Mittwoch, 23. November 2011

Another way to die

Die Menschheit steht vor einer neuen Bedrohung.
Der Himmel fällt ihr auf den Kopf. Und zwar im 21. Jahrhundert in Form von abstürzenden Satelliten.
Im September war es der US-amerikanische Satellit UARS, der Furcht und Schrecken verbreitete. Die liebste Schlagzeile: "Italienische Behörden warnen vor Aufenthalt im Freien" (Spiegel Online). Aber auch andere berichteten brandaktuell (z.B. [1][2][3][4]), und das Katastrophenfachblatt Bild lief schon mal zur leichten Wir-müssen-alle-sterben-Form auf ("Er könnte auch Menschen treffen" "Große Sorge bei der Nasa: Ende des Monats könnte Weltraum-Schrott so groß wie ein Schulbus ungebremst auf die Erde stürzen und mit zerstörerischer Gewalt eine Stadt treffen.").
Im Oktober dann der nächste Todeskandidat, der deutsche Satellit ROSAT. Meine liebste Schlagzeile hier: "Riesentrümmer fallen auf die Erde" (Focus Online). Auch hier waren alle mit dabei beim Berichten (z.B. [1][2][3][4]), und Bild kam schon mal auf mittlere Katastrophenform und spendierte auch Ausrufezeichen ("Wieder werden Trümmer unkontrolliert zur Erde rasen!", "1,6-Tonnen-Geschoss kann morgen Deutschland treffen").
Ja, und jetzt, jetzt haben wir die russische Sonde Phobos-Grunt, die auf die Erde zu stürzen droht. Was ist nur los? Wieso schweben wir plötzlich in Gefahr, von scharfen, mit Hunderten von Stundenkilometern aus dem All auf uns herniedersausenden Metallteilen erschlagen und in Stücke geschnitten zu werden? Fallen plötzlich lauter Satelliten herunter? Beginnt gar die Apokalypse, wenn die Sterne vom Himmel herab fallen wie die Feigen vom Baum (Offb 6, 13)?
Bestimmt.
Wenn man sich auf dem Laufenden halten will, was so alles an Menschengemachtem aus dem All herniederkommt, dann kann man das z.B. auf den Seiten des Center for Orbital and Reentry Debris Studies der Aerospace Corporation tun. Und man sieht, daß ständig Schrott aus dem All abstürzt. Den größten Teil machen zurückfallende Raketenstufen aus, aber in diesem Jahr sind bereits auch sieben mehr oder weniger große Satelliten mehr oder weniger geplant heruntergekommen (Kosmos 2388, UARS, ROSAT, Rasad 1, WIRE, TacSat 2 und Molniya 3). Das ist die gleiche Anzahl wie 2010 (LDREX 2, CHAMP, ICESat, Genesat, LDREX, Dragonsat und Solar Cell), 2009 waren es fünf. Und so fort. Neu ist das Phänomen natürlich auch nicht gerade. Offenbar hat die Presse endlich ein neues schönes Katastrophenthema gefunden.
Dumm ist an diesem Thema nur, daß zwar in Deutschland jedes Jahr Tausende Menschen im Straßenverkehr ihr Leben lassen, seit Beginn der Raumfahrt aber noch nicht ein Mensch von einem herabstürzenden Satelliten getötet wurde. Da muß man, will man die Spannung nach den ebenfalls harmlosen Abstürzen von UARS und ROSAT halten, noch ein bisschen mehr am Rad drehen. Erwartungsgemäß war Bild da bei Phobos-Grunt ganz vorne:
"Stürzt die russische Gift-Sonde zur Erde?" Aber auch andere waren alarmiert, die taz überschrieb ihren Artikel mit "Radioaktives Kobalt an Bord", nur um im Text dann den Experten zu zitieren, daß eigentlich keine Gefahr besteht. Das Handelsblatt wußte gestern: "Sie hat rund elf Tonnen hochgiftigen Treibstoff sowie radioaktives Material an Bord." und n-tv fürchtet sich schon länger: "An Bord befinden sich giftiger Treibstoff und radioaktives Material."
Also alles ganz furchtbar, da helfen auch keine beruhigenden Expertenkommentare, radioaktives Material ist nun mal radioaktives Material. Daß es sich dabei nicht um irgendeine hochradioaktive Energieversorgung, sondern um eine winzige Probe zur Kalibration eines Instruments handelt (das Neutronen- und Gammastrahlenspektrometer NS-HEND, vermute ich) und in Hinblick auf Gefährlichkeit in einer Liga mit den radioaktiven Proben spielt, die im Schulunterricht zum Experimentieren verwendet werden, scheint da keine Rolle zu spielen.
Und was den Treibstoff angeht? Ja, der Antrieb von Phobos-Grunt besteht aus einer modifizierten Fregat-Stufe und wird mit den beiden wirklich ekligen Stoffen UDMH (1,1-Dimethylhydrazin, Giftig beim Einatmen und Verschlucken, ätzend, leicht entzündlich und krebserregend) und Distickstofftetroxid (Sehr giftig beim Einatmen, ätzend, brandfördernd) angetrieben. Nur werden die Tanks mit diesen Chemikalien es niemals unbeschadet bis zur Erde schaffen. Sie werden in großer Höhe auseinanderbrechen und der Inhalt wird verbrennen. Bis zum Erdboden wird es kaum etwas davon schaffen.
Bleibt also allein die Gefahr durch die herunterfallenden Metallteile. Aber ganz ehrlich, da ist die Gefahr größer, von einem Affen mit einer Kokosnuß erschlagen zu werden.

4 Kommentare:

  1. Und was ist mit der Gefahr, durch Dihydrogenmonoxid getroffen zu werden, einer farblosen Chemikalie, die mit hoher Geschwindigkeit die Atmosphäre durchdringt und ungebremst den Menschen treffen kann? Das sollte man aber auch schnellstens verbieten!

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  2. Erst Atome im Wasser, dann Gene im Essen, und jetzt auch noch das! Da muß schnell und entschlossen gehandelt werden, ganz klar!

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  3. Kennst du eigentlich Phil Plaits 'Bad Astronomy'-Seite? Ist nicht mehr ganz neu, sieht nicht besonders dolle aus, aber sehr unterhaltsam (www.badastronomy.com)

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  4. Ja, Bad Astronomy ist wirklich nett...!

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