeindruckensten (und wenn es nicht so ernst wäre, nur noch zum Lachen) ist aber die heutige Aussage zur Kernschmelze:
"Die Regierung gehe aber davon aus, dass die Kernschmelze lediglich vorübergehend sei."
Ehrlich gesagt hatte ich auch gar nicht vermutet, daß der geschmolzene Kern bis zum Ende aller Tage geschmolzen bleiben würde! Und beruhigt bin ich nun in etwa so wie nach einer Pilotendurchsage: "Verehrte Fluggäste, unser Flugzeug stürzt gerade ab. Aber wir gehen davon aus, daß der Absturz lediglich vorübergehend ist."
Liest man so etwas, dann weiß man nicht, ob die Verantwortlichen einfach heillos überfordert sind, oder ob sie den Bürger nur nicht ernst nehmen. Wirklich beruhigend wäre keines von beidem. Und solange niemand offen sagt, was ich für mich selbst ohnehin vermute - "Wir probieren mal alles, was uns so einfällt, und hoffen ansonsten, daß es nicht zu dicke kommt..." - freue ich mich über Meldungen über diese oder jene Strahlendosis hier oder da. Dabei weiß man noch am ehesten, woran man ist...

Sonntag, 20. März 2011

Selbstbetrachtungen in der moralischen Klärgrube

Zeit für ein Stück Drecksarbeit. Beim Schreiben fühlt es sich ekelhaft an, beim Lesen fühlt es sich ekelhaft an, aber es muß sein. Denn mit Blick auf die Katastrophenserie in Japan fürchten nicht mehr nur religiöse Spinner den üblichen Weltuntergang, sondern sogar deutsche Politiker erwarten das Nahen der Apokalypse. Und selbst die sachlicheren Zeitgenossen sehen doch, wenn schon nicht das Ende der Welt, so doch zumindest das Ende eines Zeitalters gekommen. Da muß man die schmutzige Aufgabe angehen, Elend gegen Elend aufzurechnen, um die Maßstäbe wieder ein bisschen zurecht zu rücken. Und man sollte sich fragen, weshalb die Maßstäbe eigentlich so grotesk verrückt sind. Um es gleich direkt zu sagen, die Katastrophe in Japan ist, nüchtern betrachtet, allenfalls eine mittelgroße Katastrophe, nicht mehr und nicht weniger.
Lassen wir erst mal die Reaktorprobleme außen vor, und sehen wir nur nach dem Erdbeben und dem folgenden Tsunami. Das vernünftigste Maß, die Schwere einer Katastrophe einzuschätzen, ist wohl die Zahl der Menschenleben, deren Verlust zu beklagen ist. In Japan sind das nach gegenwärtigem Stand 7348 Tote und 10 947 Vermisste. Man wird also weniger als 20 000 Tote zu beklagen haben.
Blickt man nur zehn Jahre weit zurück, so finden man etwa das Erdbeben in Haiti im Januar 2010 mit geschätzten 316 000 Todesopfern. Oder den Zyklon Nagris vom Mai 2008, der in Myanmar mindstens 80 000 Menschen das Leben kostete. Oder das Erdbeben in Kaschmir vom Oktober 2005, das in Pakistan und Indien 85 300 Opfer forderte. Das Erdbeben vor Sumatra im Dezember 2004 und der ausgelöste Tsunami im Indischen Ozean brachten ca. 230 000 Menschen den Tod. Und das Erdbeben von Bam (Iran) im Dezember 2003 kostete 26 271 Menschenleben.
Nein, selbst auf einer Zeitskala von nur einem Jahrzehnt ist die Katastrophe von Japan leider nicht ungewöhnlich verheerend. Und nach einem nur flüchtigen Blick über die Menschheitsgeschichte mit ihren Pandemien von Spanischer Grippe, Pest oder Pocken, jede mit Opferzahlen im zweistelligen Millionenbereich, erscheint jedes Gerede von apokalyptischen Zuständen in Japan geradezu absurd verirrt!
Sicherlich mag, wenn nicht der Blutzoll, so doch der materielle Schaden in Japan ganz enorm sein. Doch liegt dies daran, daß ein reiches Land getroffen wurde. Und die Schwere einer Katastrophe danach zu bemessen, wie reich das betroffene Land ist, das ist selbst mir zu zynisch.
Bleibt noch die Reaktorkatastrophe von Fukushima. Noch ist diese Folgekatastrophe von Erdbeben und Tsunami im Gange, und mir scheint, niemand kann abschätzen, ob Japan mit zwei blauen Augen davon kommen wird, oder nicht. Bleiben wir daher beim gegenwärtigen Stand der Dinge. Und der ist, alle Hysterie über unser aller Tod durch allgegenwärtige unsichtbare Strahlen mal beiseite, nicht gravierend. Bisher scheint die Zahl von Personen, die akut gefährliche Strahlungsdosen erhalten haben, im Bereich von Hundert zu liegen, und die Zahl der bisherigen Todesopfer noch viel niedriger. Doch auch andere Naturkatastrophen der letzten Jahre haben Folgekatastrophen nach sich gezogen. Auf Haiti brach nach dem Erdbeben eine Cholera-Epidemie aus, die allein bis Ende 2010 schon 157 300 Erkrankte und 3 481 Tote mit sich brachte. Da liegt die Reaktorkatastrophe in Fukushima bisher weit abgeschlagen dahinter.

