Anläßlich der Verleihung des Hegel-Preises für die Mißachtung der Logik 2013
von Thomas Steinschneider
Meine Damen, meine Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
Der
diesjährige Hegel-Preis für die Mißachtung der Logik gibt Anlass, uns mit einem emotionalen und aus dem öffentlichen Bewusstsein häufig verdrängtem Thema auseinanderzusetzen - dem Thema Prostitution. Man dürfte nur wenige andere menschliche Beschäftigungen finden, die ähnlich weit in die Vergangenheit unserer Spezies zurückverfolgt werden können wie die Prostitution. Seitdem es schriftliche Aufzeichnungen des menschlichen Lebens gibt, so lange gibt es schriftliche Belege für die Prostitution. Und so hartnäckig diese ihren Platz in der menschlichen Zivilisation behauptet, so hartnäckig wird sie durch die Geschichte hindurch bekämpft. Sei es, daß die den göttlichen Willen verletzen würde oder die Würde der Frau an sich, sei es, daß sie die Moral, die Familie, die Volksgemeinschaft zersetzen würde oder zur Verbreitung von Krankheiten beitragen - wer wollte, der fand noch immer ein seinem Weltbild entsprechendes Argument, um gegen die Prostitution zu Felde zu ziehen. Um in diesem endlosen Strom des käuflichen Geschlechtsverkehrs und seiner Anfeindungen den Beitrag der diesjährigen Preisträgerin des Hegel-Preises für die Mißachtung der Logik einordnen und würdigen zu können, wollen wir ein wenig in die Vergangenheit zurückgehen.
In den letzten Siebzigerjahren, zu einer Zeit, als Frau Schwarzer als Korrespondentin in Paris weilte, schrieb der Mann Paul Feyerabend:
"Und wo Argumente doch eine Wirkung zu haben scheinen, da liegt es öfter an ihrer physischen Wiederholung als an ihrem semantischen Gehalt. Hat man dies einmal zugestanden," - Und lassen Sie mich hier einschieben: wer wollte das nicht zugestehen? Man möge nur einen Moment in sich gehen und sich Fragen, ob die Homöopathie, das Christentum, die Vorratsdatenspeicherung oder die Große Koalition existieren, weil inhaltlich so überzeugende Argumente für sie sprechen würden? Hat man dies also einmal zugestanden,
"so muß man auch die Möglichkeit nicht argumentbedingter Einstellungsänderungen beim Erwachsenen wie auch den (theoretischen Teilen der) Institutionen wie Wissenschaft, Religion, Prostitution u.s.w. zugeben."
Gerade dies ist die Stelle, an der das Wirken der diesjährigen Hegel-Preisträgerin im theoretischen Teil der Institution der Prostitution ansetzt. Denn Frau Schwarzer hat erkannt: Wer die Prostitution überwinden will, der muß die Semantik überwinden! Sehen wir uns also die
preiswürdigen Leistungen Frau Schwarzers in dieser Hinsicht einmal etwas genauer an.
Zunächst muß die enorme Beweglichkeit, die schnellen Reflexe und die Anpassungsfähigkeit in der Argumentation der Preisträgerin bewundert werden. So schafft sie es beispielsweise, statistische Aussagen zu manchen, um die Schlechtigkeit des Prostitutionsgesetzes zu belegen. Konfrontiert mit der Feststellung, ihre statistischen Aussagen seien, nun ja, eher sowas wie
gefühlte Fakten, nimmt sie die Zweifelhaftigkeit ihrer eigenen Aussage als weiteren Beleg für die Schlechtigkeit des Prostitutionsgesetzes. Diese für sich genommen schon erstaunliche, geradezu atemberaubende Flexibilität der Argumentation entfaltet ihre vollständige und heute in dieser feierlichen Runde zu würdigende Wirkung in der Kombination mit einer weiteren, für sich genommen nicht neuen Strategie. Ich spreche natürlich von der Verwendung eines Begriffes mit unterschiedlichen Bedeutungen innerhalb einer Argumentationskette. Diese bei den Freunden ergebnisorientierten Denkens und exotischer Schlußfolgerungen schon lange beliebte Technik verwendet Frau Schwarzer meisterhaft beim Begriff der Geschlechter,
Frau und
Mann.
