Donnerstag, 27. Oktober 2011

Strahlende Äpfel und giftige Birnen

Was tut man, wenn man mal eine so richtig fetzige, alarmistische Die-Welt-geht-unter-Schlagzeile braucht? Wenn man bei der Bild ist, dann kann man sich ja einfach mal was erfinden. Aber wenn man sich für einen richtigen Journalisten hält? Dann gibt es einen einfachen Trick. Man nimmt ein Ereignis, das sich als schwere Katastrophe im kollektiven Gedächtnis eingebrannt hat, vergleicht damit, und kommt zum Ergebnis, daß sein Vergleichsereignis noch viel schlimmer ist. Mitunter muß man da zwar Äpfel mit Birnen vergleichen, aber was solls?
Bei den Reaktorkatastrophen von Fukushima funktioniert so etwas besonders gut. Der Spiegel Online ist da allerdings noch viel zu schüchtern. Der titelte zwar schon ganz gut
Allerdings steht schon im Untertitel, daß man diese zwei Ereignisse eigentlich nicht vergleichen könne. Verglichen haben sie da zwar schon längst, aber immerhin scheint es den Redakteur von der Schlagzeile "Fukushima schlimmer als Hiroshima" abgehalten zu haben.
Weniger scheu ist da erwartungsgemäß der Focus Online. Der titelt heute nämlich

Und Anlaß zu dieser Meldung ist ein Bericht, wonach eventuell in Japan bis zu zweieinhalb Mal so viel radioaktive Edelgasisotope von Xenon und Krypton frei wurden wie bei der Katastrophe von Tschernobyl.
Allein, radioaktive Verseuchung hängt längst nicht nur von der Radioaktivität selber ab, sondern mindestens genauso von den chemischen Eigenschaften der radioaktiven Stoffe. Und wie man im Chemieunterricht gelernt hat, sind Edelgase chemisch extrem träge. Sie kleben an nichts, sie lagern sich nirgends ab, sie reichern sich nicht an. Freigesetzte Edelgase verdünnen sich in kurzer Zeit einfach in immer größeren Luftmengen und tragen mittel- und langfristig nichts zu einer nennenswerten "Verseuchung" bei.
Viel schlimmer sind da radioaktive Stoffe, die sich aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften ablagern und anreichern, im Boden, in Pflanzen, Tieren und letztlich auch Menschen. Berühmte Beispiele sind da Jod, das sich in der Schilddrüse ansammelt, oder der "Knochenkiller" Strontium, der sich auf seinem Weg durch die Umwelt letztlich eben in Knochen eingelagert und dort lokal für erhebliche Strahlenbelastung sorgen kann. Von solchen Stoffen ist im Artikel des Focus aber nur radioaktives Cäsium genannt. Und die davon ausgehende Strahlenbelastung in der Luft lag eben bei nur 42% verglichen mit dem Tschernobyldesaster. Also wäre aufgrund der im Artikel genannten Daten die treffende Schlagzeile gewesen:
Nukleare [??] Verseuchung
Fukushima halb so schlimm wie Tschernobyl
Fetzt aber nicht so gut. Ein Tipp fürs nächste Mal: Wie wäre es denn mal mit Seveso Millionen mal schlimmer als Tschernobyl und Fukushima zusammen? Immerhin wurde beim Chemieunglück von Seveso millionen- und milliardenmal mehr Dioxin freigesetzt als bei den beiden großen Reaktorkatastrophen.

Samstag, 15. Oktober 2011

Willkommen am Limit!

Ironman? - Was für Mädchengeburtstage!

Testpiloten? - Weicheier, die sich schon für harte Kerle halten, bloß weil sie es schaffen, bei 6 g nicht an der eigenen Kotze zu ersticken!

Neinneinnein, Schluß mit Pillepalle! Seit heute weiß ich: Wer Extremsituationen braucht und wirklich wissen will, wo der menschliche Körper und Geist an ihre Grenzen stoßen, der muß an einem Samstag Nachmittag mit einer schwangeren Frau zum Babysachenkaufen zu Ikea.
Selbst Humphrey Bogart bräuchte danach mindestens eine halbe Flasche Brandy, um mit einer solchen Erfahrung klarzukommen!