Nein, was bisher in Japan geschah, hat rein gar nichts mit apokalyptischen Zuständen zu tun. Die Bedeutung dieser Katastrophenkette liegt nicht in dem, was tatsächlich geschehen ist, sondern darin, wie man sie sieht. Und warum erscheint dem Deutschen diese Katastrophe so ungeheuerlich?
Die mediale Abdeckung dieses Ereignissen spielt sicherlich ihre Rolle. Aber ich glaube, etwas anderes is noch viel wichtiger: Japan bietet eine perfekte Identifikationsmöglichkeit. Zusammengesackte Lehmhütten und Cholera-Epidemien, das ist für den Deutschen viel zu archaisch, um sich wirklich mit den Leidenden zu identifizieren. In Japan findet man aber alles, was es auch für den angenehmen Schrecken eines guten Horrorfilms braucht. Nämlich die Gewissheit, selbst gar nicht wirklich bedroht zu sein und es auch nicht zu werden. (Schließlich ist kein Axtmörder hinter einem her, wie man es im Film sieht, und man selbst würde sowieso nie in diese dunkle Gasse hineingehen...) Und außerdem die gute Möglichkeit, sich selbst mit den Opfern zu identifizieren. Das exotische Japan ist anders genug und auch weit genug weg, um nicht bedroht zu sein. Und gleichzeitig erlauben die Blicke von Hochhausdächern auf asphaltierte Straßen, in denen Autos oder Flugzeuge von Wellen herumgeworfen werden, sich selbst bequem in diese Perspektive hinein zu versetzen. Eine Reaktorschmelze oben drauf passt auch. Unser aller technische Untergangsphantasien werden wundervoll bedient!
Am Ende werden wir den Reiz der japanischen Apokalypse vermissen, wenn erst mal nichts gravierendes Neues mehr passiert und die Liveticker immer weiter nach unten auf den Nachrichtenseiten rutschen. Irgendwann werden wir uns unsere Angst wieder von Dioxineiern holen müssen, während wir auf die nächste Pandemiehysterie warten. Nach der Apokalypse in den Alltag zurück finden ist nunmal schwer. Und blicken wir noch ein letztes Mal in unsere schwarzen Seelen: Nicht mal die Meldungen über die neuesten Todesfälle durch die Schweinegrippe haben damals so schön geprickelt wie das Lesen der Ticker mit den letzten Strahlungsniveaus um Fukushima herum!

