Seit Freitag hat
der Blogbeitrag zum
"Supermond" in der Bild deutlich dreistellige Zugriffszahlen, die aus Google-Suchen nach "Supermond", oft in Kombination mit Begriffen wie "Erdbeben", "Katastrophe", "Bild", "Japan" und dergleichen, hervorgehen. Und davon bin ich bass erstaunt. Denn das ein solches Interesse an diesem Thema besteht, finde ich sehr bedenklich. Offenbar ist ein kurzer, nach
Bild-Maßstäben gar nicht reißerischer Artikel auf
bild.de in der Lage, zusammen mit einem Erdbeben hunderte von Menschen so zu verunsichern, daß sie weitere Informationen zum Zusammenhang zwischen Erdbeben und "Supermond" (also einem Vollmond in Erdnähe) suchen. Und wenn ich mal davon ausgehe, daß dieses Blog nur einen kleinen Teil der Verunsicherten erfaßt, dann bekomme ich das erste Mal nicht nur eine hypothetische Angst vor der Macht von
Bild, sondern es läuft mir wirklich kalt den Rücken herunter.
Was zu tun wäre, ist eine genauere Beschreibung des "Supermondes", und warum jede Verbindung zum Erdbeben Unsinn ist. Die gibt es schon
hier. Und dann ist es interessant, mal den Weg nachzuvollziehen, den die Idee von Unglück durch einen "Supermond" genommen hat, bis sie in der
Bild ankam und damit offensichtlich eher zur Desinformation den zur Information der Leser beiträgt. Dann also mal los um die Welt!
Zuerst die Situation noch einmal in Kürze. Der Mond umläuft die Erde in etwas weniger als einem Monat auf einer ellipsenförmigen Bahn. Dabei ist er dann mal näher an der Erde, mal weiter weg. Die Bahn ist aber nicht "perfekt" konstant, so daß der geringste Abstand zur Erde auf einem Umlauf mal ein wenig größer, mal ein wenig kleiner ist. Diese Unterschiede sind aber deutlich kleiner als die "normalen" Abstandsschwankungen entlang der Umlaufbahn. Daher sollte man keine besonderen Vorkommnisse erwarten, wenn der Mond mal etwas näher an die Erde herankommt - der Unterschied ist eigentlich bloß für (Hobby-)Himmelsmechaniker interessant.
Manchmal fällt der Zeitpunkt des geringsten Abstandes zur Erde mit dem Vollmond zusammen. Dann spricht manch einer von einem "Supermond". Irgendwelche drastischen oder nicht drastischen Auswirkungen hat das aber nicht. Soweit die Lage.
Wenn man nach den Wurzeln des Begriffs "Supermond" sucht, dann gelangt man zum amerikanischen Astrologen
Richard Nolle. Alle Linkketten zum Thema enden irgendwann bei ihm. Und er behauptet auch von sich selber, das Wort "Supermond" im obigen Sinne 1979
in einem Artikel für die Astrologiezeitschrift HOROSCOPE erfunden zu haben. Und damit ist er auch der Experte für die "Supermonde". So hat er offenbar im Jahre 2000
eine Liste mit "Supermonddaten" auf seiner Website veröffentlicht, und er betrachtet "Supermonde" noch immer in seinen Horoskopen. So auch in seinem
Horoskop für die Welt im Monat März 2011, das er am 28. Februar veröffentlichte. Darin spricht er vom für ihn wichtigen "Supermond" am 19. März, er scheint aber noch nicht bemerkt zu haben, daß die Annäherung an die Erde in diesem März die Dichteste seit etlichen Jahren wird. In seinem Horoskop spricht er bereits über die Gefahr eines Erdbebens, und gibt ein beeindruckendes Beispiel für die Fähigkeiten der astrologischen Zunft. So spricht er von einem großen Risiko für Erdbeben der Stärke 5 aufwärts vom 16. bis 22. März, und von einem weniger großen, aber doch erhöhten Risiko zwischen dem 1. und 7. und dem 23. bis 26. März. Angesichts der Tatsache, daß es im Jahr typischerweise
mehr als 1000 Erdbeben dieser Stärken auf der ganzen Erde gibt, hätte er eigentlich verdammt gute Chancen, bei so diffusen Vorhersagen wirklich eines zu treffen. Das schwere Beben in Japan aber war am 11. März. So gekonnt muß man also erst mal daneben liegen! Seine Fans wird's vermutlich nicht abhalten, diese "Vorhersage" als Erfolg zu feiern...
