Wenn ich hier schon so lange nichts mehr in der Rubrik "Atheismus" geschrieben habe, dann deshalb, weil ich Diskussionen zu diesem Thema eigentlich schon aufgegeben hatte. Denn Atheisten fallen in genau zwei Gruppen. Mit den einen verstehe ich mich ganz schnell und es besteht gar kein Diskussionsbedarf. Mit den anderen kann ich einfach nicht reden, eine Diskussion mit ihnen ist für mich am Ende nicht weniger frustrierend als eine mit religiösen Eiferern
(Um Mißverständnissen vorzubeugen, ich stehe atheistischen Positionen sehr nahe. Eigentlich ist es nur die zweite der genannten Gruppen, die mich vom klaren Bekenntnis, Atheist zu sein, abhält). Einen letzten Diskussionsversuch hatte ich noch mal gestartet, nachdem Muriel von der
überschaubaren Relevanz dankenswerterweise trotz persönlicher Ablehnung meiner Positionen einem
Gastbeitrag Raum gegeben hat. In diesem Fall war die Diskussion, bevor sie dann wie immer niedergetrollt wurde, eigentlich ganz interessant. Jetzt möchte ich hier noch ein abschließendes Fazit aus meinen Diskussionsbemühungen ziehen. Denn wenn ich mich schon nicht unterhalten kann, dann möchte ich doch wenigstens verstehen, weshalb nicht.
Der Unterschied zwischen den Atheisten der ersten und der zweiten genannten Gruppe scheint mir nicht durch Einteilungen wie die in starken und schwachen Atheismus bedingt zu sein. Sondern er liegt darin, daß die zweite Gruppe sich nicht damit zufriedengeben kann, nur der Meinung zu sein, Religionen seinen Unsinn. Sie will unbedingt wissen, daß sie es tatsächlich, unbestreitbar und objektiv sind. In diesem Drang nach einer Gewissheit kann man schon die erste Parallele in den Denkmustern der Gläubigen und der Atheisten der zweiten Gruppe erkennen. Um nun Gewissheit über die grundsätzliche Unsinnigkeit von Religionen zu haben, benötigen die Atheisten der zweiten Gruppe ein grundsätzliches Kriterium, nach dem Religionen von anderen, von der zweiten Gruppe für sinnvoll gehaltenen Weltanschauungen oder -Interpretationen unterschieden sind. Man braucht ein Abgrenzungskriterium für Religionen. Gewissermaßen hat man das alte Abgrenzungsproblem der Wissenschaften von der anderen Seite her. Daher habe ich die Atheisten der zweiten Gruppe bisher auch ausnahmslos als ausgesprochen eifrige Verfechter der Naturwissenschaften als bessere Alternative zur Religion erlebt. Denn mit dem Abgrenzen der Religionen (weltliche, ideologische Entsprechungen seien hier mit eingeschlossen) bleibt die Naturwissenschaft auf der anderen, "sinnvollen" Seite der weltanschaulichen Denkweisen.
Den Unterschied zwischen Religionen und den Wissenschaften nun meinen die Atheisten der zweiten Gruppe in der Behauptung, Wissenschaften seien im Gegensatz zu Religionen frei von unüberprüfbaren Annahmen, ausgemacht zu haben. Stellt man diese Annahme infrage und behauptet, auch Naturwissenschaften enthielten notwendig nicht überprüfbare Grundannahmen, dann reagieren die Atheisten der ersten Gruppe irgendwo zwischen "Ja, klar" und "Na und?". Für die Atheisten der zweiten Gruppe dagegen stellt diese Behauptung eine echte und ernsthafte Provokation dar (Beispiele findet der Interessierte, wie für alles in diesem Text, im erwähnten Gastbeitrag und der zugehörigen Diskussion).
