Freitag, 24. Oktober 2014

Menschen und ihre seltsamen Hobbies...

Dieses Spiel mit den Satellitenbildern, das ich hier vor einiger Zeit begonnen habe, macht mir ja eine gewisse Freude, und ich habe immer mal wieder versucht, die Methoden zu verfeinern. Neulich habe ich ein unverdächtiges Satellitenbild mit umfangreichen Angaben als Test analysiert. Das ist zwar für nichts weiter gut und reine Spielerei, aber die Ergebnisse sind so beeindruckend schön, daß ich es doch mal zur Unterhaltung hier vorzeigen will.
Es geht um dieses Bild aus einer Serie von Aufnahmen von der syrisch-türkischen Grenze bei Kobanê:

Das Bild gab's bei SpOn, eigentlich stammt es aber aus einem Lagebericht der Vereinten Nationen. Und die machen, anders als ai oder der NATO, sorgfältige Angaben zum Bild. Es soll am 6. September 2014 in der Nähe von Kobanê vom Satelliten Worldview 2 aufgenommen worden sein. Die Auflösung soll 50 cm betragen und das Bild in einer UTM 37N Kartenprojektion im Koordinatensystem WGS 1984 dargestellt sein [1]. Das kleine Spiel hier besteht nun in der Lebenszeit vernichtenden Aufgabe, alle diese Angaben unabhängig zu bestätigen.

Zunächst müssen wir den Aufnahmeort bei Google Earth finden. Das ist nicht besonders schwer, denn diese zwei großen Kreise im Bild stellen eine gute Landmarke dar. Man muß nur Kobanê als Ziel bei Google Earth eingeben, dann sieht man sie schon kurz hinter der Grenze auf türkischer Seite.

Jetzt versuchen wir mit derselben Methode wie hier schon mal benutzt, ob man eine Bildverzerrung durch die Aufnahmeperspektive des Satelliten findet. Dazu können wir "Kontrollpunkte" im Bild suchen, d.h. Punkte, die sich im Satellitenbild und auf Google Earth klar identifizieren lassen. Die Google Earth-Aufnahmen sind von 2012 und seitdem hat sich in der Aufnahmegegend eine Menge getan. Daher findet man nicht ganz so viele Punkte, wie man aufgrund der vielen schönen Strukturen im Satellitenbild hoffen würde. Für 10 Kontrollpunkte hat es aber dennoch gereicht. Wir messen die Abstände zwischen allen Kontrollpunkten im Satellitenbild (in Pixeln) und auf der Erdoberfläche (in Metern, mit Google Earth) aus. Zudem bestimmen wir den Winkel zwischen der Verbindungslinie zweier Kontrollpunkte und der Nordrichtung (diesen Winkel nennen wir "Azimut" und messen ihn von Norden (0 Grad) entlang des Horizonts über Osten (90 Grad), Süden (180 Grad), Westen (270 Grad) zurück nach Norden). Teilen wir die Länge der Verbindungslinien am Boden durch die im Bild, dann bekommen wir den Abbildungsmaßstab (in Metern pro Pixel). Diese für die einzelnen Verbindungslinien bestimmten Maßstäbe tragen wir gegen den Azimut der Verbindungslinie (im Bereich von 0 bis 180 Grad) auf. Das sieht dann so aus:
Die Punkte streuen etwas aufgrund der Messungenauigkeit, es gibt aber keine systematische Variation des Maßstabs mit dem Orientierungswinkel der Linie im Bild. D.h., der Abbildungsmaßstab ist entlang aller Richtungen im Bild derselbe. Die rote Linie zeigt ein einfaches Modell für die perspektivische Verzerrung, angepasst an die Meßpunkte. Sie findet auch keine Variation und der mittlere Maßstab ist 0.495 Meter pro Pixel. Das passt gut mit der für das Bild angegebenen "Auflösung" von 50 cm zusammen.
Den selben Maßstab entlang aller Richtungen im Bild erhält man in der Aufnahme dann, wenn sie senkrecht von oben gemacht wurde. Das wurde sie aber offensichtlich nicht: Wenn man sich das Satellitenbild genau ansieht, dann erkennt man etwa die nach Norden weisende Seite des Gebäudes. Die Aufnahme muß also aus leicht nördlicher Richtung, etwas von der Seite aufgenommen worden sein. Daher muß also tatsächlich eine Korrektur der Perspektive, etwa in Form einer Kartenprojektion, für das Bild durchgeführt worden sein.

