Mittwoch, 31. März 2010

Sexueller Mißbrauch der Statistik

Großer Beliebtheit bei den Vertretern der katholischen Kirche erfreut sich ja zur Zeit das Argument, die diskutierten Fälle sexuellen Mißbrauchs durch Priester hätten gar nichts mit der Kirche zu tun, denn immerhin würde der weitaus größe Anteil sexuellen Mißbrauchs von Kindern ja nicht in der Kirche, sondern in der restlichen Gesellschaft stattfinden. So in den vielbemühten Familien, Sportvereinen, usw. Generalvikar Roland-Bernhard Trauffer läßt sich in der Berner Zeitung sogar zur Verkündigung einer Zahl hinreißen: mehr als 95% der Fälle kämen in "der übrigen Gesellschaft", die nicht zölibatär lebe, vor. Na, das sollte man von einem gewissen Standpunkt ja auch hoffen! Denn man kann ja mal, nur um ein Gefühl für die Zahlen zu bekommen, in die Statistik für Deutschland schauen. In diesem Fall mal in die Daten für das Jahr 2005:
Die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2005 listet unter der Rubrik "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" 9805 Tatverdächtige im Bereich Sexueller Mißbrauch von Kindern auf (davon sind 96.4% männlich).
Das Statistische Bundesamt teilt im Jahrbuch 2005 mit, daß in Deutschland 40 340 000 männliche Deutsche lebten.
Die Katholische Bischofskonferenz läßt in ihren Nachweisungen für 2005 wissen, daß es in Deutschland 16 190 Priester (aktive und Ruheständler) gab.
Also machen katholische Priester nur 0.04% der männlichen Bevölkerung aus. Also sollten sie, wenn sie nicht besser und nicht schlechter als der Rest der Bevölkerung wären, auch nur 0.04% der Tatverdächtigen stellen! Bei 9805 Tatverdächtigen insgesamt wären das 4.
Das sind also die Zahlen, mit denen man vergleichen muß. Leider kenne ich keine Statistik für tatverdächtige Priester in Deutschland. Wenn es aber stimmt stimmt, daß in neun Jahren 300 von 400 000 Priestern weltweit der Pädophilie bezichtigt wurden, dann sind das immerhin schon mal 0.08% (statt 0.02% der männlichen deutschen Bevölkerung 2005). Da habe ich so meine leisen Zweifel, daß die katholische Kirche im Schnitt noch ganz gut wegkommt!

Dienstag, 30. März 2010

Jetzt aber wirklich: Fast!

Vieleicht noch eines zum heutigen CERN-Tag. Da schreibt z.B. die Tagesschau zum neuen Energierekord der Protonen:
"Wissenschaftlern am Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf ist es erstmals gelungen, im Teilchenbeschleuniger LHC Protonen nahezu bei Lichtgeschwindigkeit kollidieren zu lassen."
Und um jede darin enthaltene Mehrdeutigkeit zu beseitigen schreibt die Süddeutsche einfach nur:
"Es ist geschafft: Wissenschaftler am Kernforschungszentrum Cern haben erstmals Protonen nahezu mit Lichtgeschwindigkeit kollidieren lassen."
Jaja, mit dem "nahezu" ist das so eine Sache. So schreiben die Zeitungen, daß beim heutigen Rekord eine Energie von 7 TeV ereichte wurde, was das dreieinhalbfache des alten Rekordswerts sei. Mal sehen:
Die alten 2 TeV entsprechen 99.999989% der Lichtgeschwindigkeit. Und 7 TeV entsprechen 99.9999991% der Lichtgeschwindigkeit. Ja, jetzt bin ich wirklich überzeugt! Heute waren die kollidierenden Protonen wirklich noch nahezuer an der Lichtgeschwindigkeit!