Donnerstag, 13. Oktober 2011

Die Knochenkiller kommen

Was haben Cola, Trampoline und Strontium gemeinsam? Richtig, sie alle sind sogenannte "Knochenkiller". Und wem der Begriff "Knochenkiller" jetzt irgendwie dämlich erscheint, dem sei versichert, es handelt sich um einen wissenschaftlichen Fachterminus. So hat es heute jedenfalls der Spiegel Online erklärt:
Und da möchte ich wetten! Schließlich sprechen Wissenschaftler, sehr zum Leidwesen der auf nüchterne Sachlichkeit Wert legenden Journalisten, auch gerne von "Killerviren", "Killerasteroiden", "Teufelskillern" und vielem, vielem mehr! Und wer auch immer sich diesen tollen Satz vom Knochenkiller hat einfallen lassen, seit letztem Juni ist er überall zu finden [z.B. Focus, Frankfurter Rundschau, Wiener Zeitung, schweizer Tagesschau, Süddeutsche,...]. Wissenschaftler sprechen hier auch von einem schleichenden "Hirnkiller".

Freitag, 7. Oktober 2011

Ontologie und Probleme

Unlängst war ich Publikum bei einem wissenschaftlichen Vortrag. Und sich über seine naturwissenschaftlichen Studien immer mehr in Fahrt redend, entschlüpfte dem Vortragenden dann plötzlich der folgende überlieferungswürdige Satz:
"Reality is the problem here."
Er hatte es vielleicht gar nicht so gemeint, aber selten hat jemand kompakter und zugleich treffender allen Ärger auf dieser Welt zusammengefasst!

Sonntag, 2. Oktober 2011

Leben und Sterben in Flandern

Die folgende Geschichte ist mir tatsächlich nicht selbst widerfahren, sondern einem Freund. Aber sie ist doch zu schön, um sie nicht weiter zu erzählen, und ich bin sicher, dieser Freund hätte nichts dagegen.

Der erwähnte Freund stand vor der Aufgabe, für eine europäische Einrichtung eine Weiterbildungsveranstaltung zu organisieren. Nun ist er Flame, und so entschied er sich als Veranstaltungsort für ein Hotel in einem kleinen flämischen Badeort. Am Montag Morgen sollte es losgehen, und am Sonntag Nachmittag begannen die Teilnehmer nach und nach einzutrudeln. Unter den eingeladenen Vortragenden auf dieser Veranstaltung war auch ein Italiener, und der wollte nicht mit dem Flugzeug nach Belgien kommen, sondern die Gelegenheit zu einer kleinen Europareise nutzen und mit seiner Frau im Auto aus Italien anreisen. Mit seiner Frau und mit einem ziemlich großen Hund. Am späten Sonntag Nachmittag ruft er den Freund dann an und teilt ihm mit, daß sie sich wohl mit dem Verkehr verschätzt hätten, und er und seine Frau erst so gehen zehn am Abend eintreffen würden. Und ach ja, er hätte übrigens auch einen ziemlich großen Hund dabei, das sei doch bestimmt kein Problem für das Hotel, in dem er eingebucht sei? Doch, es war ein Problem. Das Hotel bestand darauf, daß Hunde im Haus nicht gestattet seinen. Also mußte mein Freund am Sonntagabend noch ein anderes Hotel auftun, das nichts gegen raumgreifende Haustiere einzuwenden hatte. Er verabredete sich mit dem Italiener vor dem Veranstaltungshotel, geleitete ihn und seine Frau am späten Abend zu der neuen Unterkunft, und so gegen elf hatte er sie dann als letzte Teilnehmer endlich gut untergebracht und bis zum nächsten Morgen frei.