Dienstag, 15. März 2011

Macht, Ohnmacht und die Axt Gottes

Liebe Christen! Es ist ja immer wieder dasselbe. Diesmal will das ZDF unverschämterweise eine Comedyserie über Gott drehen, und wieder einmal bringt ihr das unerschütterlich scharfsinnige Selbstmitleid: "Was wohl geschehen würde, wenn das ZDF eine Comedy über Allah brächte." Und es stimmt ja, beim Islam würde das ZDF so etwas sicherlich nicht wagen. Aber wisst ihr was? Das seit ihr erbärmlichen, eierlosen Jammerlappen von Christen ja wohl selber schuld! Ja, haben die Moslems den Respekt vieleicht geschenkt bekommen? Nein! Hier mußten sie Züge voller Gottloser in die Luft sprengen, da mußten sie einem Gotteslästerer mit der Axt ins Haus kommen, und erst dann haben ihre feinsinnigen religiösen Gefühle den Schutz bekommen, den sie verdienen! Ihr aber wisst doch gar nicht mehr, wie man einen Ketzer noch richtig verbrennt und eine Hure steinigt!
Also hört doch endlich mit diesem wehleidigen Bei den Moslems traut man sich das nicht auf! Und da sehe ich genau zwei Wege für euch. Wenn ihr die Moslems so sehr beneidet, dann bucht euren nächsten Gemeindeausflug nach Nigeria, damit die euch zeigen, wie man noch einen ordentlichen Lynchmob bildet. Und schickt euren Dorfpfaffen in ein Terrorcamp nach Afghanistan, auf das er lerne, wie man noch richtige, einsatzfreudige Fanatiker heranzieht. Dann wird sich auch der letzte Satiriker wieder zweimal überlegen, was er über euren Glauben sagt!
Oder aber ihr gesteht euch endlich eure Ohnmacht ein und besinnt euch wieder auf diejenigen christlichen Tugenden, die ihr noch gepflegt habt, als euch das letzte Mal die Macht fehlte, die Feinde Gottes zu verbrennen oder zu ertränken: Leidet still vor euch hin, haltet auch mal die andere Wange hin, und lasst euch im Zweifelsfall auch Gott zur Ehre an die Löwen verfüttern. Wohl wissend, daß all die Löwenwärter und ZDF-Redakteure dereinst gerechterweise auf ewig in der Hölle schmoren werden, während ihr verzückt das Antlitz Gottes bestaunen werdet.
Ich persönlich wäre ja für die zweite Option. Und die hätte sogar den Vorteil, grundgesetzkonform zu sein!
Der Herr sei mit euch.

Sonntag, 13. März 2011

USA - Australien - Bild.de

Seit Freitag hat der Blogbeitrag zum "Supermond" in der Bild deutlich dreistellige Zugriffszahlen, die aus Google-Suchen nach "Supermond", oft in Kombination mit Begriffen wie "Erdbeben", "Katastrophe", "Bild", "Japan" und dergleichen, hervorgehen. Und davon bin ich bass erstaunt. Denn das ein solches Interesse an diesem Thema besteht, finde ich sehr bedenklich. Offenbar ist ein kurzer, nach Bild-Maßstäben gar nicht reißerischer Artikel auf bild.de in der Lage, zusammen mit einem Erdbeben hunderte von Menschen so zu verunsichern, daß sie weitere Informationen zum Zusammenhang zwischen Erdbeben und "Supermond" (also einem Vollmond in Erdnähe) suchen. Und wenn ich mal davon ausgehe, daß dieses Blog nur einen kleinen Teil der Verunsicherten erfaßt, dann bekomme ich das erste Mal nicht nur eine hypothetische Angst vor der Macht von Bild, sondern es läuft mir wirklich kalt den Rücken herunter.
Was zu tun wäre, ist eine genauere Beschreibung des "Supermondes", und warum jede Verbindung zum Erdbeben Unsinn ist. Die gibt es schon hier. Und dann ist es interessant, mal den Weg nachzuvollziehen, den die Idee von Unglück durch einen "Supermond" genommen hat, bis sie in der Bild ankam und damit offensichtlich eher zur Desinformation den zur Information der Leser beiträgt. Dann also mal los um die Welt!

Zuerst die Situation noch einmal in Kürze. Der Mond umläuft die Erde in etwas weniger als einem Monat auf einer ellipsenförmigen Bahn. Dabei ist er dann mal näher an der Erde, mal weiter weg. Die Bahn ist aber nicht "perfekt" konstant, so daß der geringste Abstand zur Erde auf einem Umlauf mal ein wenig größer, mal ein wenig kleiner ist. Diese Unterschiede sind aber deutlich kleiner als die "normalen" Abstandsschwankungen entlang der Umlaufbahn. Daher sollte man keine besonderen Vorkommnisse erwarten, wenn der Mond mal etwas näher an die Erde herankommt - der Unterschied ist eigentlich bloß für (Hobby-)Himmelsmechaniker interessant.
Manchmal fällt der Zeitpunkt des geringsten Abstandes zur Erde mit dem Vollmond zusammen. Dann spricht manch einer von einem "Supermond". Irgendwelche drastischen oder nicht drastischen Auswirkungen hat das aber nicht. Soweit die Lage.

