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Sonntag, 15. Juli 2012

Die Freiheit, die ich meine

Heute noch einmal das endlose Titanic-der-Papst-hat-eingemacht-Cover. Die wie immer (wenn es nicht um Fußballergebnisse geht) treffsicheren Fliegenden Bretter haben die spannende Frage aufgeworfen, wie viele von denen, die sich über die aktuelle Papstdarstellung mit besudelter Soutane empören, im Falle der Mohammedkarikaturen vor einiger Zeit noch lautstark für die Meinungsfreiheit eingesprungen sind. Zwar sind vom religiösen Eifer beseelte Zeitgenossen meist so klug, auch andere Religionen vor Satire und Vernunft in Schutz zu nehmen - man weiß ja nie, wann man selbst mal aufs Korn genommen wird. Ich konnte aber einfach nicht der Versuchung widerstehen, ein bisschen zu googeln, wer alles so dumm ist soviel geistige Flexibilität aufbringt, von Moslems die Toleranz zu fordern, die er selbst nicht aufbringt. Fangen wir "harmlos" mit einem üblichen Verdächtigen an:
In seiner "Post" an den "lieben Mohammed-Karikaturisten" vom 4.1.2010 war Franz Josef Wagner noch ein großer Verfechter der Meinungsfreiheit in der Karikatur:
"Ja, ich verteidige den dänischen Karikaturisten. Eine Karikatur ist keine Axt, kein Dynamit. Eine Karikatur ist eine freie Meinung."
Trotzdem findet er die Papstsatire irgendwie nicht so toll, wie er in seiner "Post" an die "liebe Titanic" vom 12.7.2012 erahnen läßt:
"Der Papst klagte gegen seine beschmutzten Bilder. Die Idioten von Titanic jubeln."
Naja, die Wagner-Festspiele halt. Spannender ist da die Welt. Deren Kommentatoren finden auch einfach nicht zu einer Linie. So kommentierte Die Welt vor zwei Monaten noch:
"Religionsdebatte: Muslime müssen Freiheit zur Provokation hinnehmen - Provokationen gegenüber Autoritäten sind unverzichtbar für eine lebendige Gesellschaft und Kultur. Ohne Provokation gibt es kein neues Denken. Deshalb darf es auch keine Ausnahme für Muslime geben."
Wenn's aber an den Papst geht, dann ist das schon irgendwie was ganz anderes:
"Wer sich über die Reaktion des Vatikans auf das Titelbild der "Titanic" mokiert, verkennt die religiösen Gefühle von Millionen Gläubigen. Sie müssen sich nicht im Namen der Toleranz verhöhnen lassen."
Stimmt, verhöhnen lassen müssen sich nur die Millionen Gläubige, die an den falschen Gott glauben. Die sind es ja schließlich, die ein neues Denken brauchen.
Und wo wir schon beim Verhöhnen sind, müssen wir auch noch richtig tief in den Morast absteigen und uns die feigen Charakterschweine von Politically Incorrect ansehen. Als der MiGAZIN-Redakteur Hakan Demir mit Blick auf die Mohammedkarikaturen vor Kurzem fragte:
"Wo liegt also die demokratische Sollbruchstelle eines Gläubigen? Vielleicht etwa dort, wo es um den Heiligsten seiner Religion geht?"
da bemerkte PI, daß dieser "obwohl er in Deutschland aufgewachsen ist und hier studiert hat, mit unseren rechtstaatlichen Prinzipien noch nicht vollends vertraut ist." Und PI erklärte ihm:
"In Deutschland dürfen nämlich Angehörige jeder Religion das Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen, und dürfen sogar jede Religion verhöhnen, die sie wollen. Ja, auch den Islam!"
Und das Titanic-Cover? Da stellt PI fest "daß die Titanic-Schmierer in Wahrheit feige Charakterschweine sind".  Denn was erlauben sich die "feigen Titanic-Dreckspatzen":
"Man macht also dreckige Witze über die Schwächeren, den deutschen Papst und über die eigene Kultur [...]."
Hier lernt man also eine Menge über den Begriff "Meinungsfreiheit": Meinungsfreiheit meint die Freiheit, jede Meinung frei zu verhöhnen, sofern es sich nicht um die eigene handelt.
Und wenn man sich jetzt noch in Erinnerung ruft, daß ein Herr Goppel von der CSU aufgrund des Titanic-Titels "ein Nachdenken darüber in Gang setzen will", grundgesetzlich garantierte Freiheitsrechte einzuschränken, dann kann man vor der Titanic nur noch den Hut ziehen. Mit einem kleinen, in jeder Hinsicht schlichten Witz so viele wahre Gesinnungen aus ihren dunklen, vermoderten Ritzen hinaus in Tageslicht zu locken, das ist schon wahrlich große Kunst!