Weltuntergänge für die Massen

Im LHC am CERN drehen heute die Protonen ihre Runden, und in der Presse dreht heute das CERN seine Runden. Und dabei fällt auf, daß eine ganze Reihe der berichtenden Medien, so etwa die Tagesschau, Die Zeit, die FAZ, die Frankfurter Rundschau, oder auch Die Welt, es sich nicht verkneifen können, auf die Kritiker zu verweisen, die einen Weltuntergang durch die Teilchenphysikexperimente befürchten. Nun ist es ja nicht gerade so, daß die Gefahr durch bei den Experimenten möglicherweise entstehenden Schwarzen Löchern nicht schon gründlich und auf allen Ebenen diskutiert worden wäre. Und immer ergab sich, daß keine Gefahr für die Erde besteht. So sehen es z.B. wissenschaftliche Fachpublikationen, die Informationsseiten des CERN, das Bundesverfassungsgericht und gründliche Zeitungsartikel.
Warum also wird noch immer über eine eigentlich längst zu den Akten gelegte Gefahr berichtet? Soll man dies als einen Fall ausgewogener Berichterstattung betrachten? Dann frage ich mich aber, weshalb nicht bei jedem neuen Elektronikartikel auch von den Menschen berichtet wird, die befürchten, Strahlen aus den Geräten könnten ihre feinstoffliche Aura schädigen? Ich habe keinen Zweifel, daß es solche Menschen gibt. Schließlich hat immer irgendwer vor irgendwas Angst.
Oder glauben die Medien selber an eine Gefahr durch die Experimente in der Schweiz? Das nehme ich mal nicht an, denn immerhin berichten die Tagesschau oder Die Welt selber, daß eigentlich kein Risiko besteht.
Also ist es vieleicht am ehesten so, daß Berichte von Schwarzen Löchern und Weltuntergängen einfach zu interessant klingen, als daß man sie sich entgehen lassen könnte. Sicherlich werden Artikel mit solchen Schlagworten gleich viel häufiger gelesen, verglichen mit trockenen Meldungen über neue Kollisionsenergien, unter denen sich eh niemand etwas vorstellen kann. Und ob wirklich etwas dran ist an den Schwarzen Löchern, das ist da wohl selbst für seriöse Medien zweitrangig. Das CERN wird sich vieleicht gar nicht so sehr daran stören und die Aufmerksamkeit dankbar zur Kenntnis nehmen. Aber dieses kleine Beispiel vom CERN zeigt, daß die Medien nicht das berichten, was von Belang ist, sondern das, wovon sie sich allgemeine Aufmerksamkeit versprechen. Und das sollte man vieleicht mal im Hinterkopf behalten bei den nächsten dramatischen Schlagzeilen über Sozialbetrug oder Pandemien...