Wenn man nach den Wurzeln des Begriffs "Supermond" sucht, dann gelangt man zum amerikanischen Astrologen Richard Nolle. Alle Linkketten zum Thema enden irgendwann bei ihm. Und er behauptet auch von sich selber, das Wort "Supermond" im obigen Sinne 1979 in einem Artikel für die Astrologiezeitschrift HOROSCOPE erfunden zu haben. Und damit ist er auch der Experte für die "Supermonde". So hat er offenbar im Jahre 2000 eine Liste mit "Supermonddaten" auf seiner Website veröffentlicht, und er betrachtet "Supermonde" noch immer in seinen Horoskopen. So auch in seinem Horoskop für die Welt im Monat März 2011, das er am 28. Februar veröffentlichte. Darin spricht er vom für ihn wichtigen "Supermond" am 19. März, er scheint aber noch nicht bemerkt zu haben, daß die Annäherung an die Erde in diesem März die Dichteste seit etlichen Jahren wird. In seinem Horoskop spricht er bereits über die Gefahr eines Erdbebens, und gibt ein beeindruckendes Beispiel für die Fähigkeiten der astrologischen Zunft. So spricht er von einem großen Risiko für Erdbeben der Stärke 5 aufwärts vom 16. bis 22. März, und von einem weniger großen, aber doch erhöhten Risiko zwischen dem 1. und 7. und dem 23. bis 26. März. Angesichts der Tatsache, daß es im Jahr typischerweise mehr als 1000 Erdbeben dieser Stärken auf der ganzen Erde gibt, hätte er eigentlich verdammt gute Chancen, bei so diffusen Vorhersagen wirklich eines zu treffen. Das schwere Beben in Japan aber war am 11. März. So gekonnt muß man also erst mal daneben liegen! Seine Fans wird's vermutlich nicht abhalten, diese "Vorhersage" als Erfolg zu feiern...

Nolles "Supermond" wurde dann auch von anderen Astrologen weitergetragen (z.B. von Kim Karson auf der Zukunftsvorhersageseite PsychicCosmos am 7. März). Aber schon am 4. März veröffentlichte das australische Nachrichtenportal news.com.au einen Artikel zum Thema, den man als ganz milde kritisch zum Supermondgetue bezeichnen kann. Dieser Artikel, von dem sich dann u.a. auch Bild später bedienen wird, scheint die entscheidende Quelle zum Thema überhaupt zu sein! Denn nur für diesen Artikel scheint tatsächlich ein Minimum an Recherche betrieben worden zu sein, und er wird von fast allen späteren Veröffentlichungen zum Thema abgeschrieben. Also lohnt es sich, ihn mal genauer anzusehen:
Er berichtet von Astrologen, die vor dem Supermond warnen würden, ohne sie allerdings tatsächlich zu nennen. Aber man kann wohl vermuten, daß Nolle und seine Fans gemeint sind. Dann hat news.com.au wohl tatsächlich bei Experten zum Thema angefragt, oder zumindest bei solchen, die sie dort für Experten hielten. So etwa wird ein Herr Pete Wheeler vom International Centre for Radio Astronomy in Australien zitiert. Seine Funktion in diesem Zentrum für Radioastronomie wird bei news.com.au nirgends erwähnt, und so auch in keinem der weiteren Artikel zum Thema. Ein Blick in die Personalliste des Zentrums verrät, daß Herr Wheeler der zuständige Mitarbeiter für die Öffentlichkeitsarbeit ist.
Dann wird noch der Australier David Reneke als "Astronom" zitiert. Herr Reneke bezeichnet sich auf seiner Hompage selbst als "Amateurastronom", was seine Tätigkeit auch besser beschreibt. Denn eine wissenschaftliche Arbeit in der Astronomie hat er bisher nie veröffentlicht, wie einem das Astrophysics Data System verrät.
Dann sprach news.com.au noch mit dem Geophysiker Victor Gostin von der Universität Adelaite. Der erwähnte wohl die hypothetische, aber völlig unbewiesene Möglichkeit, das der Mond aufgrund der Gezeitenwirkung Einfluß auf irdische Beben nehmen könnte. Damit wird er zum "Unterstützer" der Gefahrentheorie gemacht.
Alle drei Personen scheinen also wirklich zu existieren und befragt worden zu sein. Damit mag kein besonders beeindruckendes Niveau zu diesem Thema erreicht worden sein, aber immerhin gab es eine Recherche. Von hieran wird es dann wieder abwärts gehen.
Aber zuerst ist es noch festzuhalten, daß news.com.au den New England Hurricane von 1938 und die Maitland-Flut von 1955 als Beispiele (im Artikel heißt sie "Hunter-Valley-Flut") für durch einen "Supermond" verursachte Katastrophen auflistet. Und auch damit scheinen sie die ersten zu sein. Zumindest konnte ich keinerlei Nennungen dieser Katastrophen im Zusammenhang mit dem "Supermond" vor dem news.com.au-Beitrag finden. Nolle selbst gibt zwar eine Reihe von Beispielkatastrophen für seine "Supermondtheorie", aber nicht diese. Woher news.com.au sie hat, bleibt wohl ihr Geheimnis, zumal sie auch die Astrologen, über die sie spricht, nicht namentlich nennt.