27 Kommentare:

  1. Besten Dank - auch für die notwendigen Belege für meine These.
    Übrigens: Bei der WM 2014 werde ich es allen zeigen... ;-)

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  2. Danke.

    Es war höchste Zeit diesen Bullshit mal zu sezieren.

    Und dass die Ober-Wannabee-Nazi-Neocon-Israelfreunde
    von PI-NEWS sich bei sowas selbst entlarven bringt extra-Spass.

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  3. Naja, Die Welt fährt immerhin noch eine Linie: "Deshalb darf es auch keine Ausnahme für Muslime geben." - Da steht nicht, dass es keine Ausnahme für den Papst geben dürfte. #SCNR

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    1. Großartiger Beitrag! Ich bin selbst recht belesen in der berechtigen Islamkritik (ayaan Hirsi Ali, Henrik M. Broder), aber die Offensichtlichkeit, mit der hier zwei Weltreligionen unterschiedlich behandelt werden, ist schon dreist.
      Es gibt einen einzien Unterschied zwischen den zwei Skandalen: Manche muslimische Strömungen drohen den "ungläubigen Gotteslästerern" gleich mit dem Exitus, die Christen halten sich da in der großen Mehrheit doch sehr zurück. Gut, D will gleich an's Leder der Verfassung... auch nicht nett.....

      Und übrigens würde ich mir als ernsthaft OFFENgeistige Anhängerin des eher esoterisch-ganzheitlichen Ansatzes manches Mal wünschen, ALLE würden sich etwas mehr zurücknehmen mit dämlichen Aussagen im Alltag (Publizisten lasse ich jetzt hier der Einfachheit halber mal weg). Nicht als Beschneidung der Meinungsfreiheit, sondern als ein klein BISSCHEN mehr Offenheit. Es ist nämlich hierzulande nicht nur Mode, den Islam zu vrachten, es ist auch Mode, Leuten ihre Intelligenz abzusprechen aufgrund ihrer Glaubensrichtung. Und an dem Punkt (der ja nun bitteschön eben deshalb im Grundgesetz steht), werde ich häufig etwas grantig.

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  4. Bei PI-News war der besagte Autor Kewil ja zudem so rotzdumm, zu behaupten, die Titanic habe nie Islam-Satire betrieben.

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  5. Der Welt muss man ja zugzte halten, dass Kommentare nicht unbedingt die Meinung der Redaktion vertreten, sondern von verscheidenen Autoren stammen. Das war ja auch jetzt der Fall.

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  6. hach, der letzte Satz der Grund trotz enormer Quote an schlechten Kalauern weiterhin Titanic zu abonnieren.

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  7. Ich finde, bei FJW muss man gar keinen anderen Brief heranziehen - er arbeitet den seiner Ansicht nach maßgeblichen Unterschied zwischen den Religionen in dem Brief vom 12.07. selbst deutlich heraus: Die "Moslems" reagieren mit "Scharia, Todesdrohungen", belagern Redaktionsgebäude, zünden Fahnen an, schicken schließlich "Todesschwadronen" und setzen "Kopfgeld auf den Chefredakteur aus". Die Christen hingegen klagen, denken nicht und beten.

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  8. "Zwar sind vom religiösen Eifer beseelte Zeitgenossen meist so klug, auch andere Religionen vor Satire und Vernunft in Schutz zu nehmen - man weiß ja nie, wann man selbst mal aufs Korn genommen wird."

    Empathisch formuliert würde mir das noch besser gefallen - etwa so:

    Manche unreligiösen Zeitgenossen sind sogar klug genug, auch religiöse vor boshaftem Spott in Schutz zu nehmen - man weiß ja nie, wann mal einer die eigenen Überzeugungen aufs Korn nimmt.