Sonntag, 28. März 2010

Alles wird schneller...irgendwie

Nicht nur, daß alles immer schlechter und unmoralischer wird, wie schon vor einer Weile hier erwähnt, es wird auch alles irgendwie immer schneller. Dazu gibt es eine Menge an Literatur, beispielsweise Beschleunigung - Die Veränderung der Zeistrukturen in der Moderne von Hartmut Rosa (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1760 (2005)). Man ist geneigt, dieser These von der Beschleunigung aus einem diffusen Gefühl heraus erst einmal zuzustimmen. Aber es bleibt die Frage, was es denn heißen soll, daß alles irgendwie immer schneller wird. Da findet man dann Formulierungen wie "die Geschwindigkeit wird immer höher", "alles beschleunigt", "das Lebenstempo nimmt zu", "die Beschleunigung wird immer größer", oder gar "die Zeit selber wird immer schneller". Dies klingt sehr lyrisch, aber kaum wissenschaftlich. Und so stellt Herr Rosa in Kapitel III.1 fest:
"Angesichts der notorischen Unschärfe des Beschleunigungsbegriffes in der aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskussion stellt die Einführung einer analytisch befriedigenden und empirisch aufschlussreichen Definition von Beschleunigung ein erstes und grundlegendes Forschungsdesiderat für jede Theorie der sozialen Akzeleration dar."
Also knapp gesagt, wir müssen erst einmal wissen, worüber genau wir eigentlich reden wollen. Natürlich denkt man bei Beschleunigung als erstes an die Physik mit ihrer klaren Definition dieses Begriffes. Und so findet dann Herr Rosa:
"[...] so erweist sich rasch, dass der Rückgriff auf herkömmliche Definitionen der Schulphysik, in denen Beschleunigung in Abhängigkeit von zurückgelegten Wegstrecken bestimmt wird (a = v/t bzw. a = 2s/t^2), nicht sehr weit reicht [...]"
Nun gut, ich hätte auch nicht an derart simple Schulphysik mit konstanter Beschleunigung gedacht. Aber wie wäre es denn, wenn man eine "richtige" Definition der Beschleunigung hernimmt und etwas verallgemeinert? Also etwa die Annahme macht, Beschleunigung sei die zweite Ableitung einer Größe (Position, Information, ...) nach der Zeit. Oder etwas anschaulicher, auch für nicht kontinuierliche Größen, daß Beschleunigung die zeitliche Änderung der zeitlichen Änderung einer Größe sei. Und tatsächlich traut sich Herr Rosa an eine solche Auffassung von Beschleunigung heran, nur um daran so grandios zu scheitern wie ein Physiker im Feng-Shui-Seminar:
"Der Rückgriff auf die Newton'sche Physik hilft dabei dann weiter, wenn man die in den angegebenen Gleichungen enthaltene Wegstrecke durch eine abstrakte Mengenangabe ersetzt."
Jaaa! Schon ganz heiß...!
"Beschleunigung lässt sich dann definieren als Mengenzunahme pro Zeiteinheit [...]."
Ok, vieleicht. Was ist denn jetzt "Mengenzunahme"?
"Als Menge können dabei der zurückgelegte Weg, die Anzahl der kommunizierten Zeichen, die produzierten Güter (Kategorie 1), aber auch die Zahl der Arbeitstellen pro Erwerbsleben oder die Intimparterwechsel pro Jahr (Kategorie 2) und ebenso die Handlungsepisoden pro Zeiteinheit (Kategorie 3) fungieren."
Also ist, inspiriert von der Netwon'schen Physik, die Wegezunahme pro Zeiteinheit als Beschleunigung definiert. Nicht etwa als Geschwindigkeit, als Meter pro Sekunde etwa? Und analog ist die Übertragungsrate (Zeichen pro Sekunde) eine Beschleunigung, nicht eine Geschwindigkeit?
Vieleicht ist das alles falsch verstanden, und "Mengenzunahme pro Zeiteinheit" meint tatsächlich "Zunahme der Mengenänderung pro Zeiteinheit"? Leider klärt sich die Bedeutung der Begriffe nicht gerade auf, wenn man ein bisschen im Text weiter liest:
"Für das Verständnis des Verhältnisses zwischen der technischen Beschleunigung und der Akzeleration des Tempos des Lebens ist es nun von entscheidender Bedeutung, sich den genauen Zusammenhang zwischen Mengenwachstum und Beschleunigung vor Augen zu führen."
Was ist denn jetzt "Mengenwachstum"? Nehmen wir an, es sei dasselbe wie "Mengenzunahme" im Satz zuvor.
"Handelt es sich um Prozesse stetiger (d.h. ununterbrochen voranschreitender) "Produktion", so hat Beschleunigung ein exponentielles Mengenwachstum zur Folge."
Und jetzt ist mein armer Kopf wirklich langsam überfordert... Was heißt denn jetzt "Produktion" schon wieder? Offenbar ist es nicht dasselbe wie "Mengenwachstum". Und wie hängt denn die Produktion mit der Beschleunigung zusammen? Und "exponentielles Wachstum" ist ja ein klar definierter Begriff: Es kommt genau dann zum exponentiellen Wachtum, wenn die zeitlich Änderung einer Größe proportional zur Größe ist (oder, anders gesagt, wenn die Beschleunigung proportional zur Geschwindigkeit ist).
Ich gebe es auf, diese Definitionen und Schlußfolgerungen verstehen zu wollen. Nun, ich habe es ehrlich versucht, diesen sozialwissenschaftlichen Text als Wissenschaft ernst zu nehmen, und nicht, wie unter Physikern und dergleichen wohl durchaus nicht unüblich, solche Texte als unwissenschaftliches Geschwätz abzutun. Wenn man aber sieht, mit welcher Eindeutigkeit die grundlegenden Begriffe einer Arbeit definiert werden, und mit wieviel Kompetenz über exponentielles Wachstum geredet wird, dann muß ich schon sagen: wahrlich, sie machen es einem nicht leicht, sie ernst zu nehmen, diese Sozialwissenschaftler!

Mittwoch, 17. März 2010

"Der die das, wer wie was..."