Ob jetzt tatsächlich die UTM 37N-Projektion, ist eigentlich nicht so spannend, wir wollen diesen Punkt aber trotzdem noch ein bisschen weiter verfolgen. Dazu versuchen wir, die Satellitenaufnahme mit einer Karte der Region (in der UMT 37N) zu überlagern. Denn gelingt dies, dann ist das ein sehr guter Test für die Genauigkeit, mit der die Koordinaten der Kontrollpunkte aus Google Earth abgelesen werden können. Diese Überlagerung machen wir aber nicht mehr per Hand, sondern benutzen eine Geoinformationssoftware, die es leicht macht. In diesem Fall die freie Software QGIS. Wir lesen die Koordinaten der Kontrollpunkte bei Google Earth ab und benutzen den Georeferenzer von QGIS, um die Kontrollpunkte in der Satellitenaufnahme zu markieren und uns die Transformation zwischen Bild und Google-Earth-Koordinaten bestimmen zu lassen. Dann können wir und die Satellitenaufnahme in der Karte darstellen lassen und als Koordinatensystem der Karte WGS 1984 UTM 37N verwenden. Um zu überprüfen, ob die Überlagerung gelungen ist, können wir uns das Straßennetz der Region in die Karte laden. Die Geoinformationen dazu bekommt man leicht und umsonst vom OpenStreetMap-Projekt, z.B. via GeoFabrik. Hier ist eine erstellte Übersichtskarte mit dem eingebetteten Satellitenbild. Die roten Linien sind die Straßen, die blaue Linie ist eine Bahnlinie, die den Grenzverlauf zwischen Syrien und der Türkei markiert:


Hier noch eine Detailabbildung. Man sieht, daß der Straßenverlauf nach OpenStreetView und der im Satellitenbild perfekt übereinstimmen:


Die Georeferenzierung des Satellitenbildes ist also sehr schön gelungen. Die Google Earth-Koordinaten sind also problemlos zur Bildanalyse verwendbar. Zudem ist das Bild in dieser Kartendarstellung, in der WGS 1984 UTM 37N-Projektion, (fast gar) nicht verzerrt. Es gibt also keinen Hinweis, daß die angegebene Kartenprojektion für das Satellitenbild nicht stimmt.

So, und nun, da wir wissen, daß das Bild tatsächlich verzerrungsfrei und korrekt ausgerichtet ist, können wir uns an die spannendere Frage nach dem Ursprungssatelliten machen.
Dazu können wir den Mast am rechten Bildrand, etwas oberhalb der Bildmitte, verwenden. Da sehen wir einen schönen, deutlichen Schatten, der in Richtung Nordwest weist. Alle anderen Schatten im Bild scheinen ganz gut mit der Richtung dieses Schattens übereinzustimmen, daher können wir erst einmal annehmen, daß Bodenunebenheiten beim Schattenwurf keine große Rolle spielen. Da der Schatten dieses Mastes am besten zu Vermessen ist, beschränken wir uns aber (soviel Faulheit muß dann doch sein) auf diesen einen. Im unverzerrten Bild können wir seine Richtung direkt bestimmen: als Azimut bekommt man etwa 335.3 Grad. Die Sonne muß genau gegenüber dem Schatten stehen, damit bekommen wir einen Azimut für die Sonne zum Zeitpunkt der Aufnahme von (335.3 - 180.0) Grad, also 155.3 Grad. Jetzt können wir etwa Horizons benutzen, um uns auszurechnen, um wieviel Uhr am 6. September die Sonne denn bei einem Azimutwinkel von 155.3 Grad stand. Das war um 11:33 (UTC+3). Damit haben wir nun die Aufnahmezeit des Satellitenbildes abgeschätzt. Horizons sagt uns aber nicht nur, wann die Sonne bei 155.3 Grad stand, sondern auch, wie hoch sie dabei über dem Horizont stand, nämlich 57.3 Grad. Nun können wir nicht nur die Orientierung des Schattens abmessen, sondern auch seine Länge. Kennen wir die Länge des Schattens und die Höhe der Sonne, dann kennen wir die tatsächliche Höhe des Masts.
Nun sehen wir nicht nur den Schatten des Masts, sondern auch eine Seite des Masts selber im Bild. Wenn wir die Richtung dieser Projektion des Masts abmessen, dann wissen wir, genau wie beim Schatten, die Richtung, aus dem der Satellit diese Aufnahme gemacht hat. Die Projektion des Masts weist etwa in Richtung 182.7 Grad. Damit stand der Satellit auf der gegenüberliegenden Seite, bei einem Azimut von etwa 2.7 Grad. Wir können auch hier die Länge der Projektion des Mastes abmessen. Kennen wir die projizierte Länge und seine tatsächliche Höhe, dann kennen wir auch die Höhe des Satelliten über dem Horizont zum Zeitpunkt der Aufnahme: 61.8 Grad. Hier noch mal ein Zoombild, um die Messungen zu veranschaulichen:


Wir haben also als Ergebnis der Abschätzungen eine Aufnahmezeit von 11:33 aus einer Blickrichtung von 2.7 Grad (Azimut) und 61.8 Grad (Höhe über dem Horizont). Nun können wir die Satellitendatenbank von Heavens-Above benutzten und nachsehen, ob wir für diese Zeit und diese Blickrichtung einen Treffer für den behaupteten Aufnahmesatelliten, Worldview 2, bekommen. Und tatsächlich, dieser Satellit überflog um diese Zeit herum den Himmel über dem Aufnahmeort. Hier ist die Heavens-Above-Graphik mit dem Pfad des Satelliten über dem Erdboden im Verhältnis zum Aufnahmeort des Satellitenbildes:


Um noch etwas genauer zu sehen, lassen wir uns von Heavens-Above auch noch eine Himmelskarte darstellen mit der Bahn von Worldview 2 am 6. September über den Himmel am Ort des Bildes. Hier ist konventionell Norden oben und Westen rechts. Das Zenit ist in der Mitte, der Horizont ist der Randkreis. In diese Karte tragen wir unsere abgeschätzte Position des Satelliten zum Aufnahmezeitpunkt als roten Kreis mit ein. Das sieht so aus:


Worldview 2 flog am 6. September fast genau durch die geschätzte Aufnahmeposition am Himmel. Und das um 11:36, mit einer Zeitdifferenz von gerade einmal 3 Minuten zu unserem Ergebnis von 11:33!
Diese gute Übereinstimmung ist doch wirklich schön! Worldview 2 kann als Quelle der Satellitenaufnahme bestätigt werden und Zusammenspiel von Kartenmaterial, Google Earth und Satellitendatenbank funktioniert hervorragend. Somit kann man Angaben zu Satellitenaufnahmen durchaus selbst unabhängig überprüfen. Und das Schönste ist, daß es dazu nicht einmal besonderen Aufwands bedarf. Alle verwendeten Programme und Datenbanken sind frei zugänglich!

(Und diese Ergebnisse geben vorherigen Betrachtung hier im Blog noch ein bisschen mehr Gewicht.)

[1] All die Zahlen-Buchstabenkürzel sind nicht weiter wichtig. Der Punkt ist, daß man eine im Raum gekrümmte Oberfläche wie wie Erdoberfläche nicht einfach auf eine flache Karte legen kann. Zum Übertragen der Erdoberfläche braucht es daher immer eine Abbildungsvorschrift, wie ein Punkt auf der Oberfläche in eine Karte übertragen wird, die "Kartenprojektion". Dazu gibt es viele Möglichkeiten, die standardisiert sind. Eine ist die "Universelle Transversale Mercatorprojektion", UMT. Diese Projektion gibt es für verschiedene Zonen der Erde optimiert, und diese Zonen werden durch eine Zahlen-Buchstaben-Kombination angegeben. Eine dieser Zonen ist eben "37N". Zusätzlich zur Projektion braucht es für die Karte noch ein Referenzkoordinatensystem, daß die Oberfläche der nicht perfekt kugelförmigen Erde annähert. Ein Standardreferenzsystem ist das "World Geodetic System 1984", WGS 1984. Daher kommt die kryptisch wirkende Angabe "WGS 1984 UTM 37N". Ist aber im Detail für den Text nicht wirklich wichtig…

4 Kommentare:

  1. Wahnsinn! Der Geometrie habe ich nicht bis ins Detail hinterhergedacht (das Abi ist schon was länger her und mein Alltagsbedarf in Mathematik beschränkt sich im wesentlichen auf den Dreisatz, gelegentlich kommt spaßeshalber vielleicht noch ein bisschen einfache Trigonometrie oder sowas dazu). Aber ich finde es absolut cool, wie viel man aus so Aufnahmen dann doch rausholen kann.

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    1. Och, mit einem bisschen Trigonometrie kommt man hier schon ziemlich weit! Das bisschen an Komplizierterem kann man geschickt von anderer Software erledigen lassen. :)

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    2. ...geschickt von anderer Software...
      Jein. Dazu muss man ungefähr wissen, was man macht. Und mich da reinzudenken, also vor allem in das Sphärische dabei, bin ich einfach zu bequem. Könnte ich sicher, hatte aber bisher keinen Anlass, der mich wirklich dazu begeistert hat. Aber lesen tue ich sowas schon mit einigem Genuss :)

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    3. Stimmt schon, eine gewisse Anfangsmotivation muß man erst einmal aufbringen, und das ist nicht immer so einfach…! :)

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