Montag, 13. September 2010

An Gott glauben und nicht Briefmarken sammeln

Ein beliebter Vorwurf der Gläubischen an die Gottlosen ist, daß Atheismus auch nur eine andere Art von Glauben sei. Und dieser Vorwurf ist so falsch leider auch wieder nicht. Die beliebteste und scheinbar sofort einleuchtende Erwiderung der Atheisten ist dann der Vergleich "Atheismus ist genauso ein Glaube, wie nicht-Briefmarkensammeln ein Hobby ist". Dabei wird aber ein kleiner Unterschied außer Acht gelassen. In der Tat ist nicht zu glauben, daß Gott existiert, genauso wenig ein Glaube wie nicht-Briefmarkensammeln ein Hobby ist. Aber zu glauben, daß Gott nicht existiert, ist sehr wohl ein Glaube. Und er ist gar nicht mit dem nicht-Briefmarkensammeln zu vergleichen, sondern eher mit der ungewöhnlichen Neigung, Briefmarken zu vernichten. Und das wäre ja wohl schon so eine Art Hobby. Nun mag so manch ein Atheist vorschnell einwenden, daß nicht zu glauben, daß Gott existiere, und zu glauben, daß Gott nicht existiere, dasselbe und gar logisch gleichwertig seien. Ist es aber nicht. Bisher habe ich dies nur salopp behauptet, aber es lohnt sich vieleicht, sich dieser Angelegenheit mal systematisch zu widmen. Dazu muß ich ein bisschen ausholen, dies wird also wieder einer jener langatmigen theoretischen Texte... Aber dennoch:

Beginnen wir mal mit dem einfacheren Satz Gott existiert bzw. Gott existiert nicht, um die Grundgegriffe klar zu machen. Dabei lernt man zwar noch nicht viel Neues, aber die Umstände helfen nachher, den etwas kompizierteren Satz Ich glaube, daß Gott existiert in all seien Varianten zu analysieren.

Den Satz Gott existiert kann man, wie (fast) alle Sätze, zerlegen in das, was man den "propositionalen Gehalt" und das "bejahende Moment" nennt. Der propositionale Gehalt ist schlicht "daß Gott existiert". Dies ist quasi die Aussage des Satzes. Das bejahende Moment ist schlicht die Behautung, daß der propositionale Gehalt der Fall ist. Also, knapp gesagt, wird der Satz Gott existiert zum formalen Satz Es ist der Fall, daß Gott existiert. Wenn man Sätze auf diese Weise formal in ein bejahendes Moment und einen propositionalen Gehalt zerlegt, dann fallen einem kleine aber entscheidende Unterschiede auf. Der propositionale Gehalt daß Gott existiert ist kein vollständiger Satz, und zwar nicht nur in grammatischer Hinsicht, sondern auch in logischer. Denn er hat im Gegensatz zu einem vollständigen (Aussage)satz keinen Wahrheitswert. Daß Gott existiert ist weder wahr noch falsch, genauso wenig wie irgendein anderer propositionaler Gehalt, die umgangssprachlich alle eine daß-Form haben: daß es regnet, daß es Montag ist, etc. Einen Wahrheitswert kann man erst einem Satz zuordnen, der z.B. entsteht, wenn man ein bejahendes Moment hinzufügt, etwa Es ist der Fall, daß Gott existiert oder Es ist der Fall, daß es regnet. Und dieses Fehlen eines Wahrheitswertes von propositionalen Gehalten wird an einem anderen wichtigen Punkt deutlich: sie können ähnlich wie ein "Gegenstand" in Sätzen verwendet werden, indem ihnen eine Eigenschaft zugeordnet wird: Es ist unangenehm, daß es regnet, oder Es ist schön, daß Gott existiert. Dies sind dann wieder vollständige Sätze, die formal in ein bejahendes Moment und einen propositionalen Gehalt aufgespalten werden können. So muß es dann formal heißen Es ist der Fall, daß es unangenehm ist, daß es regnet, oder Es ist der Fall, daß es schön ist, daß Gott existiert. Diese Eigenschaft eines propositionalen Gehalts, selber "Gegenstand" eines Satzes zu sein, wird nachher wichtig werden. Erst aber noch ein wenig Vorarbeit zur Verneinung.