Die Zeit wird noch mal meine liebste Zeitung für Astronomie. Und diesmal liegt der Unterschied in nur in "der" und "das". So ist die Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt eigentlich unmißverständlich. Da heißt es über einen neu entdeckten Exoplaneten "Der Planet außerhalb unseres Sonnensystems kreist um einen Stern im Sternbild Schlange, der 1500 Lichtjahre von der Erde entfernt ist." "der Stern", "das Sternbild". Also bezieht sich "der" eindeutig auf den Stern. Und in ihrem Artikel macht Die Zeit daraus: "Corot-9b kreist um eine Sonne im Sternbild Schlange, das etwa 1500 Lichtjahre von der Erde entfernt ist, wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) berichtet."Und wieder mal ist es einem Journalisten zu empfehlen, mal ein Kinderbuch über Astronomie zu lesen, bervor er meint, zu diesem Thema publizieren zu müssen. Dann wüsste er vieleicht, daß ein Sternbild nur ein Projektionseffekt ist, und selber gar keinen Abstand zur Erde hat. So mag der Stern mit dem Exoplaneten 1500 Lichtjahre von der Erde entfernt sein. Andere Sterne im Sternbild sind aber etwa 36 Lichtjahre oder auch 919 Lichtjahre entfernt.
Und bevor man mich zum Erbsenzähler erklärt: Vieleicht mögen solche "kleineren Ungenauigkeiten" für die meisten Leser des Artikels gleichgültig sein. Aber wenn in der Wissenschaft so schlampig berichtet wird, drängt sich einem doch die Befürchtung auf, daß es im Resort Politik auch so zugehen könnte. Und ob nun Turkmene, Tschetschene oder Tamile, was für einen Unterschied macht das?

Samstag, 13. März 2010

Einer geht noch, einer geht noch rein...

Man weiß es ja, aber dennoch ist man immer wieder erstaunt, wen man es erlebt: Nichts ist so irrsinnig, als daß es nicht noch irrsinniger ginge.
Erst ist die sexuelle Revolution mit schuld am Mißbrauch von Kindern durch Priester, so Bischof Marx und Kardinal Schönborn. Dann wittern manche eine Kampagne gegen die Kirche, bloß weil immer mehr Mißbrauchsfälle ans Licht kommen. Und nun spricht Bischof Müller Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger das Recht ab, die Kirche zu kritisieren, weil sie "einer Art Freimaurer-Vereinigung" angehöre, "die Pädophilie als Normalität darstellt, die entkriminalisiert werden soll." Freimaurer! Wie wundervoll! Gottlose(!), kinderfickende Freimaurer! Sexuelle Aufklärer, Freimaurer, was kommt als nächstes? Hexen? Illuminaten? Der Antichrist? Wirklich ausschließen will man nun nichts mehr. Nur eines ist klar: Die Kirche hat nichts zu tun dem Mißbrauch, auch wenn man jetzt schon über mehrere tausend Einzelfälle spricht. Wieviel mehr Beweise muß die Kirche noch erbringen, daß sie in eine moderne Gesellschaft so gut passt wie eine Ritterrüstung? Aber nein, die Kirchen sind ja wichtig...
Man könnte sich ausschütten vor lachen, ginge es nicht um menschliches Leid und eine mächtige Institution wie die Kirche.
Die "Freimaurer" von der Humanistischen Union, die Müller meinte, scheinen übrigens auch nicht sehr amüsiert über die bischöflichen Äußerungen. Kann man an ihrer Stelle auch verstehen...