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  9. Ich finde man sollte Witze über alles machen dürfen, besonders dann wenn es nicht existiert.
    Lustig ist aber auch wie Leute etwas verteidigen, was sie noch nicht mal beweisen können. Das ist ja fast noch besser als die Papst-Satire in der Titanic.

    Ach wie groß war doch einst Gott,
    bevor ihr losließt diesen Spott.
    Jetzt ist die Wut darüber groß,
    wo sind die Götter jetzt den bloß?

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  10. Der Vergleich mit den Mohammed-Karikaturen hinkt. Leider wird er von den meisten in den Vordergrund gestellt. Es geht hier auch nicht um zu tolerierende Jesus-Karikaturen, sondern um eine lebende Person, die hier nicht satirisch dargestellt, sondern einfach nur beleidigt wird. Vergleichbar etwa mit einem als Bananen-essenden Affen dargestellten Obama. Und Beleidigungen fallen nun mal nicht unter den Begriff der Meinungsfreiheit. Und es ist das gute Recht des Beleidigten, sich dagegen zu wehren. Selbst wenn der Fall erst dadurch erst richtig bekannt wird. Auch als Papst muss man sich nicht alles gefallen lassen.

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    1. Dann ist auch das ganze Gerede von den religiösen Gefühlen von Millionen und dem mit-den-Moslems-macht-man-das-nicht allerorten Unsinn? Hier geht es gar nicht um Religion? Sondern um simple Beleidigung eines normalen Bürgers bzw. ausländischen Staatschefs?

      Ach ja, und was genau ist an einer eingemachten Hose eigentlich so furchtbar beleidigend?

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    2. Das heißt, eine einzelne Person ist mehr geschützt als ein religiöses Symbol?
      Das heißt, Karikaturen über Mohammed sind O.K., aber welche über Machmud Achmadinedschad sind menschenverachtend?

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    3. Das sehe ich genauso, und ich bin weder Papstfan, noch in irgendeiner Form religiös. Und besonders pietätvoll bin ich in der Regel auch nicht. Aber ich weiß, wann ich mich beleidigt und verunglimpft fühlen würde.
      Ich wüsste zu gern, wie die ganzen "Satirefreiheit"-Verfechter reagieren würden, stünden sie selbst mit (einmontierten) Kot- und Urinflecken in der Hose auf dem Titelblatt einer großen Zeitung. Die meisten würden (mit Recht) schnurstracks zum Anwalt laufen, jede Wette.

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    4. Yep,

      als Privatperson würde ich das auch.

      Würde ich eine der einflussreichsten Instutionen dieser Welt leiten und tatsächlich glauben, ich sei Gottes Stellvertreter, wäre es mir, entschuldige mein Klatischianisch, scheißegal, und hätte das auch zu sein - sonst hätte ich mir wahrlich das falsche Amt ausgesucht...

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    5. Ich persönlich würde nicht zum Anwalt rennen. Gegen bissige Satire hab ich nichts, die kann meiner Meinung nach auch gerne mal Persönlichkeitsrechte verletzen. Solange die Macher selbst keine komplette Kampagne mit Rufmord und allem Pipapo gegen mich fahren würde ich ihnen die Lacher gönnen.
      Da unterscheide ich zwischen höchstpersönlich gemeintem Angriff auf meine Person, der nur darauf abzielt mich fertig zu machen und einer Satire, die den Lesern/Zuschauern mit extremen Stilmitteln ein Lächeln auf die Lippen zaubern soll.
      Aber eben jeder so wie er es mag.
      Wenn man es als Satire erkennen kann, dann finde ich es in Ordnung und da die Titanic jedem Menschen als Satire Magazin bekannt ist, kann auch jeder das Bild als Satire identifizieren.

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  11. Vielen Dank.

    PI missbraucht ohnehin den Ausdruck "politisch inkorrekt", es geht um die Verbreitung von Hass, Hass gegen den Islam.
    Ich selbst bin Agnostiker ohne Religion, mir sind alle Religionen gleichsam suspekt, ich bezeichne alle Religionen als heidnisch.
    Und Titanic hat halt gezeigt, wie es aussieht, wenn der Papst sich mit Fanta bekleckert und vor Schreck in Nougatcreme setzt, ja klar, wem ist das nicht schon passiert.