Wie lautet die Verneinung von Es ist der Fall, daß Gott existiert? Zwei Möglichkeiten könnte man sich denken: Es ist nicht der Fall, daß Gott existiert und Es ist der Fall, daß Gott nicht existiert. D.h., man könnte entweder das bejahende Moment oder den propositionalen Gehalt verneinen. Würde man das bejahende Moment verneinen, dann würde man aber keinen Aussagesatz mehr haben, denn der kommt ja gerade durch das bejahnede Moment zustande. Da aber auch eine Verneinung eines Aussagesatzes wieder ein Aussagesatz sein soll, muß der propositionale Gehalt verneint werden. Es muß also richtig verneint heißen: Es ist der Fall, daß Gott nicht existiert.

So, noch eine Bemerkung zur Nomenklatur, dann können wir uns dem komplizierteren Satz Ich glaube, daß Gott existiert zuwenden. Den propositionalen Gehalt eines Satzes nennen wir im Folgenden der Einfachheit halber einen "Sachverhalt".
Die Zuordnung einer Eigenschaft nennen wir ein "Prädikat". Ein Prädikat wäre also Beispielsweise "rot sein" oder "glauben". Prädikate können unterschiedlich viele Argmente haben. Das Prädikat "rot sein" akzeptiert nur ein Argument, z.B. Blut: "Blut ist rot". "glauben" akzeptiert zwei Argumente, nämlich denjenigen, der etwas glaubt, und das, woran er glaubt. Also beispielsweise "ich" und "Gott": "Ich glaube an Gott".
Jetzt können wir also kurz und klar sagen, daß Sachverhalte Argumente von Prädikaten sein können. Das ist es, was mit dem Es ist unangenehm, daß es regnet veranschaulicht war. Alle Argumente von Prädikaten, die keine Sachverhalte sind, seinen kurz "Gegenstände" genannt.

Jetzt also endlich zum Ich glaube, daß Gott existiert. Hier haben wir den Fall, daß ein Sachverhalt (daß Gott existiert) das Argument eines Prädikats (glauben) ist. Das andere Argument des Prädikats glauben ist der Gegenstand ich.
Wenn wir den Satz Ich glaube, daß Gott existiert in seinen Sachverhalt und sein bejahendes Moment aufspalten, sehen wir sofort, wie er richtig verneint wird, nämlich indem sein Sachverhalt verneint wird: Es ist der Fall, daß ich glaube, daß Gott existiert wird verneint zu Es ist der Fall, daß ich nicht glaube, daß Gott existiert. Und das ist alles. Daß Gott existiert wird dabei nicht verneint, denn es ist ja selber das Argument eines Prädikats, nämlich des glauben. Und wenn ich dieses Argument verändere, dann bekomme ich einen anderen Satz, und nicht nur die Verneinung des Satzes. Man mag sich vor Augen führen, was passiert, wenn das Argument in einem Satz, den des zu Verneinen gilt, kein Sachverhalt, sondern ein Gegenstand wäre. Also etwa Es ist der Fall, daß Blut rot ist, was verneint zu Es ist der Fall, daß Blut nicht rot ist. Aber an dem Argument "Blut" im Prädikat "rot sein" darf ich nichts ändern. Mit diesem Satz kann ich nur etwas über Blut aussagen, aber über nichts anderes. Warum sollte dies anders sein, wenn das Argument ein Sachverhalt ist? Ich kann nur etwas über den Sachverhalt daß Gott existiert aussagen, aber nichts über irgendeinen anderen Sachverhalt, auch nicht über seine Verneinung daß Gott nicht existiert. Denn damit würde ich zu einem anderen Satz mit einem anderen Argument im Prädikat übergehen, also über etwas anderes reden.

