Donnerstag, 27. Oktober 2011

Strahlende Äpfel und giftige Birnen

Was tut man, wenn man mal eine so richtig fetzige, alarmistische Die-Welt-geht-unter-Schlagzeile braucht? Wenn man bei der Bild ist, dann kann man sich ja einfach mal was erfinden. Aber wenn man sich für einen richtigen Journalisten hält? Dann gibt es einen einfachen Trick. Man nimmt ein Ereignis, das sich als schwere Katastrophe im kollektiven Gedächtnis eingebrannt hat, vergleicht damit, und kommt zum Ergebnis, daß sein Vergleichsereignis noch viel schlimmer ist. Mitunter muß man da zwar Äpfel mit Birnen vergleichen, aber was solls?
Bei den Reaktorkatastrophen von Fukushima funktioniert so etwas besonders gut. Der Spiegel Online ist da allerdings noch viel zu schüchtern. Der titelte zwar schon ganz gut
Allerdings steht schon im Untertitel, daß man diese zwei Ereignisse eigentlich nicht vergleichen könne. Verglichen haben sie da zwar schon längst, aber immerhin scheint es den Redakteur von der Schlagzeile "Fukushima schlimmer als Hiroshima" abgehalten zu haben.
Weniger scheu ist da erwartungsgemäß der Focus Online. Der titelt heute nämlich

Und Anlaß zu dieser Meldung ist ein Bericht, wonach eventuell in Japan bis zu zweieinhalb Mal so viel radioaktive Edelgasisotope von Xenon und Krypton frei wurden wie bei der Katastrophe von Tschernobyl.
Allein, radioaktive Verseuchung hängt längst nicht nur von der Radioaktivität selber ab, sondern mindestens genauso von den chemischen Eigenschaften der radioaktiven Stoffe. Und wie man im Chemieunterricht gelernt hat, sind Edelgase chemisch extrem träge. Sie kleben an nichts, sie lagern sich nirgends ab, sie reichern sich nicht an. Freigesetzte Edelgase verdünnen sich in kurzer Zeit einfach in immer größeren Luftmengen und tragen mittel- und langfristig nichts zu einer nennenswerten "Verseuchung" bei.
Viel schlimmer sind da radioaktive Stoffe, die sich aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften ablagern und anreichern, im Boden, in Pflanzen, Tieren und letztlich auch Menschen. Berühmte Beispiele sind da Jod, das sich in der Schilddrüse ansammelt, oder der "Knochenkiller" Strontium, der sich auf seinem Weg durch die Umwelt letztlich eben in Knochen eingelagert und dort lokal für erhebliche Strahlenbelastung sorgen kann. Von solchen Stoffen ist im Artikel des Focus aber nur radioaktives Cäsium genannt. Und die davon ausgehende Strahlenbelastung in der Luft lag eben bei nur 42% verglichen mit dem Tschernobyldesaster. Also wäre aufgrund der im Artikel genannten Daten die treffende Schlagzeile gewesen:
Nukleare [??] Verseuchung
Fukushima halb so schlimm wie Tschernobyl
Fetzt aber nicht so gut. Ein Tipp fürs nächste Mal: Wie wäre es denn mal mit Seveso Millionen mal schlimmer als Tschernobyl und Fukushima zusammen? Immerhin wurde beim Chemieunglück von Seveso millionen- und milliardenmal mehr Dioxin freigesetzt als bei den beiden großen Reaktorkatastrophen.

Samstag, 15. Oktober 2011

Willkommen am Limit!

Ironman? - Was für Mädchengeburtstage!

Testpiloten? - Weicheier, die sich schon für harte Kerle halten, bloß weil sie es schaffen, bei 6 g nicht an der eigenen Kotze zu ersticken!

Neinneinnein, Schluß mit Pillepalle! Seit heute weiß ich: Wer Extremsituationen braucht und wirklich wissen will, wo der menschliche Körper und Geist an ihre Grenzen stoßen, der muß an einem Samstag Nachmittag mit einer schwangeren Frau zum Babysachenkaufen zu Ikea.
Selbst Humphrey Bogart bräuchte danach mindestens eine halbe Flasche Brandy, um mit einer solchen Erfahrung klarzukommen!