Wahnsinn und nackte Kinder

Unsere Werte verfallen. Alles wird immer schlimmer. Schwule und Lesben dürfen schon fast heiraten, das Internet ist voller Pornographie, und in Fernsehspots und Werbeanzeigen gebärden sich Frauen wie früher nur in Sexfilmen.
Aber abgesehen davon, ob das Zugestehen fundamentaler Rechte für Homosexuelle wirklich etwas mit dem Verfall von Sitten zu tun hat, und die Verbreitung von Pornographie nicht vieleicht nur etwas mit den besseren technischen Möglichkeiten der Kommunikation: es stimmt nicht, daß alles immer nur sittenloser, freizügiger, hemmungsloser wird. Ein sehr deutliches Gegenbeispiel ist der Kampf gegen "Kinderporngraphie" (inklusive der Jugendpornographie) in all seinen Erscheinungsformen. So ist mir aufgefallen, daß ich beim Stöbern in Buchhandlungen in den letzten Jahren keine Bildbände von David Hamilton mehr gesehen habe, obwohl sie früher vorrätig waren. Und ein Aktfoto der zehnjährigen Brooke Shields wurde aus einer Ausstellung in London entfernt, weil es als sexuell provokativ aufgefaßt werden könnte und damit gegen gesetzliche Regelungen verstoßen. 1975 ist das Bild dagegen ganz legal entstanden. Da scheinen die Moralvorstellungen entgegen dem allgemeinen Trend in mancher Hinsicht doch immer strenger zu werden. Und ein letztes Beispiel, das man sich wirklich auf der gedachten Zunge zergehen lassen muß, ist der Fall des Buches "Der Körper des Kindes und seine Pflege" von Carl Heinrich Stratz bei Wikisource. Dieses Buch erschien in der ersten Auflage 1903. Nun sind die Bücher Stratz' nach heutiger Auffassung sicherlich recht bizarr. Es wird ihnen aber nach heutiger Sicht auch vorgeworfen, daß sie "obszöne Fotografien nackter Kinder und Jugendlicher" enthalten und "vulgären Inhalt" für "Leser mit absonderlichen Neigungen" bereitstellen. Und daher sind in der Reproduktion des Buches bei Wikisource auch alle Abbildungen nackter Minderjähriger entfernt worden. Davon, wie die entfernten obszönen Bilder aussehen, kann man sich aber auf der Wikipediaseite zu Carl Heinrich Stratz einen Eindruck verschaffen. Dieser Wandel in der Wahrnehmung, der dazu führt, daß ein Buch heute freiwillig zensiert wird, daß 1903, nicht gerade eine Zeit extremer sexueller Freizügigkeit, frei veröffentlicht werden durfte, ist wohl ein eindrücklicher Beweis dafür, daß die Sitten nicht einfach immer lockerer werden! Und es sei noch mal kurz angemerkt, daß das Buch für "Leser mit absonderlichen Neigungen" 1923 bereits in der 10. Auflage erschien. Offenbar ist es damals auf breiteres Interesse gestoßen...
Nun geht es mir ganz und gar nicht darum, Kinder- und Jugendpornographie zu verteidigen. Und zweifellos ist der sexuelle Mißbrauch von Kindern ein schweres Verbrechen (schwerer noch als der sexuelle Mißbrauch von Erwachsenen). Aber es ist immer wieder ausdrücklich vom Kampf gegen Kinderpornographie die Rede, und nicht vom Kampf gegen den sexuellen Mißbrauch als dem eigentlichen Übel. In diesem kleinen Unterschied deutet sich schon die allgemeine Irrationalität bei diesem Thema an. Wenn man nun noch bedenkt, daß in England Nacktscanneraufnahmen gegen das Kinderpornoverbot verstoßen (Aufnahmen von Erwachsenen wären dann normale Pornographie?) und man Schulkindern Valentinskarten verbieten will, dann wird die ganze Hysterie, mit der man es zu tun hat, deutlich. Es geht anscheinend darum, Kinder von jedem entfernten sexuellen Kontext frei zu halten. Und da fragt man sich schon, ob dies nicht gerade eine Gegenbewegung zur ständigen Verfügbarkeit von Pornos ist. Wenigstens die Kinder sollen rein bleiben, wenn schon alles andere in die Sittenlosigkeit verfällt? Und da die Kinder so per se unschuldig sind, ist die männliche Sexualität der eigentliche Feind (Gibt es eigentlich Kinderpornos von oder für Frauen? Wenn ja, spielen sie in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle.) Und so dürfen kleine Kinder auch weiter nackt am Strand spielen, ohne daß die Sittenwächter daran Anstoß nehmen. Und ein grundsätzliches Mißtrauen gegen die männliche Sexualität erinnert schon an die Angst vor der weiblichen Sexualität in manchen muslimischen Ländern. Nur sind die Frauen hier nicht per se unschuldig. Daher kann man sie auch zum Tragen eines Ganzkörperschleiers verpfichten, damit sie die Männer nicht in Versuchung führen. Wenn wir aber mal den Beteuerungen von Muslimen glauben schenken, daß eine solche Komplettverhüllung der Frau keinesfalls als Strafe anzusehen ist und sie die Frauen letztlich auch nur schützt, dann könnten wir doch auch Kindern zu ihrem eigenen Schutz zumuten, sich komplett zu verhüllen? Und schon schließt sich der Kreis: In westlich orientierten Ländern tragen dann die Mädchen einen Ganzkörperschleier bis zum Erreichen der Geschlechtsreife, und in islamischen Ländern tragen ihn die Frauen dann ab der Geschlechtsreife. Und so ergänzt sich dann der Wahnsinn in der Welt zu einem wunderschön geschlossenen Ganzen!