Versucht man nun, die provokative Behauptung mit einem Beispiel zu untermauern, so stößt man auf erhebliche Schwierigkeiten, sich verständlich zu machen. Das ist prinzipiell wohl auch nicht verwunderlich, denn aus irgendeinem Grund leuchtet einem eine Argumentation, deren Schlußfolgerung einem sympathisch ist, viel leichter ein, als eine, deren Schlußfolgerung man verabscheut. Im letzteren Fall braucht es einen gewissen, nicht leicht aufzubringenden Willen, sich in die Denkweise der unbeliebten Argumentation einzufinden. Was man dann aber bei den Atheisten der zweiten Gruppe beobachtet, ist das schnelle Erschöpfen dieses Willens, und irgendwann (vielleicht ermutigt durch eine Gruppe, die dies akzeptiert) bemerkt man erstaunliche Anstrengungen, um den anderen gar nicht mehr verstehen zu müssen. Am Ende wird nicht mehr darauf reagiert, was der andere gesagt hat, sondern nur noch darauf, was man möchte, daß der andere gesagt hat.
Nun ist es eine Sache, meinen Text so abzubügeln. Leider zeigen sich Anzeichen solcher Ignoranz aber nicht nur am Umgang mit dem von mir in der Diskussion gegebenen Beispiel. Die Frage nach einer Abgrenzung der Naturwissenschaften von Unsinnigem wie Religionen ist eine im zwanzigsten Jahrhundert ausgiebig und fachlich gründlich geführte Diskussion. Manche meiner Argumente hätten altbekannte Gegenargumente provozieren können. Das völlige Ausbleiben dieser Standardgegenargumente scheint zu bestätigen, daß Atheisten der zweiten Gruppe sich ihrer Ansicht von der ausnahmslosen Überprüfbarkeit naturwissenschaftlicher Annahmen so sicher sind - oder so sicher sein wollen -, daß sie es von sich aus nicht für nötig befinden, sie einer lange existierenden und entwickelten Kritik zu stellen. Wer sich nun auch bei dieser Grundeinstellung des Ignorierens und Nicht-verstehen-wollens an die Diskussionsweise von religiösen Eiferern erinnert fühlt, der wird vom folgenden Zitat aus der Diskussion beeindruckt sein. Zu meiner Position, in den Naturwissenschaften gäbe es nicht überprüfbare Annahmen, schrieb ein Diskussionsteilnehmer:
"Ich verwahre mich vehement gegen die These, meine Position sei nahe an der von Thomas. Ich könnte nicht mit Sicherheit sagen, ob die epistemologische Position des Papstes unter Umständen näher an meiner wäre als seine."
Zwar denke ich, dies ist nicht so ganz wörtlich gemeint gewesen. Dennoch zeigt dieser entnervte Ausdruck in einer von mir nicht für möglich gehaltenen und gewiss auch nicht so verstandenen Ehrlichkeit, wo sich Atheisten der zweiten Gruppe eher sehen, als in der geistigen Nähe von Menschen, die die restlose Überprüfbarkeit naturwissenschaftlicher Gedankengebäude infrage stellen.
Was der reichlich unbeholfene Satz, der Atheismus sei auch nur eine Form der Religion, sagen will, ist womöglich nur, die entscheidende Grenze verlaufe gar nicht zwischen Anhängern und Gegnern von Religionen. Sondern sie sei eher da zu suchen, wo es um die Bereitschaft geht, die eigene Weltsicht, was immer sie sei, für sich selbst einer kritischen Überprüfung zu stellen. Und deshalb bezeichne ich mich auch nicht gerne als Atheisten. Ich will einfach nicht mit den falschen Leuten in eine Schublade geworfen werden.
Nachtrag: Zu diesem Thema gibt es noch eine
Antwort von Muriel. Gewissermaßen die Antwort auf die Analyse der Diskussion zum Gastbeitrag aufgrund der Diskussion zu einem Beitrag. Nur für den Fall, daß es tatsächlich irgendwo noch jemanden gibt, den das Thema interessiert...