Vieleicht ist dieses Argument zu abstrakt, zu grundsätzlich? Vieleicht sind Sachverhalte doch etwas anderes als Gegenstände, wenn es um die Verneinung geht? Gut, sehen wir uns noch mal im Detail und konkret an, ob Ich glaube nicht, daß Gott existiert und Ich glaube, daß Gott nicht existiert äquivalent sind. Wenn sie es wären, dann müsste man die beiden Sätze in jeder logischen Verbindung mit anderen Sätzen gegeneinander vertauschen dürfen, ohne daß sich an der Aussage und dem Wahrheitswert der logischen Verbindung irgend etwas ändern würde. Nehmen wir erst mal ein weniger abstraktes Beispiel als den Glauben an Gott. Nehmen wir stattdessen mal den Satz Ich sehe nicht, daß es regnet und entsprechend Ich sehe, daß es nicht regnet.
Ohne Zweifel können beide Sätze gleichzeitig wahr sein, und daher kann auch ihre logische Verbindung mit "und" wahr sein. Nehmen wir als dritten Satz mal Ich sehe nicht, daß es nicht regnet hinzu. Nun kann dieser Satz nicht gleichzeitig mit dem Satz Ich sehe, daß es nicht regnet wahr sein, denn sie widersprechen sich ja gegenseitig. Aber wie ist es mit der Verbindung mit dem Satz Ich sehe nicht, daß es regnet? Hier ist es doch möglich, daß beide Sätze gleichzeitig wahr sind, etwa dadurch, daß ich gar nichts sehe. Also kann ich Ich sehe nicht, daß es regnet durch "und" mit dem Satz Ich sehe nicht, daß es nicht regnet verbinden, und dadurch einen wahren zusammengesetzten Satz erhalten: Ich sehe nicht, daß es regnet und ich sehe nicht, daß es nicht regnet. Mit diesem zusammengesetzten Satz haben wir also einen Fall, in dem man den Satz Ich sehe nicht, daß es regnet nicht durch den Satz Ich sehe, daß es nicht regnet ersetzen kann, ohne sinnlos zu werden.

Und mit den Sätzen Ich glaube nicht, daß Gott existiert und Ich glaube, daß Gott nicht existiert ist es natürlich genauso. Ich glaube nicht, daß Gott existiert und Ich glaube nicht, daß Gott nicht existiert können durchaus gleichzeitig wahr sein. Man könnte z.B. annehmen, daß ich als Kind eines Naturvolkes noch nie etwas vom Gott, von dem hier die Rede ist, gehört habe, und ich daher gar keinen Glauben in dieser Hinsicht haben kann. Oder selbst, wenn ich mit dem Begriff "Gott" vertraut bin, so muß ich deshalb noch keinen Glauben oder Unglauben haben. Schließlich kann ich beim Werfen einer Münze durchaus sagen, daß ich nicht glaube, daß das Ergebnis "Kopf" sein wird, und daß ich nicht glaube, daß das Ergebnis nicht "Kopf" sein wird. Hier halte ich schlicht beides für völlig gleich möglich.
Also ist Ich glaube nicht, daß es Gott gibt und ich glaube nicht, daß es Gott nicht gibt ein durchaus sinnvoller und möglicherweise sogar wahrer Satz. Ersetze ich den ersten Teil dieses zusammengesetzten Satzes aber durch Ich glaube, daß es Gott nicht gibt, dann bekomme ich einen sinnlosen und unmöglich wahren Satz. Also können die beiden fraglichen Sätze in der Tat unmöglich logisch äquivalent sein.

So, nach langer Rede sollte damit sowohl theoretisch als auch praktisch hinreichend erklärt sein, daß Ich glaube nicht, daß es Gott gibt und Ich glaube, daß es Gott nicht gibt zwei verschiedene Sätze sind, bei dem die Aussage des zweiten über die des ersten hinaus geht. Und der erste Satz ist in der Tat eine vernünftige Ablehnung des Gottesglaubens. Der zweite Satz bringt selber wieder einen Glauben zum Ausdruck, und handelt sich damit zu Recht den Vorwurf ein, "auch nur eine Art Religion zu sein".

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