Mittwoch, 10. März 2010

Spaß in der Kirche

Ich hatte ja angekündigt, noch ein paar Beispiele zur Sexualisierung in der Kirche in den letzten Jahrhunderten nachzureichen. An die mitunter beeindruckend deutlichen Darstellungen in den Kunstmuseen der Welt hat man sich ja schon recht gut gewöhnt. Ich erinnere mich noch gut an den halben Tag, den ich für den Besuch des Prado verwendet habe. Und sechs Stunden lang ging ich gefühlt ausschließlich zwischen Bildern von Nackten, Gefolterten und Toten umher. Aber wenn all der Sex und all die Gewalt erst mal in den Kanon der Kultur aufgenommen sind, scheint man generell gar nicht mehr wahrzunehmen, was in den Kunstwerken eigentlich dargestellt ist. Das aber auch die heilige Mutter Kirche in ihren Eingeweiden Sex- und Gewaltdarstellungen birgt, ist schon interessant zu sehen.
Besonders geeignet ist in dieser Hinsicht wohl das Jüngste Gericht. Da können die Toten aus ihren Gräbern auferstehen - nackt natürlich - und gefoltert werden kann bei Bedarf auch gleich. So etwa in diesem Wandgemälde aus der Kirche Saint-Austremoine in Issoire (Jüngstes Gericht, Ende des 15. Jhd.):Aber vieleicht interpretiere ich das auch ganz falsch. Vieleicht hatten die Darstellungen von nackten Gefolterten im 15. Jahrhundert eine ganz andere Funktion als in den modernen BDSM-Videos. Aber ein anderes Bildnis vom Jüngsten Gericht aus derselben Zeit (Kathedrale Sainte-Cécile in Albi, Jüngstes Gericht, 1496 - 1500) ist mit seiner etwas phantasievolleren Ausschmückung in seinen sexuellen Bezügen noch viel eindeutiger:
Zum Schluß noch mein liebstes Beispiel: Eine harmlose Darstellung der Anbetung des Christuskindes in der Kirche Notre-Dame in Auvers-le-Hamon (Ende 16. Jhd.):
Wenn man sich das Christuskind in der Krippe aber mal genauer ansieht, so erstaunt einen vieleicht doch ein bißchen der, nun ja, Brustkorb:Da scheint es doch so, als daß die sexuelle Aufklärung die sexuelle Phantasie nicht erfunden hat, sondern nur sichtbar gemacht. Das heißt, sie hat sie überall an die Oberfläche gebracht, nur nicht in der katholischen Kirche. Dort führt sie auch heute noch ein Dasein in dunklen Nischen, wie die gezeigten Wandbilder. Und gerade da, wo die sexuelle Aufklärung am wenigsten bewirkt hat, soll sie Mitschuld an der sexuellen Ausbeutung von Schutzbefohlenen sein? Wie schön, daß manche in ihrem Beruf erfolgereich sein können, indem sie nur unverschämten Nonsense ohne Hand und Fuß von sich geben! Gönnen tu' ich das den Berufsgläubischen aber nicht.

Dienstag, 9. März 2010

Der Weltuntergang: Des Einen Freud, des And'ren Leid

Das Bundesverfassungsgericht hat am 18. Februar eine Verfassungsbeschwerde gegen den LHC am CERN abgelehnt. Eine Dame wollte auf diesem Weg die Bundesrepublik Deutschland zwingen, gegen die Teilchenphysikexperimente am CERN vorzugehen, da diese möglicherweise die Erde vernichten, indem sie unkontrollierbare Schwarze Löcher hervorbringen.
So aus dem Bauchgefühl heraus scheint die Ablehnung sofort einleuchtend. Besonders herauszuheben ist dabei aber die Argumentation der Klägerin: "Sie begehrte, die Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, mit den Mitteln, die dieser völkerrechtlich zur Verfügung stehen, eine Beschränkung der bei den Versuchen eingesetzten Energie auf ein Maß zu erreichen, das bereits in andernorts betriebenen Teilchenbeschleunigern älterer Bauart verwendet wurde und daher unbedenklich sei." Und weiter: "Dies gelte jedenfalls solange, wie die von ihr geäußerte Warnung nicht empirisch widerlegt sei." Ob es der Klägerin nun nicht bewußt ist, oder von ihr gar erwünscht, aber man kann ihre Warnung nicht empirisch widerlegen, solange man nicht höhere Energien in den Experimenten benutzt als die bisher eingesetzten. Das scheint aber doch dem Verfassungsgericht unangenehm aufgefallen zu sein. Denn es stellt fest:
"Ein solches Vorgehen hinzunehmen hieße, Strategien zu ermöglichen, beliebige Forschungsanliegen durch entsprechend projektspezifische Warnungen zu Fall zu bringen."
Zwar gibt das Gericht zu, daß der Staat die Pflicht hat, Leib und Leben der Bürger zu schützen, aber:
"Demgegenüber begründet der bloße Verweis auf hypothetische Kausalverläufe jenseits derartiger vernünftiger Zweifel lediglich Restrisiken in dem Sinne, dass der Eintritt künftiger Schadensereignisse nie mit absoluter Sicherheit ausschließbar ist, weil hier Grenzen der empirisch überprüfbaren und theoretischer Argumentation zugänglichen Erkenntnisfähigkeit bestehen."
Und:
"Denn letzte Ungewissheiten jenseits der gegenwärtigen Erkenntnisfähigkeit sind in einer wissenschaftlich-technisch orientierten Gesellschaft grundsätzlich unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen."
Da hat die Teilchenphysik ja noch mal Glück gehabt und darf weiterforschen! Aber Pech für Astronomen ist das schon. Denn wenn der Staat verpflichtet worden wäre, konsequent auch gegen letzte hypothetische Gefahren vorzugehen, hätte man gleich den Großteil des Staatshaushalts in die Asteroiden- und Kometenforschung umleiten können. Schließlich ist es sie alleine, die uns alle vor der Massenvernichtung durch kosmische Einschläge bewahren könnte! Schade, aber einen Versuch wars halt mal wert...