Donnerstag, 13. Oktober 2011

Die Knochenkiller kommen

Was haben Cola, Trampoline und Strontium gemeinsam? Richtig, sie alle sind sogenannte "Knochenkiller". Und wem der Begriff "Knochenkiller" jetzt irgendwie dämlich erscheint, dem sei versichert, es handelt sich um einen wissenschaftlichen Fachterminus. So hat es heute jedenfalls der Spiegel Online erklärt:
Und da möchte ich wetten! Schließlich sprechen Wissenschaftler, sehr zum Leidwesen der auf nüchterne Sachlichkeit Wert legenden Journalisten, auch gerne von "Killerviren", "Killerasteroiden", "Teufelskillern" und vielem, vielem mehr! Und wer auch immer sich diesen tollen Satz vom Knochenkiller hat einfallen lassen, seit letztem Juni ist er überall zu finden [z.B. Focus, Frankfurter Rundschau, Wiener Zeitung, schweizer Tagesschau, Süddeutsche,...]. Wissenschaftler sprechen hier auch von einem schleichenden "Hirnkiller".

Freitag, 7. Oktober 2011

Ontologie und Probleme

Unlängst war ich Publikum bei einem wissenschaftlichen Vortrag. Und sich über seine naturwissenschaftlichen Studien immer mehr in Fahrt redend, entschlüpfte dem Vortragenden dann plötzlich der folgende überlieferungswürdige Satz:
"Reality is the problem here."
Er hatte es vielleicht gar nicht so gemeint, aber selten hat jemand kompakter und zugleich treffender allen Ärger auf dieser Welt zusammengefasst!

Sonntag, 2. Oktober 2011

Leben und Sterben in Flandern

Die folgende Geschichte ist mir tatsächlich nicht selbst widerfahren, sondern einem Freund. Aber sie ist doch zu schön, um sie nicht weiter zu erzählen, und ich bin sicher, dieser Freund hätte nichts dagegen.

Der erwähnte Freund stand vor der Aufgabe, für eine europäische Einrichtung eine Weiterbildungsveranstaltung zu organisieren. Nun ist er Flame, und so entschied er sich als Veranstaltungsort für ein Hotel in einem kleinen flämischen Badeort. Am Montag Morgen sollte es losgehen, und am Sonntag Nachmittag begannen die Teilnehmer nach und nach einzutrudeln. Unter den eingeladenen Vortragenden auf dieser Veranstaltung war auch ein Italiener, und der wollte nicht mit dem Flugzeug nach Belgien kommen, sondern die Gelegenheit zu einer kleinen Europareise nutzen und mit seiner Frau im Auto aus Italien anreisen. Mit seiner Frau und mit einem ziemlich großen Hund. Am späten Sonntag Nachmittag ruft er den Freund dann an und teilt ihm mit, daß sie sich wohl mit dem Verkehr verschätzt hätten, und er und seine Frau erst so gehen zehn am Abend eintreffen würden. Und ach ja, er hätte übrigens auch einen ziemlich großen Hund dabei, das sei doch bestimmt kein Problem für das Hotel, in dem er eingebucht sei? Doch, es war ein Problem. Das Hotel bestand darauf, daß Hunde im Haus nicht gestattet seinen. Also mußte mein Freund am Sonntagabend noch ein anderes Hotel auftun, das nichts gegen raumgreifende Haustiere einzuwenden hatte. Er verabredete sich mit dem Italiener vor dem Veranstaltungshotel, geleitete ihn und seine Frau am späten Abend zu der neuen Unterkunft, und so gegen elf hatte er sie dann als letzte Teilnehmer endlich gut untergebracht und bis zum nächsten Morgen frei.

