Freitag, 15. Juli 2011

Reflexionen zur Ortokrafih

Ein anonymer Leser hat zum Post Das schwarze Fanal eine schöne Bemerkung bezüglich meiner Kommasetzung und der Verwendung der Phrase "macht Sinn" hinterlassen. Dieser Kommentar hat mich, vermutlich in Verbindung mit der Tatsache, daß ich inzwischen seit gut 29 Stunden nicht mehr geschlafen habe, zu so vielen Gedanken angeregt, daß ich sie nicht mehr in einem Antwortkommentar unterbringen kann. Also mache ich mal einen eigenen Post daraus:

Grundsätzlich habe ich es gar nicht so mit Rechtschreibung und Zeichensetzung. Ich war nie gut darin und habe auch nie Ehrgeiz entwickelt, darin besser zu werden. Ich nehme sie wohl einfach nicht so ernst. Und obwohl wahrscheinlich 90% meiner Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler auf Ahnungslosigkeit und Schlampigkeit zurückgehen, so gibt es doch ein paar Fälle, in denen ich bei vollem Bewusstsein gegen die mir bekannten Regeln verstoße. Und ein solcher Fall ist z.B. das letzte Komma im Schwarzen Fanal, in der Aufzählung (alle anderen eventuell überzähligen Kommas gehen nur auf Schlampigkeit und Unwissenheit zurück). Man mag es mir glauben oder nicht, aber hier wußte ich, daß regelgemäß kein Komma vor das "und" der Aufzählung gehört. Aber an dieser Stelle der Aufzählung gehört für mich eine ganz kurze Unterbrechung des Leseflusses, vielleicht nur für eine halbe Sekunde. Womöglich könnte man mir vorhalten, ich hätte in einem solchen Fall einen Gedankenstrich setzten sollen. Aber ein Gedankenstrich wäre zu stark gewesen, er hätte den letzten Punkt der Aufzählung, das Bierdeckelsammeln, gegenüber den anderen beiden Punkten betont. Dabei sollen alle gleichberechtigt sein, nur soll man eben zwischen jedem Punkt der Aufzählung gedanklich einen ganz kurzen Absatz machen. Das geht nun mal am besten mit dem Komma, also was interessiert mich die Regel hier?
Einen anderen Fall, in dem ich absichtlich gegen die Rechtschreibregeln verstoßen habe, findet sich im Wissenschaftsjournalismus für Dummies. Zugegeben war dieser Post von mir mit Fehlern gespickt, aber das systematische Kleinscheiben der Anrede "sie" war ganz absichtlich. Persönlich mag ich es sehr, "Sie" großzuschreiben, und ich schreibe auch "Du" immer groß, obwohl man das offiziell eigentlich nicht mehr macht? In diesem Text aber hätte ein großes "Sie" übertrieben gewirkt. Der Text sollte auf Augenhöhe mit dem imaginären Adressaten geschrieben sein, und "Sie" hätte diesen Eindruck gestört. Also bleib es beim falschen kleinen "sie".