Sonntag, 7. März 2010

Zölibatäre Vulkane

"Wenn der Zölibat Schuld hätte, dann dürfte es in den Familien keinen Missbrauch geben.", meint Kardinal Schönborn zum sexuellen Mißbrauch in katholischen Einrichtungen. Diese Argumentation hat so ihre zwingende Logik. Und wenn konvergente Plattenränder Schuld am Vulkanismus hätten, dann dürfte es auf Hawaii keinen Vulkanismus geben.

Gekreuzigte Frauen

Lassen wir heute mal den Hobbyanalytiker raus und betrachten wir Kreuzigungen. Unter psychologischen Gesichtspunkten haben sie eine ganze Menge zu bieten:
Da gibt es das Aufnehmen harten Eisens in den Körper. Dann gibt es die Passivität und Hilflosigkeit des Gekreuzigungsopfers, zusammen mit Schmerz, mit dem Erdulden des Leids. Und die Körperhaltung am Kreuz ist ausgesprochen interessant. Ausgebreitete, offene Arme, die einladen und schutzlos machen. Und dabei züchtig geschlossene Beine, die das Geschlecht dem Zugriff des Zuschauers zu entziehen scheinen. Könnte man da eine erotische Aufladung der Kreuzigung abstreiten? Aber Begriffe wie Aufnehmen, Passivität, Erdulden, die ausgebreiteten Arme, sind das nicht alles klassisch weibliche Attribute? Da ist die Darstellung und die Betrachtung einer Frau am Kreuze doch viel logischer, viel angemessener, viel interessanter. Es spricht wohl für die Macht der christlichen Kirchen, das sich ans Kreuz geschlagene Frauen fast ausschließlich in zweifelhaften Filmen und Texten oder in den Schmuddelecken des Internets finden. Und wenn doch ein Künstler offen einen weiblichen Körper am Kreuz präsentiert, dann ist das immernoch für einen Skandal gut. Selbst die Justiz ist mit dabei, um religiöse Gefühle zu verteidigen, und Politiker empören sich. Aber kann die Darstellung einer gekreuzigten Frau überhaupt religiöse Gefühle verletzen? Sehr spannend ist da auf jeden Fall eine kleine Tour durch französische Kirchen. Denn wie ist es denn z.B. mit diesem Fenster (um 1250 n. Chr.) aus der Kirche des Couvent des Cordeliers in Châteauroux?Sind ja schon mal recht beeindruckende Brüste für einen Mann... Aber, mal vom Bart abgesehen, ist mir das Bild noch etwas zu verschlossen. Deutlich besser kommt die Figur in diesem Deckengemälde (um 1465 n. Chr.) aus der Kapelle des Château de Pimpéan in Grézillé zur Geltung:Keine schlechte Figur. Hier noch mal etwas deutlicher:Und da fühlen sich manche Christen durch gekreuzigte Frauen in ihren religiösen Gefühlen verletzt?
Ja, es ist schon pervers, wie ich religiöse Motive derart sexualisiere! Und Sexualisierung ist schließlich auch gefährlich, hat die Sexualisierung der Gesellschaft doch laut Bischof Mixa und Kardinal Schönborn wesentlich zum sexuellen Mißbrauch in Einrichtungen der katholischen Kirche beigetragen. Entschuldigen werde ich mich aber dennoch nicht für meine obszönen Ausführungen. Erst muß ich noch meine übrigen Fotos kirchlicher Wandgemälde zum Thema "Sexualisierung" sortieren. Dann gibt's aber mal einen richtigen Anschauungskurs zum Thema Kirche und gesellschaftliche Sexualisierung...!