Um zwei in der Nacht klingelt sein Telefon. Im Halbschlaf abgehoben, begrüßt ihn der Italiener: "Mein Hund stirbt!" Eine herausgemurmelte Beileidsbekundung reicht jetzt nicht aus, um die Nachtruhe wieder herzustellen. Nein, ein Tierarzt müsse her, unbedingt, jetzt gleich, sofort und ins Hotel. Also versucht der Freund, Sonntags nachts um zwei einen Tierarzt aufzutreiben, der bereit ist, einen sofortigen Hausbesuch zu machen. Schließlich findet er, nachdem wohl eine Reihe von Leuten von ihren Telefonen aus dem Schlaf gerissen worden sind, tatsächlich einen Tierarzt aus einem Nachbarort, der einwilligt, sofort zu kommen. Vermutlich war die Inaussichtstellung einer beträchtlichen Nachtzulage erforderlich, und der dunkle Mercedes des Tierarztes will ja auch bezahlt sein. Mit dem fährt er dann so gegen drei endlich beim Hotel vor, und er und mein Freund betreten ein Hotelzimmer mit einem auf und ab laufenden Italiener, einer auf dem Bett sitzenden, weinenden Italienerin und einer auf dem Boden liegenden und erbärmlich röchelnden Dogge. Der Tierarzt öffnet seine Tasche, untersucht den Hund und stellt schnell fest, daß er nichts mehr für ihn tun kann. Nichts, außer sein Leid abzukürzen und ihn einzuschläfern. Schließlich willigt das italienische Paar traurig ein, der Arzt gibt dem Hund zwei Spritzen und entläßt eine Doggenseele in den Hundehimmel. Doch damit schafft er natürlich sogleich das nächste Problem. Denn was tun man, wenn man nachts um drei ein flämisches Hotelzimmer mit einer toten Dogge teilt? Doch der Tierarzt bietet gleich die Lösung an. Er habe Plastiksäcke im Auto, sie könnten den Hund einpacken und er würde ihn mitnehmen und einer fachgerechten und ganz bestimmt auch pietätvollen Entsorgung zuführen. Notgedrungen willigt das Ehepaar ein, und während der Italiener seine aufgelöste Frau zu beruhigen versucht, verpacken der Tierarzt und mein Freund den Hund in die aus dem Auto geholten Plastiksäcke. Zusammen schleppen die den Hundekadaver hinunter auf die Straße, der Tierarzt öffnet den Kofferraum seines Mercedes, und zu zweit wuchten sie den toten Hund hinein. Und in diesem Moment kommt ein Streifenwagen um die Ecke gefahren.
Tja, wie es wohl aus, wenn zwei Männer nachts um drei etwas Großes, in Plastikfolie Gewickeltes in den Kofferraum einer Limousine verfrachten? Also hält der Polizeiwagen an, die Polizisten steigen aus und erkundigen sich, die Hände ganz beiläufig an den Holstern ihrer Waffen, was die beiden denn da machen würden. Die Antwort "Ja, also, ich bin Tierarzt, und da ist ein toter Hund drin..." reicht irgendwie nicht so ganz aus, um den Verdacht der beiden Beamten zu zerstreuen. Also müssen der Freund und der Veterinär einige Schritte vom Wagen weg machen, und einer der beiden Polizisten behält sie sehr genau im Auge, die Hand noch immer locker am Griff der Dienstpistole. Der zweite Polizist steift sich seine Handschuhe über, beugt sich über den Kofferraum und beginnt, an den Säcken herumzufummeln. Nach zwei Minuten dreht er sich um und verkündet nüchtern die Ergebnisse seiner kriminalistischen Untersuchung: "Da ist ein toter Hund drin."

Und damit endet die Geschichte. Der Streifenwagen fuhr weiter seine Runden im Kampf gegen die Kriminalität zwischen Knokke und De Panne. Der Tierarzt entschwand mit dem toten Hund in der Nacht. Und mein Freund ging zurück zu seinem Hotel, um noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, bevor die Veranstaltung beginnen würde. Das tat sie dann am nächsten Morgen pünktlich nach dem Frühstück. Schade, daß der Italiener in einem anderen Hotel untergebracht war. Im Hotel meines Freundes gab es zum Frühstück auch "Pletskeskook": "Kalter Hund".

Mittwoch, 28. September 2011

30 000 Jahre Fehlentwicklung

Berlin, 2011 n. Chr.:
"Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, stellt heute eine erste repräsentative Studie zur Häufigkeit der Internetabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen in Deutschland vor.
In der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen ist die Verbreitung am größten: 2,4 Prozent abhängige und 13,6 Prozent problematische Internetnutzer.
Die Betroffenen verlieren die Kontrolle darüber, wie viel Zeit sie im Internet verbringen.
Dazu erklärt die Drogenbeauftragte: „Wir brauchen zielgenaue Präventionsarbeit und gute und effektive Beratungs- und Behandlungsangebote besonders für die junge Altersgruppe. Die Computerspiel- und Internetsucht wird im nächsten Jahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein. Die Broschüre "Online sein mit Maß und Spaß" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist unter : http://www.bzga.de/infomaterialien/suchtvorbeugung/ abrufbar."