Um zwei in der Nacht klingelt sein Telefon. Im Halbschlaf abgehoben, begrüßt ihn der Italiener: "Mein Hund stirbt!" Eine herausgemurmelte Beileidsbekundung reicht jetzt nicht aus, um die Nachtruhe wieder herzustellen. Nein, ein Tierarzt müsse her, unbedingt, jetzt gleich, sofort und ins Hotel. Also versucht der Freund, Sonntags nachts um zwei einen Tierarzt aufzutreiben, der bereit ist, einen sofortigen Hausbesuch zu machen. Schließlich findet er, nachdem wohl eine Reihe von Leuten von ihren Telefonen aus dem Schlaf gerissen worden sind, tatsächlich einen Tierarzt aus einem Nachbarort, der einwilligt, sofort zu kommen. Vermutlich war die Inaussichtstellung einer beträchtlichen Nachtzulage erforderlich, und der dunkle Mercedes des Tierarztes will ja auch bezahlt sein. Mit dem fährt er dann so gegen drei endlich beim Hotel vor, und er und mein Freund betreten ein Hotelzimmer mit einem auf und ab laufenden Italiener, einer auf dem Bett sitzenden, weinenden Italienerin und einer auf dem Boden liegenden und erbärmlich röchelnden Dogge. Der Tierarzt öffnet seine Tasche, untersucht den Hund und stellt schnell fest, daß er nichts mehr für ihn tun kann. Nichts, außer sein Leid abzukürzen und ihn einzuschläfern. Schließlich willigt das italienische Paar traurig ein, der Arzt gibt dem Hund zwei Spritzen und entläßt eine Doggenseele in den Hundehimmel. Doch damit schafft er natürlich sogleich das nächste Problem. Denn was tun man, wenn man nachts um drei ein flämisches Hotelzimmer mit einer toten Dogge teilt? Doch der Tierarzt bietet gleich die Lösung an. Er habe Plastiksäcke im Auto, sie könnten den Hund einpacken und er würde ihn mitnehmen und einer fachgerechten und ganz bestimmt auch pietätvollen Entsorgung zuführen. Notgedrungen willigt das Ehepaar ein, und während der Italiener seine aufgelöste Frau zu beruhigen versucht, verpacken der Tierarzt und mein Freund den Hund in die aus dem Auto geholten Plastiksäcke. Zusammen schleppen die den Hundekadaver hinunter auf die Straße, der Tierarzt öffnet den Kofferraum seines Mercedes, und zu zweit wuchten sie den toten Hund hinein. Und in diesem Moment kommt ein Streifenwagen um die Ecke gefahren.
Tja, wie es wohl aus, wenn zwei Männer nachts um drei etwas Großes, in Plastikfolie Gewickeltes in den Kofferraum einer Limousine verfrachten? Also hält der Polizeiwagen an, die Polizisten steigen aus und erkundigen sich, die Hände ganz beiläufig an den Holstern ihrer Waffen, was die beiden denn da machen würden. Die Antwort "Ja, also, ich bin Tierarzt, und da ist ein toter Hund drin..." reicht irgendwie nicht so ganz aus, um den Verdacht der beiden Beamten zu zerstreuen. Also müssen der Freund und der Veterinär einige Schritte vom Wagen weg machen, und einer der beiden Polizisten behält sie sehr genau im Auge, die Hand noch immer locker am Griff der Dienstpistole. Der zweite Polizist steift sich seine Handschuhe über, beugt sich über den Kofferraum und beginnt, an den Säcken herumzufummeln. Nach zwei Minuten dreht er sich um und verkündet nüchtern die Ergebnisse seiner kriminalistischen Untersuchung: "Da ist ein toter Hund drin."

Und damit endet die Geschichte. Der Streifenwagen fuhr weiter seine Runden im Kampf gegen die Kriminalität zwischen Knokke und De Panne. Der Tierarzt entschwand mit dem toten Hund in der Nacht. Und mein Freund ging zurück zu seinem Hotel, um noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, bevor die Veranstaltung beginnen würde. Das tat sie dann am nächsten Morgen pünktlich nach dem Frühstück. Schade, daß der Italiener in einem anderen Hotel untergebracht war. Im Hotel meines Freundes gab es zum Frühstück auch "Pletskeskook": "Kalter Hund".