Samstag, 6. März 2010

Wer Schwachsinn von sich gibt, muß mehr haben als der, der keinen Schwachsinn von sich gibt

Bei manchen Dingen scheint es sehr leicht, sich ein Urteil zu bilden. Zum Beispiel bei der Bild-Zeitung: Ein ekelerregendes Schmierenblatt, das sich um Moral so wenig schert wie um Fakten oder Vernunft. Und wenn man das nicht schon beim schnellen Blick am Kiosk bemerkt, findet man alles ordentlich aufgelistet. Oder auch bei den Äußerungen des Außenministers zum geistigen Sozialismus und den Hartz IV-Beziehern. Das ausgerechnet der Vorsitzende einer Oberschichtspartei der Alleinerziehenden in Hellersdorf spätrömische Dekadenz vorwirft ist so absurd, so surreal, daß die ausführlichen Widerlegungen schon überflüssig erscheinen. Oder noch ein Beispiel, Dieter Bohlen. Ein Mensch, der sein Geld mit Äußerungen auf Klospruchniveau der mittleren Hauptschulklassen verdient. Die werden noch in Büchern verbreitet, verglichen mit denen selbst größere Literatur entsteht, wenn Charles Bukowski mit besoffenem Kopf in ein Telefonbuch kotzt.
Und so würde man sich schon in einem schönen Leben ohne Bild, Bohlen und Westerwelle einrichten, wenn man nicht doch kurz aufgeschreckt würde durch irritierende Kommentare. So lobt ein Schreiber in der FAZ doch die Bildzeitung, bzw. ihre "intelligente Agitation, Witz und Ironie". Oder der Fall Westerwelle: hier können nicht nur Abiturienten ihre Kenntnisse in römischer Geschichte endlich mal an den Mann bringen, sondern selbst die Tagesschau ist von der professionellen Taktik Westerwelles beeindruckt. Und hinter dem scheinbaren Proll Bohlen sieht der Focus den ebenso cleveren wie erfolgreichen Geschäftsmann.
Der Schreck beim Lesen läßt schnell wieder nach, denn immerhin werden nicht die Äußerungen selber gelobt, weder die in der Bild, noch die Westerwelles oder Bohlens. Das Lob findet gewissermaßen auf der Metaebene statt. Aber warum nur scheinen Schreiberlinge das Bedürfnis zu verspüren, Scheiße in einem größeren Zusammenhang als Wertstoff zu sehen? Erst mal scheint man natürlich intelligenter, wenn man nicht nur das Wort erfaßt, sondern auch seinen Kontext, seine Absicht. Und da wird sich schon ein Erfolgsaspekt finden lassen. Dabei darf man sich natürlich nicht von moralischen Erwägungen beeinflussen lassen. Denn wenn man nur fragt, ob eine Äußerung erfolgreich war, kann man sie leichter loben, als wenn man noch weiter fragen müsste ob der Erfolg denn überhaupt wünschenswert ist. Man lebt da besser, wenn man nicht versucht, zu viel Intelligenz zu zeigen. Und noch weitere Verlockungen warten. So hat man mit einem solchen Blickwinkel auch gleich eine gute Rechtfertigung, um die Bild zu lesen, oder Bohlens Show anzusehen. Wenn man so klug ist, den Hintergrund zu sehen, kann man selber schließlich nicht einer dieser anderen doofen Unterschichtler sein, die den Erfolg erst möglich machen. Und zuletzt ist es natürlich ein schönes Gefühl, sich mal einem erfolgreichen Zeitgenossen anzubiedern.
Also, am Ende bleibe ich doch bei meinem Leben ohne die Absonderungen der großen Agitatoren, Politprofis und Poptitanen. Aber ich wünsche mir, daß wenn mal nachts die Mülltonnen durch die Gärten mancher Schreiber getreten werden, auf ihre Fußmatten geschissen wird und Kondome in die Obstbäume gehangen werden, daß sie auch dann nicht nur Dreck und stumpfen Vandalismus sehen, sondern die auch den Zusammenhang zu subtiler Sozialkritik und erfolgreichem Aufmerksamkeitsgewinn.