Bonn, 1963 n. Chr.:
"Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Heinz Müller, stellt heute eine erste repräsentative Studie zur Häufigkeit der Fernsehabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen in Deutschland vor.
In der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen ist die Verbreitung am größten: 2,4 Prozent abhängige und 13,6 Prozent problematische Fernsehnutzer.
Die Betroffenen verlieren die Kontrolle darüber, wie viel Zeit sie mit Fernsehen verbringen.
Dazu erklärt der Drogenbeauftragte: „Wir brauchen zielgenaue Präventionsarbeit und gute und effektive Beratungs- und Behandlungsangebote besonders für die junge Altersgruppe. Die Fernsehsucht wird im nächsten Jahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein.
Die Sendung "Fernsehn gucken mit Maß und Spaß" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird im Spätprogramm ausgestrahlt."

Berlin, 1938 n. Chr.:
"Der Drogenbeauftragte des Führers, Hermann Göring, stellt heute eine erste repräsentative Studie zur Häufigkeit der Radioabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen im Großdeutschen Reich vor.
In der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen ist die Verbreitung am größten: 2,4 Prozent abhängige und 13,6 Prozent problematische Radionutzer.
Die Betroffenen verlieren die Kontrolle darüber, wie viel Zeit sie mit dem Hören von Stimmen aus dem Radio verbringen.
Dazu erklärt der Drogenbeauftragte: „Wir brauchen zielgenaue Präventionsarbeit und gute und effektive Beratungs- und Behandlungsangebote besonders für die junge Altersgruppe. Die Radiosucht wird im nächsten Jahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein.
Das Programm "Radio hören mit Maß und Spaß" der Reichszentrale für gesundheitliche Aufklärung hören sie gleich nach der Rede des Führers"

Potsdam, 1468 n. Chr.:
"Der Drogenbeauftragte von Kaiser Friedrich III, Albrecht VI, stellt heute eine erste repräsentative Studie zur Häufigkeit der Buchabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation vor.
In der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen ist die Verbreitung am größten: 2,4 Prozent abhängige und 13,6 Prozent problematische Buchnutzer.
Die Betroffenen verlieren die Kontrolle darüber, wie viel Zeit sie mit dem Lesen frisch gedruckter Bücher verbringen.
Dazu erklärt der Drogenbeauftragte: „Wir brauchen zielgenaue Präventionsarbeit und gute und effektive Beratungs- und Behandlungsangebote besonders für die junge Altersgruppe. Die Buchsucht wird im nächsten Jahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein.
Die Broschüre "Buchdruck mit Maß und Spaß" der Heiligen Reichszentrale für gesundheitliche Aufklärung befindet sich z.Z. im Druck."

Kiš, 2600 v. Chr.:
"Der Drogenbeauftragte des Gottkönigs Enmebaragesi, Šamšu, stellt heute eine erste repräsentative Studie zur Häufigkeit der Keilschriftabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen in Sumer vor.
In der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen ist die Verbreitung am größten: 2,4 Prozent abhängige und 13,6 Prozent problematische Keilschriftnutzer.
Die Betroffenen verlieren die Kontrolle darüber, wie viel Zeit sie mit dem Betrachten von in Tontafeln gedrückten Keilen verbringen.
Dazu erklärt der Drogenbeauftragte: „Wir brauchen zielgenaue Präventionsarbeit und gute und effektive Beratungs- und Behandlungsangebote besonders für die junge Altersgruppe. Die Keilschriftsucht wird im nächsten Jahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein.
Die Broschüre "Keilschrift mit Maß und Spaß" der Sumerischen Zentrale für gesundheitliche Aufklärung ist abrufbar, sobald der Ton getrocknet ist."