Nolles "Supermond" wurde dann auch von anderen Astrologen weitergetragen (z.B. von Kim Karson auf der Zukunftsvorhersageseite
PsychicCosmos am 7. März). Aber schon am 4. März veröffentlichte das australische Nachrichtenportal
news.com.au einen
Artikel zum Thema, den man als ganz milde kritisch zum Supermondgetue bezeichnen kann. Dieser Artikel, von dem sich dann u.a. auch
Bild später bedienen wird, scheint die entscheidende Quelle zum Thema überhaupt zu sein! Denn nur für diesen Artikel scheint tatsächlich ein Minimum an Recherche betrieben worden zu sein, und er wird von fast allen späteren Veröffentlichungen zum Thema abgeschrieben. Also lohnt es sich, ihn mal genauer anzusehen:
Er berichtet von Astrologen, die vor dem Supermond warnen würden, ohne sie allerdings tatsächlich zu nennen. Aber man kann wohl vermuten, daß Nolle und seine Fans gemeint sind. Dann hat
news.com.au wohl tatsächlich bei Experten zum Thema angefragt, oder zumindest bei solchen, die sie dort für Experten hielten. So etw
a wird ein Herr Pete Wheeler vom International Centre for Radio Astronomy in Australien zitiert. Seine Funktion in diesem Zentrum für Radioastronomie wird bei
news.com.au nirgends erwähnt, und so auch in keinem der weiteren Artikel zum Thema. Ein Blick in die
Personalliste des Zentrums verrät, daß Herr Wheeler der zuständige Mitarbeiter für die Öffentlichkeitsarbeit ist.
Dann wird noch der Australier David Reneke als "Astronom" zitiert. Herr Reneke bezeichnet sich auf
seiner Hompage selbst als "Amateurastronom", was seine Tätigkeit auch besser beschreibt. Denn eine wissenschaftliche Arbeit in der Astronomie hat er bisher nie veröffentlicht, wie einem das
Astrophysics Data System verrät.
Dann sprach
news.com.au noch mit dem Geophysiker
Victor Gostin von der Universität Adelaite. Der erwähnte wohl die hypothetische, aber völlig unbewiesene Möglichkeit, das der Mond aufgrund der Gezeitenwirkung Einfluß auf irdische Beben nehmen könnte. Damit wird er zum "Unterstützer" der Gefahrentheorie gemacht.
Alle drei Personen scheinen also wirklich zu existieren und befragt worden zu sein. Damit mag kein besonders beeindruckendes Niveau zu diesem Thema erreicht worden sein, aber immerhin gab es eine Recherche. Von hieran wird es dann wieder abwärts gehen.
Aber zuerst ist es noch festzuhalten, daß news.com.au den New England Hurricane von 1938 und die Maitland-Flut von 1955 als Beispiele (im Artikel heißt sie "Hunter-Valley-Flut") für durch einen "Supermond" verursachte Katastrophen auflistet. Und auch damit scheinen sie die ersten zu sein. Zumindest konnte ich keinerlei Nennungen dieser Katastrophen im Zusammenhang mit dem "Supermond" vor dem news.com.au-Beitrag finden. Nolle selbst gibt zwar eine Reihe von Beispielkatastrophen für seine "Supermondtheorie", aber nicht diese. Woher news.com.au sie hat, bleibt wohl ihr Geheimnis, zumal sie auch die Astrologen, über die sie spricht, nicht namentlich nennt.
Nun wird es Zeit zu sehen, wie dieses Thema in die deutschsprachigen Medien kam. Das begann zunächst wohl noch unscheinbar in der esoterisch-verschwörungstheoretisch veranlagten Szene. So taucht am 6. März ein Forumseintrag im
Wächterforum zu diesem Thema auf, der sich auf die australische Zeitung
Herald Sun beruft, die sich ihrerseits wieder auf
news.com.au beruft. Am 8. März taucht das Thema in einem eher
zweifelhaften Erdbebenblog auf, wobei nicht klar ist, woher die dort wirr wiedergegebenen Aussagen eigentlich stammen.
Am 9. März taucht der "Supermond" bei
shortnews.de auf. Dieser Artikel ist der englischen
Daily Mail entnommen, die sich wiederum stark, wenn auch nicht ausschließlich, bei
news.com.au bedient hat.
Am 9. und 10. März dann erschien das Thema bei
bild.de und
news.yahoo.com. Der Artikel in news.yahoo.com geht auf die Daily Mail und auf
news.com.au direkt zurück.
Bild dagegen bedient sich nur bei
news.com.au (und diesmal nicht bei
The Sun, denn die schreibt weniger und mit anderem Schwerpunkt). Allerdings ist man bei
bild.de wohl der Meinung gewesen, den Artikel durch ein wenig Eigenleistung abändern zu müssen. So kürzt man ihn, was zu der unfreiwillig komischen Situation führt, das im Auftakt des Beitrages "ein Astronom" erwähnt wird, der im Text dann später nie wieder auftaucht (das war wohl Herr Gostin). Außerdem wurden Informationen zu den bei
news.com.au erwähnten Katastrophen hinzugefügt. Beim New England Hurricane wurde die bei
news.com.au fehlende Opferzahl eingebaut. Für die "Hunter-Valley-Flood" bei
news.com.au wurde der synonyme Name "Maitland-Flut" verwendet und der Ort der Flut, New South Wales, wurde hinzugefügt. Alle diese Informationen findet man aber in den ersten Zeilen der Wikipedia-Einträge zu den
beiden Ereignissen, so daß die
Bild-Recherche nicht unzumutbar viele Minuten in Anspruch genommen haben dürfte.
Und damit haben wir es. Alles, was es noch brauchte, war ein Erdbeben mit verheerenden Folgen, und aus dem Geschwätz eines Astrologen in den USA wurde via Australien und dank yahoo.com und bild.de eine veritable Verunsicherung der Menschen und ein neues Pseudoargument für den Aberglauben. Auch die Dummheit wird globalisiert. Na danke auch.