Nun wird es Zeit zu sehen, wie dieses Thema in die deutschsprachigen Medien kam. Das begann zunächst wohl noch unscheinbar in der esoterisch-verschwörungstheoretisch veranlagten Szene. So taucht am 6. März ein Forumseintrag im Wächterforum zu diesem Thema auf, der sich auf die australische Zeitung Herald Sun beruft, die sich ihrerseits wieder auf news.com.au beruft. Am 8. März taucht das Thema in einem eher zweifelhaften Erdbebenblog auf, wobei nicht klar ist, woher die dort wirr wiedergegebenen Aussagen eigentlich stammen.
Am 9. März taucht der "Supermond" bei shortnews.de auf. Dieser Artikel ist der englischen Daily Mail entnommen, die sich wiederum stark, wenn auch nicht ausschließlich, bei news.com.au bedient hat.
Am 9. und 10. März dann erschien das Thema bei bild.de und news.yahoo.com. Der Artikel in news.yahoo.com geht auf die Daily Mail und auf news.com.au direkt zurück.
Bild dagegen bedient sich nur bei news.com.au (und diesmal nicht bei The Sun, denn die schreibt weniger und mit anderem Schwerpunkt). Allerdings ist man bei bild.de wohl der Meinung gewesen, den Artikel durch ein wenig Eigenleistung abändern zu müssen. So kürzt man ihn, was zu der unfreiwillig komischen Situation führt, das im Auftakt des Beitrages "ein Astronom" erwähnt wird, der im Text dann später nie wieder auftaucht (das war wohl Herr Gostin). Außerdem wurden Informationen zu den bei news.com.au erwähnten Katastrophen hinzugefügt. Beim New England Hurricane wurde die bei news.com.au fehlende Opferzahl eingebaut. Für die "Hunter-Valley-Flood" bei news.com.au wurde der synonyme Name "Maitland-Flut" verwendet und der Ort der Flut, New South Wales, wurde hinzugefügt. Alle diese Informationen findet man aber in den ersten Zeilen der Wikipedia-Einträge zu den beiden Ereignissen, so daß die Bild-Recherche nicht unzumutbar viele Minuten in Anspruch genommen haben dürfte.

Und damit haben wir es. Alles, was es noch brauchte, war ein Erdbeben mit verheerenden Folgen, und aus dem Geschwätz eines Astrologen in den USA wurde via Australien und dank yahoo.com und bild.de eine veritable Verunsicherung der Menschen und ein neues Pseudoargument für den Aberglauben. Auch die Dummheit wird globalisiert. Na danke auch.

Donnerstag, 10. März 2011

Der tödliche Supermond

Ich hatte ja die feste Absicht, über manche Dinge, die einfach zu offensichtlich vollkommen dämlich sind, hier in diesem Blog niemals zu schreiben. So etwa über Bild. Aber heute mache ich doch mal eine Ausnahme. Der Anlass ist nämlich nichts Geringeres als der drohende Weltuntergang, diesmal in Form des "Moonageddon", wie es die online-Bild beschrieben hat! Und bei einem sooo schönen Begriff, da kann man doch schon mal schwach werden! Am 19. März drohe ein Vollmond, bei dem der Mond zudem noch ungewöhnlich nahe an der Erde stünde. Vollmond - nahe an der Erde: klar, daß da Gefahr drohen muß! So sind nicht namentlich erwähnte (!) Astrologen und ein ebenso wenig namentlich erwähnter (!) Astronom irgendwie schwer in Sorge. Und auch wenn Bild sich hier ausnahmsweise mal diplomatisch einer eigenen Einschätzung der Gefahr enthält, so werden doch zumindest zwei Naturkatastrophen erwähnt, die mit einem ähnlichen "Supermond" zusammen gefallen sein sollen, wie er uns jetzt wieder droht. Also gucken wir mal nach:
Zunächst können wir uns für alle Vollmonde von 1900 bis heute mal den Abstand zur Erde besorgen (z.B. hier). Tragen wir den Abstand des Vollmondes (der übersichtlichen Zahlenwerte wegen mal als Vielfache des mittleren Erdradius angegeben) gegen die Zeit auf, dann bekommen wir folgendes Diagramm:

Man sieht, daß sich der Abstand zwischen Mond und Erde periodisch verändert, mit einem Mittelwert bei so um die 60 Erdradien und einer Abweichung von ca. 4 Erdradien um diesen Mittelwert. Der Grund liegt einfach in der nicht genau kreisförmigen Mondbahn um die Erde. Die Umlaufbahn des Mondes ist leicht elliptisch, und daher ist sein Abstand zur Erde mal etwas geringer, mal etwas größer. Eben auch bei Vollmond. Wenn man jetzt ganz genau hin sieht, dann bemerkt man, daß die minimalen Abstände bei Vollmond mit der Zeit auch ein kleines bisschen schwanken. Und eben machmal besonders gering sind. Verglichen mit der gesamten Schwankung des Mondanstandes sind diese kleinen Unterschiede aber offenbar wirklich winzig und eher von einem theoretischem Interesse. So weit, so harmlos.
Sehen wir noch nach den bei Bild erwähnten Katastrophen, des New England Hurricane vom 21. September 1938 und der Maitland-Flut vom 24. Februar 1955. Zoomen wir dazu etwas in das obere Diagramm hinein und tragen die Zeitpunkte der beiden Ereignisse mit ein:

Und schon sehen wir, daß keines der beiden erwähnten Ereignisse mit einem Vollmond bei besonders geringem Abstand zur Erde stattfand. Tatsächlich behauptet der Artikel, von dem Bild seinen Bericht übernommen hat, auch gar nicht, daß es um einen Vollmond in Erdnähe ginge, sondern einfach nur um einen Mond in Erdnähe. Und auf einer elliptischen Umlaufbahn kommt der Mond so etwa einmal im Monat in Erdnähe. Wie überraschend, daß sich da dann tatsächlich Katastrophen finden lassen, die zur Zeit eines geringen Mondabstandes passen!
Sehen wir zum Schluß auch noch nach anderen Naturkatastrophen. Sicherlich ist die Auflistung und die Wertung, was eine besonders große Katastrophe war, nicht so leicht. Der Einfachheit halber nehmen wir einfach mal alle Naturkatastrophen seit 1900, die in der Wikipedia-Liste als schwere Katastrophen aufgeführt sind (die beiden Katastrophen aus der Bild sind gar nicht dabei), und die zeitlich klar begrenzt waren. Tragen wir die mal zu den Vollmonden ein...

...dann sehen wir nichts. Keinerlei Regelmäßigkeit. Offenbar hängen Naturkatastrophen nicht mit einem besonders geringen Abstand der Erde zum Vollmond zusammen.
Vieleicht kann man also doch noch ruhig schlafen. Und mit dem einzigen "Wissenschaftsartikel" dieser Woche, der noch überflüssiger und inhaltsleerer war als die über versteinerte außerirdische Bakterien in Meteoriten, sind wir wirklich völlig fertig...


Nachtrag 11.3. (Erdbeben in Japan):
Bevor man das heutige Erdbeben in Japan mit dem "Supermond" in Verbindung bringen will, ein paar Anmerkungen.
Zum Zeitpunkt des Bebens (11.3., 6:46 MEZ) war weder Vollmond (sondern ziemlich genau Drittelmond, 33%). Noch war der Mond in Erdnähe (sondern im Gegenteil noch überdurchschnittlich weit weg: 62,23 Erdradien, verglichen mit den 55,97 Erdradien Abstand, die er am Abend des 19.3. erreichen wird.)
Also: wieder nix mit "Moonageddon"...!

Nachtrag 13.3. ("Supermond"):
Etwas mehr zum Weg der "Supermondtheorie" durch das Internet findet sich hier.