Chauvet, 30 000 v. Chr.:
"Die Drogenbeauftragte des Stammesältesten, Ugah Ughh, stellt heute eine erste repräsentative Studie zur Häufigkeit der Höhlenmalereiabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen vor.
In der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen ist die Verbreitung am größten: 2,4 Prozent abhängige und 13,6 Prozent problematische Höhlenmalereinutzer.
Die Betroffenen verlieren die Kontrolle darüber, wie viel Zeit sie beim Betrachten von an Höhlenwände gemalte Handabdrücke und Jagdszenen verbringen.
Dazu stammelte die Drogenbeauftragte: „Wir brauchen zielgenaue Präventionsarbeit und gute und effektive Beratungs- und Behandlungsangebote besonders für die junge Altersgruppe. Die Höhlenmalereisucht wird im nächsten Jahr ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein.
Die Broschüre "Höhlenmalerei mit Maß und Spaß" der Sippenzentrale für gesundheitliche Aufklärung finden sie an der großen Wand in der Haupthöhle."

Freitag, 23. September 2011

Großer Geist mit großer Verspätung

Was mußte man während der letzten Tage nicht alles über den Papst lesen, mal von mehr, mal von weniger bekannten Persönlichkeiten. Zum Beispiel:

Annette Schavan: Der Papst ist "einer der größten Denker unserer Zeit" (taz).
Wolfgang Thierse: Der Papst ist ein "hochgradiger Intellektueller" (Süddeutsche).
Manfred Lütz: Der Papst ist "einer der großen modernen Intellektuellen" (focus).
Marco Politi: Der Papst ist "ein großer Intellektueller" (Mainpost).
Winfried Kretschmann: Der Papst hat "intellektuelle Brillanz" (Badische Zeitung).
Ludger Hölscher: Der Papst ist "ein Genie, ein Intellektueller" (Schweriner Volkszeitung).
Arno Makowsky: Der Papst ist "unbestritten einer der großen Intellektuellen unserer Zeit." (Abendzeitung)

Da habe ich mich dann ja schon mal gefragt, was zum Teufel denn den Papst zu so einem brillanten Intellektuellen unserer Zeit macht? Das intensive Studium seiner Habilitationsschrift Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura wird die obigen Kommentatoren doch wohl kaum so in Begeisterung versetzt haben? Und ob Vorträge zum Thema Liturgie und Kirchenmusik einen so entscheidenden Beitrag zu den Problemen unserer Zeit lieferten?
Heute ist mir dann endlich klar geworden, weshalb der Papst ein für unsere Tage so wichtiger Denker ist! Die Süddeutsche Online hat's geschrieben:
Papst würdigt Luther
Eine große Leistung in unserer Zeit! Nicht nur, daß ein Papst gerade mal 350 Jahre nach Galileo Galileis Tod feststellen konnte, daß dieser, gut, nicht direkt so komplett recht gehabt hatte - aber doch zumindest nicht ganz so gottlos war wie erst gedacht. Und nun, schlappe 465 Jahre nach seinem Tod wird auch Martin Luther von einem Papst gewürdigt! Jetzt ist es endlich offensichtlich, daß die katholische Kirche, die sich ja bewußt nicht vorschnell dem schnellebigen Zeitgeist anpassen will, viel zur modernen Welt zu sagen hat! Und es gibt auch Hoffnung, wenn man die Zeitintervalle mal so auf andere Denker anwendet. Und von Hoffnung lebt die Kirche ja:

So um das Jahr 2212 sollte ein Papst dann anerkennen, daß Kants Kritik der reinen Vernunft auch einen interessanten Beitrag eines Christen zur Geistesgeschichte darstellt.
Schon 2290 dürfte auch Charles Darwin dran sein. Der hat sich zwar bestimmt geirrt, war aber laut zukünftigem Papst sicher trotzdem irgendwie ein großer Gottsuchender.
Und im Jahre 2378 dann sollte auch Bertrand Russell darauf hoffen können, daß er, obwohl er in der Hölle schmoren muß, zu Lebzeiten in einzelnen philosophischen Theoriefragen auch aus Sicht der Mutter Kirche nicht komplett unrecht hatte.

Ach, wie würden wir uns nur ohne die großen Intellektuellen in der katholische Kirche in unserer Zeit zurechtfinden?
Amen.