Offensichtlich halte ich die Rechtschreibung und Zeichensetzung nicht für eine Heilige Kuh, deren Regeln man sich zu fügen hat, "weil man das nunmal so macht". Ich bin nicht nur juristisch frei, hier so zu schreiben, wie immer ich will, sondern ich halte auch nichts vom Regelbefolgen um seiner selbst willen. Und das gilt eigentlich nicht nur für Orthografie. Letztlich sollte jede Regel einem Zweck dienen, der die Regel rechtfertigt. Wenn die Befolgung einer Regel aber im Einzelfall nicht der Erfüllung dieses Zweckes dient, dann verliert diese Regel in diesem Fall ihre Berechtigung. Ich will es mal von der Rechtschreibung auf eine ganz große Ebene heben: Das Verbot des Mordens ist unerläßlich für eine freie, funktionierende Gesellschaft. Wenn aber ein Tyrann die freie Gesellschaft bedroht, dann hat das Mordverbot seinen Sinn verloren, und der Tyrannenmord ist, eben im Einzelfall des Tyrannen, ein akzeptabler Verstoß gegen das Verbot des Mordens. Oder nicht?
Aber bleiben wir lieber bei der Sprache. Letztlich ist unsere heutige Rechtschreibung und Zeichensetzung aus einer Jahrhunderte überspannenden Serie von Regelverstößen entstanden ("C" in manchen Worten wurde modisch zu "K" und jetzt wider zu "C") erwachsen. Warum sollte man sich also zu sklavisch an sie halten, solange der Sinn, also die Lesbarkeit, erhalten bleibt? Und das leitet auch gleich zum letzten Punkt über: "Das macht Sinn". Ich persönlich teile hier die Abneigung des anonymen Lesers gegen diese Formulierung und versuche, sie so gut es geht zu vermeiden. Und das ist nicht so leicht, denn sie hat sich schon weit in den Sprachgebrauch eingeschlichen. Letztlich aber ist auch hier der Kampf gegen den neuen Sprachgebrauch sinnlos. Wenn diese Redewendung einfach benutzt wird, wird sie sich durchsetzten und irgendwann völlig normal sein, so wie es mit andere Wendungen zuvor auch schon geschah.
Im Schwarzen Fanal allerdings taucht diese Wendung nicht als versehen, sondern auch wieder ganz absichtlich auf. Denn die Konservativen in Deutschland bedienen sich selbst ganz schamlos an den Errungenschaften der "Linken": Da vertritt die CDU/CSU Jahrzehnte lang ein Frauen-in-die-Küche-Weltbild und stellt dann letztlich dank des von ihnen verabscheuten Feminismus die erste Bundeskanzlerin. Da stemmen sich die langhaarigen Langzeitstudenten Jahrzehnte lang gegen die Atomenergie, und die CDU steigt dann aus der Atomenergie aus und verkauft Naturschutz plötzlich als konservativen Wert. Und ob nun noch schwule oder geschiedene Politiker, überall profitiert der konservative Flügel von den Kämpfen von Ökos, Schwulenaktivisten, Feministinnen, 68ern und artverwandten Staatsfeinden. Und dieses Aufgreifen des Modernen durch das Konservative sollte irgendwie noch mit in den Text. Also bekommt der konservative Publizist eine moderne, gänzlich "undeutsche" Phrase in den Text gelegt - eben das "macht Sinn" als wörtliche Übernahme aus dem Englischen. Das mag jetzt intellektuell kein großer Wurf des Autors sein, unbedacht aber war er immerhin nicht!
So, und jetzt wende ich mich mal wieder meinen partiellen Differentialgleichungen zu...! ;-)

6 Kommentare:

  1. Schlampigkeit bei der Rechtschreibung kann den Leser aber betrüben, und seiner Lesefreude Einbußen bescheren. Ein guter Text, der in schlampiger Rechtschreibung einherkommt, ist wie ein schönes Mädchen mit einem ungewaschenen Hals.

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  2. Ein sehr schönes Bild! Allein, ich bin wohl zu sehr Platonist um an der Rechtschreibung zu leiden. Ein guter Text besteht aus guten Gedanken, und die werden nicht von solch banal Irdischem wie Buchstaben und ihrer Anordnung berührt. (Wobei, zugegeben, der Spass aufhört wenn der Text nicht mehr lesbar ist!)

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  3. @Thomas: du meinst 'Platoniker", nehme ich an?

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  4. @ letzter Anonym:

    Das ist er wieder, der negative Einfluss der englischen Sprache! :-)

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  5. Solange es keine schlimmeren OrthograViechereien sind ...

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  6. Lasst die Sprache bloß nicht zu viel Einfluss über euch gewinnen!
    Vorallem solltet ihr euch nicht auf Grund besserer Sprachkenntnisse Gedanken widersetzen. :)

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