Zunächst einmal mag der größere, naive Teil der Bevölkerung annehmen, Frau und Mann seien durch gewisse biologische Merkmale charakterisiert, seien es nun Muschi, Puller oder Chromosomensatz. Dies mögen wir als die biologische Definition der Geschlechter bezeichnen. Nun hat der Feminismus völlig richtig festgestellt, daß den Geschlechtern von der Gesellschaft umfangreiche Verhaltens- und Denkweisen zugeschrieben werden. Diese legen gewissermaßen sozial bestimmte Geschlechterrollen für Frauen und Männer fest. Nun gefiel es aber, nicht einfach von den biologischen Geschlechtern aufgeprägte Rollen zu sprechen, sondern von der
sozialen Konstruktion von Geschlechtern. Mithin kommt es zu einer zweiten Geschlechterdefinition, dem
sozialen Geschlecht. Und wie nicht anders zu erwarten, gehen die biologische und die soziale Definition des Geschlechts munter durcheinander. Wird die Gleichbehandlung von Frau und Mann eingefordert, so bezieht sich dies natürlich auf die biologischen Geschlechter. Sozial konstruierte Frauen und Männer kann man schließlich nicht gleich behandeln, da sie ja das
Resultat einer Ungleichbehandlung sind. Wird hingegen die Aufhebung der Geschlechter gefordert, so geht es selbstverständlich nicht darum, mit Röntgenstrahlen und Skalpell gegen die Biologie anzukämpfen, sondern um die Geschlechter im sozialen Sinne.
Dieses Reservoir der Verwirrung ist es nun, das Frau Schwarzer mit ihrer flexiblen Argumentationsweise aufs trefflichste kombiniert. So beginnt sie in ihrem Beitrag für den Hegel-Preis 2013:
"Die ganze Prostitution ist ein dunkles Kapitel und liegt wie ein schwerer Schatten über dem Verhältnis der Geschlechter. Frauen sind das käufliche Geschlecht – und Männer die (potenziellen) Käufer."
An späterer Stelle sieht sich sich dann veranlasst, an dieser Stelle nicht vom biologischen, sondern vom sozialen Geschlecht gesprochen zu haben:
"Es ist in der Tat keine Frage des biologischen Geschlechtes, sondern eine des Machtverhältnisses, in dem Menschen zueinander stehen."
Interessant ist hier, daß das soziale Geschlecht offenbar durch das Machtverhältnis gegeben zu sein scheint: Eine soziale Frau steht im Machtgefälle unten, ein Mann im sozialen Sinne des Wortes oben. Mithin scheint Frau Schwarzer gar nicht für Frauen und gegen Männer zu kämpfen, sondern schlicht gegen Machtgefälle, für eine in jeder Hinsicht egalitäre Gesellschaft? Nun ist kein Gedanke absurder, als daß sich die geschätzte Preisträgerin für Machtgefälle jenseits des biologischen Geschlechterverhältnisses interessieren würde. Und so kämpft Frau Schwarzer für biologische Frauen und gegen biologische Männer, außer, dieses Konzept wird argumentativ unbequem. Dann kämpft sie auch schon mal für soziale Frauen und gegen soziale Männer, unabhängig vom biologischen Geschlecht, wie eben in der Prostitutionsfrage. Allerdings kämpft sie auch schon mal für soziale Männer, sofern diese biologische Frauen sind, etwa wenn es um mehr Frauen in Führungspositionen geht. Für biologischen Frauen, die auch soziale Frauen sind, wird aber nicht gekämpft, wenn sie selbst im Machtverhältnis der soziale Mann ist, z.B. dann wenn sie eigene Mitarbeiterinnen niederputzt. Kurzum, jeder Versuch, Ziele und Argumentationen der Preisträgerin mit dem Maß der Logik zu messen, sind zum Scheitern verurteilt. Und gerade hierin haben wir den völlig zu Recht mit dem Hegel-Preis gewürdigten Kern der Schwarzer'schen Leistungen freigelegt: Der bewunderungswürdigen Frau Schwarzer gelingt es, die Logik zu mißachten, indem sie aktive Strategien zur Vermeidung einer Angriffsfläche für die Logik entwickelt. So gelingt es ihr, ein weltanschauliches und argumentatives Gerüst zu errichten mit der Strukturierung und Tragfähigkeit einer Qualle im Säurebad. Dies sollte unsere Hochachtung verdienen. Denn schließlich, wer braucht Logik, wenn er sie Moral auf seiner Seite hat? Oder wie es Frau Schwarzer selbst in ihrem Preisbeitrag formulierte: Die Konservativen haben die gute alte Doppelmoral, die Linken und Liberalen haben gar keine Moral. Womit Frau Schwarzer ein weiteres treffliches Argument geliefert hat, weshalb man sie selbst heute zum Erzkonservatismus zu zählen hat.
Und damit erkläre ich das Buffet endlich für eröffnet!