Mittwoch, 21. September 2011

Der Papst focussiert

Nur noch Stunden, bis der Papst in Deutschland eintrifft, und Matussek hat uns noch gar nicht mit seinen religiösen Entrückungen beglückt. Schade eigentlich, und so stößt auch gleich der Focus Online in das papistische Publikationsvakuum - nicht in Ekstase, sondern in einer seiner bewährten rationalen, auf Fakten basierten Analysen. Huahaha, kleiner Scherz! Aber der Focus versucht tatsächlich, "Zehn Irrtümer über den Papst" aufzuklären. Heraus kommt der zu erwartende unsägliche Schwachsinn, den selber wieder klarzustellen einen noch längeren Text erfordern würde (Kostprobe gefällig? "Benedikt ist ebenso ein „grüner“ wie ein „politischer“ Papst, weil er die ganze Welt durch das Brennglas der Eucharistie sieht."). Da aber, wo sich der Focus auf fulminante Weise selbst widerspricht, entwickelt sich auch für den Nicht-Papisten die schaurig-schöne Faszination der katholischen Idiotie.

So dürfen natürlich die üblichen Verrenkungen zum Thema Kondome und AIDS nicht fehlen:
"Zum kondomisierten Geschlechtsverkehr kann er schon deshalb nicht aufrufen, weil damit nur ein „safer sex“, eine sicherere, aber keine absolut sichere Art des sexuellen Umgangs erreicht werden kann." Ein Glück, daß wir noch mit Segen des Vatikans Aspirin nehmen dürfen, wo es doch die Kopfschmerzen wahrscheinlich, aber nicht absolut sicher zum Verschwinden bringen kann. Und ein paar Focus-Zeilen später ist der "kondomisierter Geschlechtsverkehr" nicht mal mehr eine "sicherere Art des sexuellen Umgangs": "Der US-amerikanische Aidsforscher Edward C. Green aus Harvard erklärte 2009, es gebe keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen dem verstärkten Gebrauch von Kondomen und einem Rückgang der HIV-Infektionsrate." Ja, und der US-amerikanische zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling erklärte, daß man mit genug Vitamin C so ziemlich jeden Krebs heilen könne. Und der deutsche Professor Dr. Meyl behauptet, daß Mondfinsternisse Neutinos auf die Erde bündeln und so Erdbeben auslösen würden. Sonst noch für irgendeine steile These ein Gewährsmann gebraucht?
Aber die Nutzlosigkeit von Kondomen ist ja kein Problem, der Papst hat ja seinen ausgefeilten Plan B: "Er appelliert an einen verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Sexualität, der Treue und gegebenenfalls auch Enthaltsamkeit einschließt." Und nachdem der Papst das AIDS-Problem mit dem raffinierten Rezept "Treue und Enthaltsamkeit" gelöst hat, wird er dann hoffentlich endlich die Kriege aus der Welt schaffen. Das Geheimkonzept soll schon, von dem großen Intellektuellen auf dem heiligen Stuhl persönlich ausgearbeitet, in den Schubladen des Vatikans bereitliegen: "Einfach nicht schießen"!

Aber bevor wir uns verzetteln lieber wieder zurück zum Focus.
Als Nicht-Kathole kann es einem zwar egal sein, aber er erklärt uns zum Irrtum Nummer 7 auch noch, warum der Ausschluß von Frauen vom katholischen Priesteramt keine geschlechtsspezifische Diskriminierung darstellt: Die Glaubenskongregation stellte 1998, so der Focus, faktisch unfehlbar fest, daß Frauen keine Priester werden dürfen. Daher sei auch der aktuelle Papst an diese Entscheidung gebunden, und folglich: "Eine Diskriminierung von Frauen liegt damit nicht vor." Und selbst wenn man mal der hirnerweichenden These folgt, daß eine Diskriminierung keine mehr ist, sobald sie durch eine "faktisch unfehlbare" Entscheidung zementiert wurde - zum Irrtum Nummer 2 behauptete der Focus selbst noch ganz richtig, daß die wenigsten Glaubenssätze unfehlbar seien, und das letzte unfehlbare Dogma die 1950 festgeschriebene leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel gewesen sei.

Da sollte man die "atheistischen Lobbyvereine" (Focus) wie die Giordano-Bruno-Stiftung wirklich zu schätzen wissen. Im Gegensatz zu katholischen Lobbyvereinen wie dem Focus Online argumentieren die wenigstens in sich konsistent.