    Viele sind seit geraumer Zeit im Religionswahn. Da wird die Frage gestellt, welche Religion zur BRD gehört, ohne daran zu denken, dass einzig die religiöse Freiheit zur BRD gehört.

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  12. Ich empfehle dazu diesen Track zu hören. Trifft's genauso!

    http://www.youtube.com/watch?v=AGm-drLdZOk

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  13. Danke für diese Zusammenstellung. Aber in meinen Augen wird bei dieser Analogie gerne etwas ganz Wichtiges übersehen. Siehe meinen Blogeintrag: http://wp.me/p2yMD9-13

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  14. Eine typische Reaktion eines Deutschen, wenn man sich anschaut, was der Papst da nun ins Rollen gebracht hat. Wäre der Papst indes Brite, ausgestattet mit jenem schwarzen Humor, der den Briten zu eigen ist, hätte er vermutlich noch einen draufgesetzt. Auf eigene Kosten. Und die Sache wäre nach einer Woche vergessen gewesen.

    Aber so...

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    1. Ohja, alle Deutschen sind humorlos, alle ENGLÄNDER schätzen schwarzen Humor, alle Amis sind minderbemittlete Fundichristen, die die Länder, die sie bombardieren, nicht auf der Landkarte finden, Franzosen sind alle tolle Liebhaber, Italiener alles Mafiosi usw. usf.

      Schön, wenn man so eine einfache und beschränkte, von dämlichen Stereotypen durchsetzte Weltsicht hat.

      Und die Chance, daß ein Brite Papst wird, ist ungefähr so hoch wie das die Färöer-Inseln die nächste Fußball-WM gewinnen.
      Stichwort: Anglikanische Kirche. Und vielleicht mal 'IRA' googeln und weshalb es auf der irischen Insel zwei Staaten gibt.

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    2. Ich finde es erstaunlich und gleichzeitig schön, dass Sie meine beschränkte Weltsicht so einfach beweisen. Danke.

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  15. Seit gestern gibt's das Heft wieder im Handel, zumindest in Köln. Die Verkäuferin hat sich selbst gewundert, also keine alte Lieferung.

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    1. Hat es denn noch dasselbe Titelblatt? Denn nur der Neudruck desselben wurde untersagt. Bereits gedruckte Hefte unterliegen nicht dem Verbot. Da könnten also auch noch durchaus welche beim Grossisten rumgelegen haben, die erst jetzt ausgeliefert wurden.

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  16. Yep, ein besseres Beispiel für das heute verbreitete "Messen mit zweierlei Maß" gibt es kaum.
    Aber es ist ja dasselbe mit Terroropfern und simplen Kopllateralschäden.

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  17. Das Grundgesetz regelt es eindeutig: Die Freiheit der Kunst ist grenzenlos und Satire gehört nun mal zur Kunstfreiheit. Wäre es keine Kunst, dann kämen wir zur Frage der Meinungs- und Pressefreiheit.

    In ein paar Zensurgerichten wie in Hamburg missachtet man regelmäßig das Grundgesetz. In 2-3 Jahren wird der BGH die Entscheidung hoffentlich aufheben. Karikaturen, Bilder und Satire über Mohammed, Jesus, Gott und deren Vertreter gehören dann wieder zu den Selbstverständlichkeiten unserer Demokratie.

    Nebenbei bemerkt, der Pfarrer vor dem Schoß von Jesus war die bessere Nummer. Die "Fanta auf dem Rock" Nummer war da eher einfach gestrickt. Egal, die Titanic hat ihr Ziel erreicht und blitzartig die Auflage ausverkauft, die paar Euro Gerichtskosten sind da unerheblich und jeder kennt die Titelseite der Titanic dank Frau Streisand.

    Klarer 3:0 Sieg für die Titanic. Verloren haben der Pabst und die Demokratie

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  18. "...die Chance dass ein Engländer Papst wird..." auch das gab es schon in der Kirchengeschichte: Nicholas Breakspear geboren um etwa 1100 , + 1159 nannte sich als Papst HADRIAN IV. und schenkte während seiner Regierungszeit dem englischen König die irische Insel

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